Haben die Porsche SE und Volkswagen ihre Anleger 2008 im VW-Übernahmekampf getäuscht? Das ist die Frage - das Musterverfahren des OLG Celle soll nun die Antwort liefern. Es geht um Milliarden. Wieder einmal.
Inmitten des Abgasskandals wird es für Volkswagen an einer weiteren juristischen Front ernst. Im milliardenschweren Streit um die Folgen der gescheiterten VW-Übernahme durch den viel kleineren Sportwagenbauer Porsche beginnt am heutigen Donnerstag das Musterverfahren nach entsprechenden Klagen von Aktionären. Der Übernahmeversuch hatte zu heftigen Kursturbulenzen geführt - was einige Anleger viel Geld kostete. Diese sehen sich rückblickend fehlinformiert.
Ziel des Prozesses nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMug) ist ein Musterentscheid, der für alle Beteiligten bindend ist. Dazu wird der Fall des Musterklägers verhandelt und entschieden. Musterverfahren können sich über Jahre hinziehen.
Eine Beweisaufnahme sei am ersten Tag nicht geplant, sagte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts (OLG) Celle vor dem Auftakt der mündlichen Verhandlung. Vielmehr sollten Sach- und Rechtsfragen erörtert werden. Für das Musterverfahren (Az: 13 Kap 1/16) sind zunächst zehn Verhandlungstermine angesetzt - und zwar am Landgericht (LG) Hannover. Insgesamt wurden die sogenannten Feststellungsziele von 42 Klägern gebündelt.
Verschluckt an der Übernahme
Hintergrund ist die Übernahmeschlacht zwischen der einstigen Porsche-Mutter und Volkswagen. Seit 2005 baute Porsche - der lukrativste Autobauer der Welt - seine Anteile an VW schrittweise aus. Schließlich versuchte Porsche, den wesentlich größeren Konzern komplett zu schlucken. Am Ende hielt die Holding zwar die Mehrheit an VW, musste aber wegen hoher Schulden ihre Sportwagenmarke Porsche an die Wolfsburger abgeben. Porsche wurde zu einer weiteren Marke im Volkswagen-Konzern.
Nach Gerichtsangaben geht es im Musterverfahren beispielsweise um irreführende Presseerklärungen, etwa eine Mitteilung der Porsche Holding vom 10. März 2008, mit der Medienberichte zurückgewiesen worden seien, wonach das Unternehmen seinen Anteil an Volkswagen auf 75 Prozent aufzustocken beabsichtige. Am 26. Oktober 2008 dann die Kehrtwende: Porsche bestätigte, 75 Prozent an VW anzustreben, sofern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen.
Kurs der VW-Aktie explodiert
Der VW-Kurs explodierte daraufhin geradezu, Leerverkäufer verspekulierten sich mit geliehenen Aktien. Für viele Anleger, die auf fallende Kurse gewettet hatten, war dies eine Katastrophe. Die Klagen richten sich gegen die Porsche Holding und die Volkswagen AG.
Als Musterkläger bestimmte das OLG die ARFB Anlegerschutz UG, die von der Kanzlei Tilp vertreten wird. Es handelt sich beim Musterkläger um eine Gesellschaft, in der die Klagen verschiedener Investoren gebündelt sind.
Die Porsche SE hält die Klagen für unbegründet. So habe der Bundesgerichtshof (BGH) eine Milliardenklage von Hedgefonds gegen Porsche abgewiesen. Die Kläger hatten 1,2 Milliarden Euro Schadenersatz gefordert, mit der Entscheidung des BGH war diese Klage aber rechtskräftig vom Tisch. Das LG Stuttgart sprach zudem im Frühjahr 2016 die früheren Porsche-Vorstände Wendelin Wiedeking und Holger Härter im Prozess um Marktmanipulation frei.
Effektive Bündelung von Anlegerklagen
Sammelklagen wie in den USA kennt das deutsche Recht nicht. Nur mit dem KapMuG werden erstmals im deutschen Recht vergleichbare kapitalmarktrechtliche Klagen von Anlegern im Streitfall zwischen Unternehmen und Aktionären effektiv gebündelt. Die Begründung für das Gesetz lautete 2005, dass Massenklagen nach der bestehenden Zivilprozessordnung nicht mehr zu bewältigen seien.
Im Kern geht es darum, zentrale Rechtsfragen sämtlicher Fälle vorab von der nächsthöheren Instanz verbindlich entscheiden zu lassen - noch bevor ein Urteil der niedrigeren Instanz vorliegt. Dafür wird aus den ähnlich gelagerten Klagen ein Fall als Exempel herausgegriffen, die übrigen anhängigen Klagen werden ausgesetzt. Liegt der Musterentscheid vor, ist er für die Gerichte in allen zuvor ausgesetzten Verfahren bindend.
Da das KapMug gewissermaßen nur zentrale Fragen vorab klären lässt, ist es nicht mit Sammelklagen zu vergleichen, die etwa das US-Rechtssystem kennt ("class action"). Dabei müssen Kläger nicht ihren individuellen Schaden nachweisen, sondern nur ihre Zugehörigkeit zur betroffenen Gruppe ("class"). Daher münden Sammelklagen in den USA oft in große Vergleiche.
***UPDATE Freitag, 13.10.17, 10:00***
Die Klägerseite einen Befangenheitsantrag gegen die Richter gestellt. Es gebe "berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit", hieß es am Donnerstag in dem Antrag einiger beigeladener Kläger.
Der Grund: Der Vorsitzende Richter Matthias Wiese habe in seiner vorläufigen Rechtsauffassung erkennen lassen, dass er Hedgefonds nicht für schutzwürdig halte und eine Sittenwidrigkeit ihnen gegenüber ausscheide. Bei den Beigeladenen handele es sich aber um Hedgefonds. Die Musterklägerin ARFB Anlegerschutz UG - vertreten vom Tübinger Anwalt Andreas Tilp - schloss sich dem Antrag an.
Wiese vertagte seine Verhandlungsführung. Der für Freitag vorgesehene Folgetermin werde aber aufgehoben, damit über das Ablehnungsgesuch beraten werden könne.
dpa/LTO-Redaktion
Musterverfahren nach VW-Übernahmeschlacht: . In: Legal Tribune Online, 12.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24977 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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