Legal Tech ändert alles. Nicht nur die juristischen Berufe, sondern auch Geschäftsmodelle und sogar Organisationsstrukturen von Kanzleien. Das zumindest legt eine Studie des Bucerius CLP und der Boston Consulting Group nahe.
Die Botschaft ist klar: Kanzleien können es sich nicht länger erlauben, Legal Technology zu ignorieren. Denn die Digitalisierung macht vor der Rechtsberatung nicht halt, und für Kanzleien ist es deshalb essentiell, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen, wenn sie auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren wettbewerbsfähig bleiben wollen. Branchenbeobachter weisen seit langem unermüdlich auf diesen Befund hin. Doch zumindest im deutschen Kanzleimarkt ernten sie dafür entweder verständnislose Blicke oder wohlmeinende Interessensbekundungen – mehr aber auch nicht.
Denn hiesige Kanzleien nutzen Legal Technology noch kaum, und nur ungefähr zehn Start-ups bieten spezielle Software-Lösungen an. Tendenziell setzen sich Großkanzleien mit mehr als 100 Berufsträgern stärker mit Legal Tech auseinander als kleinere Kanzleien mit weniger als zehn Anwälten, die sich vor allem auf Standardgeschäft fokussieren. Einige Kanzleien, etwa CMS, haben gar eigene IT-Lösungen entwickelt, andere wie Dentons investieren in Legal-Tech-Start-ups. Jedoch passiert das nur selten aus eigenem Antrieb, sondern vor allem auf Druck von Mandanten.
Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie How Legal Technology Will Change the Business of Law, die das Bucerius Center on the Legal Profession (Bucerius CLP) gemeinsam mit der Boston Consulting Group erstellt hat. Dazu wurden 50 Interviews mit Partnern von Großkanzleien geführt, darunter die neun umsatzstärksten Kanzleien, die etwa 13 Prozent des gesamten Umsatzes von Rechtsanwaltskanzleien ausmachen. Zusätzlich wurden Besitzer und Vertreter von Legal-Tech-Unternehmen über die Auswirkungen von Legal Technology auf die Geschäftsmodelle von Kanzleien befragt.
Mehr Dienstleistung für weniger Geld
Legal Tech könnte den Kanzleien dabei helfen, den Anforderungen ihrer Mandanten besser zu entsprechen. Denn große Unternehmen behandeln ihre Anwälte inzwischen so, wie sie alle ihre Zulieferer behandeln: Sie erwarten mehr und bessere Dienstleistungen für weniger Geld. Sie wünschen mehr Transparenz bei der Honorargestaltung und eine reibungslosere Zusammenarbeit zwischen Rechtsabteilung und externen Anwälten.
Kommen die Law Firms diesen Erwartungen nicht nach, dann werden sie eben durch Wettbewerber ersetzt, ganz oder zumindest teilweise. Hier kommt Legal Technology ins Spiel: Mittels Software können Arbeitsabläufe digitalisiert und automatisiert werden, etwa das Auswerten von Vertragswerken, das Management von Fällen oder Back-Office-Arbeiten.
Computerprogramme könnten künftig 30 bis 50 Prozent der Aufgaben von Junior-Anwälten übernehmen und damit auch kostengünstiger erledigen, schätzen Branchenkenner – und genau das ist die Kehrseite der schönen neuen Technikwelt: Legal Tech gefährdet immer mehr Anwaltsjobs. Wie es in der Studie heisst, wird der Bedarf an Support Lawyers, Junganwälten und Generalisten zurückgehen. Stattdessen werden Projektmanager und Experten für Legal-Technology gefragt sein.
Mehr Projektmanagement, weniger Standardgeschäft
Um ihren Marktanteil zu halten und profitabel zu bleiben, sollten Kanzleien daher ihre Geschäftsmodelle überdenken, meinen die Studienautoren. Große Kanzleien könnten etwa dazu übergehen, nicht nur Rechtsberatung, sondern auch juristisches Projektmanagement anzubieten. Sie könnten beispielsweise als "Outsourcing Manager" auftreten, indem sie Due Diligences und anderes Standardgeschäft auf Dienstleister auslagern und nur noch komplexe Rechtsfragen selbst bearbeiten.
Denkbar wäre auch, dass Sozietäten die Rolle eines "Master Legal-Tech Vendors" übernehmen, wie es die Studienautoren formulieren. Sie vermitteln ihren Mandanten den richtigen Outsourcing-Partner für das Standardgeschäft und helfen ihnen dabei, Teams zusammenzustellen, die an hochkarätigen und komplexen Mandaten arbeiten. So behalten die Kanzleien die Kontrolle über die Mandate und festigen zudem die Mandantenbeziehung.
Auch die Wertschöpfungskette in den Kanzleien dürfte künftig anders aussehen, glaubt man der Studie. Wenn Law Firms dazu übergingen, weniger komplexe Arbeiten auszulagern und arbeitsintensive Standardaufgaben zu automatisieren, dann hätte dies auch ein Verschwinden oder zumindest einen Bedeutungsverlust der Stundenhonorare zugunsten von Festpreisen oder Erfolgshonoraren zur Folge.
Stein statt Pyramide
Letztlich stellt sich die Frage, wie sich die großen Kanzleien künftig aufstellen werden. Das traditionelle Pyramiden-Modell mit wenigen Partnern an der Spitze und vielen Projektanwälten und Associates am Boden wird womöglich einer Organisationsstruktur weichen, die eher die Form eines runden Kieselsteins hat, glauben die Studienautoren. Kennzeichen des neuen Modells ist demnach eine geringere Leverage, es kämen also weniger angestellte Anwälte auf einen Partner. Der Einsatz von Legal Technology gerade für Standard- oder leichte Aufgaben könnte dazu führen, dass die Leverage gegenüber dem gegenwärtigen Modell um bis zu drei Viertel sinkt.
Zugleich würde der "Kanzlei-Stein" ergänzt durch nichtanwaltliche Mitarbeiter, etwa Projektmanager oder Legal-Tech-Experten. Das bedeutet, dass die Zahl der Mitarbeiter einer Kanzlei wohl gleich hoch bliebe. Allerdings dürfte die Zahl der hochqualifizierten und spezialisierten Juristen sinken.
Die Autoren der Studie räumen ein, dass es nicht leicht ist, derart tiefgreifende Veränderungen umzusetzen. Allerdings könnten es sich die Kanzleien nicht erlauben, diese Mühen zu scheuen. Wer sich gemütlich zurücklehnt, der riskiert, von progressiveren Wettbewerbern an den Rand gedrängt zu werden.
Anja Hall, Studie: Legal Tech verändert Kanzleistrukturen: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18361 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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