LTO investigativ: Künstliche Intelligenz im Kanzleimanagement

Eine Satire von Dr. Anja Hall

01.05.2015

Werden Anwälte durch Computer ersetzt? Diese Frage treibt die Branche um. Eine internationale Wirtschaftskanzlei erprobt die Künstliche Intelligenz bereits im Arbeitsalltag und erklärt im Gespräch mit LTO investigativ, warum Associates im Datenraum doch die bessere Lösung sind und wieso der Kanzleigründer plötzlich arbeitslos ist.

Zunächst hatte man es für einen Rechenfehler gehalten. "Wir haben das Ergebnis dreimal überprüft", berichtet der Kanzleisprecher. Aber dann musste das Management einräumen, dass der Computer recht hat: Die Kanzleistandorte in Berlin und Gütersloh sind nicht rentabel. Sie sollen nun zum Jahresende geschlossen werden.

Die internationale Großkanzlei, die darum gebeten hat, ihren Namen vorerst nicht zu veröffentlichen, ist eine der ersten, die Computer im Kanzleimanagement einsetzt. Wie in anderen Sozietäten wurde auch hier Software getestet, mit deren Hilfe Standardprozesse, etwa bei M&A-Transaktionen, automatisiert werden können. "Aber das hat sich nicht gerechnet", erklärt der Leiter der M&A-Praxisgruppe. Es sei wirtschaftlich erheblich besser, weiterhin junge Associates im Datenraum einzusetzen. Das diene deren Ausbildung, außerdem könne man die Stunden dem Mandanten in Rechnung stellen. Die Anschaffungskosten der Software dagegen ließen sich nicht so ohne Weiteres umlegen.

Für sinnvoller hielt es das weltweite Kanzleimanagement daher, dort auf Computerunterstützung zu setzen, wo sich Juristen gewöhnlich etwas schwerer tun - bei der Kostenstruktur in der Kanzlei.

Versuch: Computer als Kanzleimanager

Seit neun Monaten läuft der Versuch: Ein Computer namens JAL 9000.2 - JAL steht für Juristic Algorithmic – ist viertes, gleichberechtigtes Mitglied des ansonsten dreiköpfigen internationalen Management Committees der Kanzlei. Gleichberechtigt bedeutet, dass er gewisse Entscheidungen selbstständig fällen darf. JAL beschäftigt sich ausschließlich mit dem Controlling, "weil Juristen ja für eine gewisse Rechenschwäche bekannt sind", wie der Kanzleisprecher mit einem Lächeln sagt.

Verblüffende Ergebnisse hat der Einsatz von JAL 9000.2 jedenfalls schon gezeigt. So berechnete er bereits in der ersten Woche nach seiner Implementierung, dass die Abteilung des in Branchenkreisen als Choleriker bekannten Kanzleigründers seit Jahren defizitär ist. "Wir haben das natürlich geahnt", so der Sprecher, "aber nicht gewagt, etwas zu sagen".

JAL 9000.2 dagegen hat mit Wirkung zum nächsten Monatsende eine automatisierte Kündigungsmail verfasst, außerdem das Diensthandy, Email-Postfach und Elektro-Dienstfahrrad des Namenspartners ausgeschaltet. Auch der Zugang in die Kanzlei wurde ihm verwehrt. "Es gab eine etwas unschöne Situation, als unser ehemaliger Partner festgestellt hat, dass sein Chip für die elektronische Türöffnung nicht mehr funktioniert", berichtet der Kanzleisprecher. "Wir mussten den Sicherheitsdienst rufen."

Ergebnis der Computer-Analyse: Zwei Standorte unrentabel

Nun hat JAL berechnet, dass zwei der vier Kanzleistandorte in Deutschland nicht rentabel sind. Nicht nur das: Er hat die Mietverträge für die Büroräumlichkeiten zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt, zudem wurden Kündigungen an alle angestellten Anwälte und Mitarbeiter und zeitgleich Pressemitteilungen an die Medien versendet, in denen über die Schließung informiert wird.

Den Partnern in Berlin und Gütersloh hat JAL neue Positionen an den Kanzlei-Standorten in Tijuana, Santiago de Chile und Manila angeboten. "Seine Auswertung hat ergeben, dass ihre Expertise dort noch nicht vertreten ist", erläutert die Kanzlei. Wie viele Partner auf diese Vorschläge eingehen werden, war zuletzt nicht bekannt.

Die Maßnahmen, die JAL ergriffen hat, sind einschneidend. Die Kanzlei wird in Deutschland auf einen Schlag 50 Prozent ihrer Berufsträger verlieren, darunter viele Anwälte, die ihre gesamte Karriere in der Sozietät verbracht haben. "Das ist menschlich natürlich schon ein wenig schade", räumt der Sprecher des Kanzleimanagements ein. "Aber wenn JAL es so berechnet hat, dann muss es ja richtig sein."

Zitiervorschlag

Anja Hall, LTO investigativ: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15413 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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