Nachhaltigkeitskooperationen von Unternehmen: Gut­achten sieht Locke­rung des Kar­tell­rechts kri­tisch

Wenn Wettbewerber zusammenarbeiten, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, fällt das Echo zunächst meist positiv aus. Aber was sagt das Kartellrecht zu solchen Kooperationen? Marcel Nuys und Florian Huerkamp wissen mehr.

Das Kartellrecht kann derzeit nur bedingt mitgehen, wenn Unternehmen kooperieren, um gemeinsam Ziele im Bereich der Nachhaltigkeit zu erreichen. Der wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat dies jüngst in einem Gutachten bestätigt. Darin wirbt der Beirat mit Blick auf weitere Reformbemühungen für eine klare Aufgabenverteilung zwischen Politik und Markt. Gegenüber weiteren Reformen des Kartellrechts zeigt er sich zurückhaltend.

Zunehmende Fallpraxis der Behörden 

Die Zusammenarbeit bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen beschäftigt Wettbewerbsbehörden und die Kartellrechtswissenschaft nach wie vor intensiv. So hat das Bundeskartellamt etwa jüngst entschieden, nicht gegen eine gemeinsame Initiative im Pflanzenhandel einzuschreiten, die ein Mehrwegsystem für den B2B-Transport von Topfpflanzen anstelle von Plastikträgern einführt. Weitere Verfahren des Bundeskartellamts betrafen etwa die Brancheninitiative des Forums Nachhaltiger Kakao e.V. zur Sicherung existenzsichernder Einkommen von Kakaobauern oder die Initiative Tierwohl, die sich mit der Verbesserung von Haltungsbedingungen befasst.      

Die französische Autorité de la Concurrence sieht kein Problem in einer gemeinsamen Initiative, in der Wettbewerber Standards festlegen, mit denen Umweltauswirkungen der Produktion von Tiernahrung gemessen werden sollen. Genauso wenig hält die holländische Wettbewerbsbehörde eine branchenweite Vereinbarung zu Nachhaltigkeitsstandards (Verpackung, Logistik, etc.) im E-Commerce-Bereich für problematisch. 

Bei aller Unterschiedlichkeit der genannten Initiativen ähneln sie sich in einem wesentlichen Punkt: Die Teilnahme an ihnen ist freiwillig, und so bestimmen sie nicht direkt das Wettbewerbsverhalten der Unternehmen. Französischen Tiernahrungsherstellern bleibt es beispielsweise unbenommen, weniger nachhaltige und damit vielleicht billigere Produkte in den Markt zu bringen. Damit orientieren sich die europäischen Initiativen und ihre Beurteilung an dem "safe harbour", den die EU-Kommission in ihren Horizontalleitlinien vom Juli 2023 festgelegt hat. 

Deutlich kontroverser verläuft die Debatte in den USA: Hier haben verschiedene Generalanwälte der Bundesstaaten Unternehmen, die sich an der "Glasgow Financial Alliance for Net Zero" beteiligen, unter anderem einen Verstoß gegen das Kartellrecht vorgeworfen und damit für erhebliche Unsicherheit unter den beteiligten Unternehmen gesorgt. 

Weiterer Reformbedarf in Deutschland? 

Während also die europäische Kartellrechtspraxis Nachhaltigkeitsinitiativen von Wettbewerbern deutlich offener gegenübersteht als die USA, geht auch in Europa die Debatte über weitere Reformen des Kartellrechts ungemindert weiter. Die Niederlande haben Leitlinien zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen herausgegeben und die griechische Behörde hat eine "Sustainability Sandbox" eingerichtet, in der Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen gemeinsame Initiativen gleichsam "unter Aufsicht der Behörde" ausprobieren können. 

Das BMWK hat in seiner wirtschaftspolitischen Agenda 2022 dazu aufgerufen, bei der weiteren Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Aspekte der Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Das Ministerium erwägt, ob es für die Transformation zu einer sozial-ökologischen Nachhaltigkeit gesetzlichen Änderungsbedarf gibt, um Kooperationen zwischen Unternehmen zur Erreichung übergesetzlicher Standards zur Nachhaltigkeit zu fördern.

Der wissenschaftliche Beirat beim BMWK zeigt sich in seiner am 5. Juni 2024 veröffentlichten Stellungahme allerdings sehr zurückhaltend mit Blick auf weitere Lockerungen des Kartellrechts. Und er hebt hervor, dass es bereits heute "vielfältige Möglichkeiten" im Kartellrecht gibt, um Nachhaltigkeitskooperationen von Wettbewerbern zuzulassen. 

Dürfen Kartellbehörden höhere Kosten für Verbraucher hinnehmen?

Die verbleibende "Gretchenfrage" ist, ob Wettbewerber – über Fragen gemeinsamer freiwilliger Standards hinaus – auch harte Absprachen zu ihrem Verhalten im Wettbewerb treffen dürfen. Der holländische Kraftwerksfall veranschaulicht das: In einem Energieabkommen verabredeten Betreiber von Kohlekraftwerken die Abschaltung von insgesamt fünf niederländischen Kohlekraftwerken, worin die niederländische Behörde einen Verstoß gegen das Kartellverbot erkannte. Die Kernfrage ist, ob Wettbewerbsbehörden eine solche Kooperation zulassen dürfen, die den Strompreis für Stromkunden in Holland erhöht, aber gleichzeitig einen weltweiten Nutzen durch Einsparung von CO2 leisten mag.

Der wissenschaftliche Beirat beim BMWK plädiert klar dafür, die Kartellbehörden weiterhin auf den Schutz des Wettbewerbsprinzips und die Wahrung der Verbraucherwohlfahrt zu beschränken. Führt eine Kooperation zwischen Wettbewerbern zu Nachteilen für die Verbraucher, die von der Initiative betroffen sind, dürfen Wettbewerbsbehörden sie nicht zulassen. Die Argumente des Beirats wiegen schwer: Es ist Aufgabe der (demokratisch legitimierten) Politik und nicht der Kooperation von Wettbewerbern, den zulässigen Handlungsrahmen im Wettbewerb festzulegen. 

Spricht man Kartellbehörden pauschal die Aufgabe zu, positive und negative Auswirkungen von Absprachen zwischen Wettbewerbern außerhalb des engen Kriteriums der Verbraucherwohlfahrt umfassend gegeneinander abzuwägen, überfordert man sie. Der Beirat verweist insoweit auf negative Erfahrungen in der Schweiz, wo die Wettbewerbsbehörde bis Mitte der 90er Jahre im Rahmen einer "Saldotheorie" bei ihrer Entscheidung alle einschlägigen wirtschaftlichen und sozialen Faktoren einbeziehen und gegeneinander abwägen sollte. Dieses Experiment sieht der Beirat genau wie der schweizerische Gesetzgeber als gescheitert an. 

Kartellrechtlicher Nachhaltigkeitsfreibrief nicht zu erwarten

Bei aller Betonung von sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit wäre es überraschend, wenn sich der Gesetzgeber im Rahmen der 12. GWB-Novelle zu einer umfassenden kartellrechtlichen Freistellung von Nachhaltigkeitskooperationen entschließen würde. Die mit einer solchen Reform verbundenen Nachteile für den Wettbewerbsschutz wiegen zu schwer, wie der Beirat in seiner Stellungnahme ausführlich darlegt. 

Es wird somit dabei bleiben, dass Unternehmen, die mit Wettbewerbern zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen zusammenarbeiten möchten, die kartellrechtlichen Grenzen genau im Auge behalten müssen.   

 

Dr. Marcel Nuys ist Partner, Dr. Florian Huerkamp ist Counsel bei der Kanzlei Herbert Smith Freehills in Düsseldorf.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Nachhaltigkeitskooperationen von Unternehmen: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54955 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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