Neues Jahr, neues Glück? Durch Corona sind viele Unternehmen gezwungen, sich strategisch neu aufzustellen. Im Interview gibt Nadine Dlouhy Tipps, wie das gelingen kann.
LTO: Frau Dlouhy, seit mehr als zwanzig Jahren sind Sie Unternehmensberaterin für strategisches Management, Digitale Innovation und Kommunikation. Jobverluste, Kurzarbeit und Homeoffice prägten die vergangenen zwei Jahre der Corona-Pandemie. Haben Sie das Gefühl, dass sich dadurch mehr Menschen beruflich verändern wollen?
Nadine Dlouhy: Der Wille war schon vorher da, aber jetzt haben viele gar keine andere Wahl mehr oder fassen endlich Mut. Viele Unternehmen waren stark fokussiert auf den Ist-Zustand, anstatt Geschäftsmodelle zu transformieren oder neue Modelle zu entwickeln.
Beim Thema Digitalisierung ist Deutschland abgeschlagen – und weiterhin auch als Wirtschaftsstandort jeglicher Couleur. Das ist sehr traurig, in einem Land der Denkenden, der Forschenden, der Entwickelnden. Wir haben tolle Universitäten, tolles Wissen - aber es wird zu wenig draus gemacht. Entweder findet es kein Gehör oder in vielen Positionen sitzen Führungspersönlichkeiten, die glauben, dass es so noch drei oder vier Jahre weitergehen kann.
Insofern müssen Unternehmen sich verändern – und wollen das auch. Sie verstehen jetzt, dass wir uns gegen dynamische Marktentwicklungen nicht wehren können. Die Munition war schon vorher da, Corona war nur die Zündschnur.
Gibt es konkrete Anhaltspunkte, an denen man festmachen kann, dass es Zeit für eine Veränderung ist?
Wenn der Umsatz einbricht, ist es schon zu spät. Beim ständigen Austausch mit seinem Umfeld merkt man schnell, dass sich ein Wandel abzeichnet. Zur Umfeldanalyse gehört der Wettbewerb, die Märkte, die Menschen, die Zielgruppen, aber auch die Politik.
Ich muss Signale von außen erkennen und handeln. Wie sieht mein Beruf der Zukunft aus, wo sehe ich meine Anwaltskanzlei, wo möchte ich mich platzieren? Je nachdem, auf welches Rechtsgebiet ich spezialisiert bin, gibt es unterschiedliche Dynamiken. Mit der neuen Ampel-Koalition wird das Baurecht eine andere Dynamik bekommen, das Arbeitsrecht ohnehin.
In den Vereinigten Staaten nutzen Gerichte immer häufiger Künstliche Intelligenz (KI) bei Prozessen. Sämtliche Unterlagen eines komplexen Falles wurden allein durch KI gelesen – und die war deutlich schneller und hat weniger Fehler gemacht, als die Menschen. Auch für die Anwaltskanzlei der Zukunft wird KI wichtig. Die Digitalisierung ersetzt nicht den Menschen, denn wir haben sie selbst geschaffen.
Der Mensch ist und bleibt der Erfolgs- und Innovationsfaktor Nummer eins in unserer Welt. Deshalb müssen wir die "Kompetenz Mensch" stärken und den digitalen Wandel aktiv für uns nutzen. In Zeiten der Digitalisierung wird die Individualisierung immer wichtiger. Dies betrifft nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen. Ein Unternehmen, das, exakt das gleiche macht wie ihre Konkurrenz, wird es schwer haben.
"Scheitern gehört zu unserer Erfolgskultur"
Folgendes Szenario: Ich bin in meinem Job seit längerem unzufrieden und weiß, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Mir ist aber noch nicht klar, wohin die Reise gehen soll. Wie halte ich die Frustphase möglichst kurz?
Stillstand ist das Schlechteste; nicht zu handeln ist keine Option. Bei unterlassener Unternehmensführung fährt man mit Ansage gegen die Wand.
Scheitern gehört auch zu unserer Erfolgskultur, das müssen wir uns bewusst machen. Gerade Anwältinnen und Anwälte wollen berechtigterweise nicht scheitern; sie haben Kampfgeist und jeder verlorene Fall schadet der Reputation. Allerdings müssen wir uns in diesen Zeiten, in denen wir heute aktiv das Morgen gestalten, auch eine gewisse Fehlerkultur erlauben. Denn nur so werden wir merken, ob es der richtige Weg ist. Also einfach Dinge ausprobieren und aus Fehlern lernen.
Es gibt nicht nur eine Strategie. Wenn ich mit jungen Manager:innen spreche, reden diese immer von einer "Wachstumsstrategie". Wer geht denn per se seit Jahrzehnten davon aus, dass wir jedes Jahr um zwei Prozent wachsen müssen? Vielleicht ist eine andere Strategie klüger, etwa das Unternehmen internationalisieren oder mehr in die Digitalisierung investieren. Angst vor dem Wandel zu haben, ist keine Lösung. Wir müssen uns motivieren, dass aus uns selbst der Wandel kommt.
Wenn ich als Inhaberin einer Kanzlei feststelle, dass die Umsätze zurückgehen und die Mandate ausbleiben – was kann ich dann tun?
Zunächst Ursachenforschung betreiben. Woran liegt es? Hierzu können Sie sich auch Feedback einholen und den Wettbewerb beobachten. Liegt es am Vertrauen, liegt es an der Kompetenz, an der Kommunikation? Wichtig ist Selbstreflexion, denn ein kritischer Blick kann sehr wertvoll sein.
Derzeit nutzen wir nur einen Bruchteil unseres Potenzials. Wir erfüllen die Rolle, die man vermeintlich von uns erwartet. Das ist nicht nur in der Anwaltschaft so, sondern in vielen anderen Branchen auch. Wir sollten uns fragen, was unsere Kompetenzen sind und wie wir diese optimal nutzen können. So könnten wir auch Ansätze für eine neu gestaltete Zukunft finden.
"Alleinstellungsmerkmale schützen vor Unternehmenskannibalismus"
Worum geht es den Kanzleien, die Sie beraten, und wie können Sie ihnen helfen?
Auch bei den Kanzleien gibt es ein erhöhtes Wettbewerbsaufkommen, deshalb spielt das Thema "Alleinstellungsmerkmal" eine große Rolle. In Zeiten von Preis-Produkt-Gleichheit und Unternehmenskannibalismus wird es auch für Branchen, die vorher unantastbar waren, z.B. die Rechtsanwaltschaft und die Steuerberatung, schwieriger, sich mit einem Mehrwert im Markt zu positionieren.
Kanzleien betrachten regelmäßig vor allem die Produktseite, also die Dienstleistungsseite, anstatt der Käuferseite. Allerdings befinden wir uns in Käufermärkten und müssen uns nach unserer Zielgruppe richten. Wonach suchen die Menschen, welche Bedürfnisse haben sie?
Dafür können Kanzleien sich auch bei Unternehmen, die langjährige Mandanten sind, erkundigen, wie sie sich in Zukunft entwickeln wollen und in welcher Hinsicht sie Beratung und Unterstützung benötigen.
Welches sind mögliche Alleinstellungsmerkmale von Kanzleien, wenn es darum geht, eine Marke herauszubilden?
Es gibt zum Beispiel Full-Service-Kanzleien, die alle Rechtsgebiete abdecken. Andere punkten mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Weitere Sozietäten haben sich einen Namen für eine bestimmte Branche gemacht und wollen in diesem Bereich Knowhow haben, weil sie glauben, dass die Mandant:innen in Zukunft einen anderen Bedarf an Rechtsberatung haben. Ich halte es für sinnvoll, sich auf Kernkompetenzen zu beschränken und sich in Nischen zu platzieren. Man kann selbst diese Nischen gestalten.
"Gründen können viele, wachsen nicht"
Ich bin angestellte Rechtsanwältin/angestellter Rechtsanwalt in einer Kanzlei. Seit längerem spiele ich mit dem Gedanken, mich selbstständig zu machen, habe mich bislang aber noch nicht getraut. Wie gelingt es mir, meine Ideen umzusetzen?
Erst vor kurzem war ich auf einem Gründungsseminar der FAZ als Expertin. Die Gründungszahl von 2010 bis heute hat sich verdoppelt – das ist fantastisch, viele tolle Projekte sind dabei. Allerdings muss man sagen: Gründen können viele, wachsen nicht.
Darum geht es aber. Man soll nicht nur dabei sein, sondern überleben, aktiv gestalten. Gut ist es, sich in einem Bereich zu positionieren, in dem andere Kanzleien ihre Schwächen haben. Zum Beispiel ist "Geschwindigkeit" ein Qualitätskriterium – wenn ich merke, dass mein Anwalt oder meine Anwältin mich sofort zurückruft, habe ich mehr Vertrauen, als wenn ich ständig hinterher telefonieren muss.
Das Thema "Zeit als Innovationsfaktor" ist ein wichtiger Punkt, den Anwaltskanzleien in Zukunft beachten müssen. Die Ressource "Zeit" ist das höchste Gut, was wir haben, und gleichzeitig das limitierteste, sowohl auf den Tag als auch auf unser Leben bezogen.
Wie sieht für Sie die Anwaltskanzlei der Zukunft aus?
Sehr digital. In Zukunft werden wir vermehrt mit KI arbeiten, die für uns Entscheidungen trifft.
Außerdem können wir durch die Digitalisierung von Prozessen einen Mehrwert generieren. So können wir am effizientesten für unsere Mandant:innen arbeiten.
Digitalisierung hat was mit einer Entscheidung zu tun. Sind wir aktiv als Unternehmensgestalter oder nur Unternehmensbewohner? Und das ist ausschlaggebend dafür, ob Unternehmerinnen und Unternehmer auch einen Platz in der Zukunft haben.
Nadine Dlouhy ist im Bereich der strategischen Marktentwicklung tätig. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen "Digitale Innovation" und "Strategisches Management". Als CEO der Brandlite GmbH unterstützt sie regelmäßig Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Neuausrichtung und Positionierung. Zudem ist sie als Dozentin an der Hochschule Fresenius University of Applied Science tätig und Autorin des Buches "Think Innovation - der Management-Ratgeber".
Strategische Neuausrichtung des eigenen Unternehmens: . In: Legal Tribune Online, 16.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46934 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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