Nicht erst seit dem VW-Abgasskandal setzen Vorstände und Aufsichtsräte auf Kanzleien, die Strafbares im Unternehmen recherchieren. Binden sie die Staatsanwälte nicht ausreichend ein, drohen auch den Anwälten Durchsuchungen und Beschlagnahmen.
Der Siemens-Skandal, die HSH Nordbank, Ferrostaal und jetzt Dieselgate: In großen Wirtschaftsstrafsachen zieht sich der Staat aus der Sachverhaltsermittlung immer weiter zurück. Die Hauptgründe für diesen Paradigmenwechsel sind laut Strafverteidiger Prof. Dr. Jürgen Wessing fehlende Ressourcen, Bequemlichkeit und schlechte Vorbilder. Den staatlichen Ermittlern fehlen Spezialisten im IT-Bereich, Dokumentenverwaltungssysteme und Spezialisten darin sowie auch auf das Wirtschaftsstrafrecht spezialisierte Ermittler.
"Die Möglichkeit von Ermittlungsbehörden, in hochkomplexen Verfahren mit Terabyte an Daten und Lastwagen voll von Akten Aufklärung zu betreiben, sind oftmals begrenzt. Wer einmal internal Investigations in einem Daxkonzern gemacht hat, weiß, dass Informationen in diesen Leviathanen so verstreut zu finden sind, dass es auch für Insider schwer ist, sie sinnvoll zusammenzuführen. Für einen Ermittler, der die Struktur des Unternehmens und die damit gegebene Informationszersplitterung nicht kennt, umso schwerer", erklärt der Namenspartner der auf Unternehmensstrafrecht spezialisierten Kanzlei Wessing & Partner.
Manchmal ist es laut Wessing aber auch Bequemlichkeit, welche die Staatsanwaltschaft daran hindere, sich überhaupt an eine solche Sisyphusarbeit heran zu wagen. "Und letztlich das schlechte Beispiel: In den Vereinigten Staaten sind interne Ermittlungen grundsätzlich Sache der Unternehmen, mithilfe einer Subpoena, einer unter Strafandrohung stehenden Aufforderung, alle relevanten Fakten den Ermittlungsbehörden zu übergeben, wird die Aufgabe der Ermittlung faktisch in die Hände der Unternehmen gelegt".
Bei den internen Ermittlungen lautet der Deal zwischen Staatsanwaltschaften und Unternehmen: Ihr ermittelt intern, wir warten auf den Abschlussbericht und lassen Euch so lange in Ruhe, bis Ihr liefert. Das funktioniert allerdings nicht immer. Zuletzt sorgte die jüngste Durchsuchungsaktion der Staatsanwaltschaft München gegen VW- und Audi-Manager für Furore: Sie betraf auch Anwälte der intern ermittelnden US-Kanzlei Jones Day.
"Ermittlungen immer mit der StA abstimmen"
Jürgen Wessing erklärt: "Es gibt auch Staatsanwaltschaften, die es überhaupt nicht gerne sehen, wenn intern ermittelt wird. Das Misstrauen hat sich in der letzten Zeit gesteigert, weil vielfach Kanzleien eingesetzt werden, die höchstens zugekaufte strafrechtliche Gene haben. Wenn es denn solche Deals gibt, erfolgen sie zumeist auf der Grundlage der Übergabe erster Ergebnisse."
Die Durchsuchungen bei VW, Audi und in deutschen Büros von Jones Day belegen, dass zumindest die Staatsanwaltschaft München mit ihrer Geduld am Ende ist. Auch wenn die genauen Details wohl nur die unmittelbar Beteiligten kennen, ist auffällig, dass die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen eingeleitet wurden, nachdem VW erklärt hatte, den Abschlussbericht der internen Ermittler nicht zu veröffentlichen. "Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen Unternehmen, insbesondere Durchsuchungsmaßnahmen, sind nur dann erforderlich und damit verhältnismäßig, wenn der Tatvorwurf nicht anders aufgeklärt werden kann", erläutert Prof. Dr. Alfred Dierlamm.
Sichere das Unternehmen glaubhaft eine Aufklärung des Sachverhalts durch eigene Untersuchungen zu, gebiete es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, diese Aufklärung zunächst abzuwarten, um auf dieser Grundlage über weitere Ermittlungen zu entscheiden. "Wichtig ist, dass interne Untersuchungen bei laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen mit der Staatsanwaltschaft vorher abgestimmt werden. Geschieht dies nicht, kann es zu Irritationen kommen, die dem Unternehmen schaden können", betont Alfred Dierlamm*.
*Anm. der Red: Das Zitat wurde zuerst Jürgen Wessing zugeordnert. Berichtigt am 13.04., 15:25
Durchsuchungen von Kanzleien bei Internal Investigations: . In: Legal Tribune Online, 13.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22656 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag