Ein Tourismusunternehmen hat Kartellbeschwerde gegen die Google-Mutter Alphabet eingelegt, weitere Reiseanbieter planen das auch. Die Vorwürfe erinnern stark an das Verfahren zu Google Shopping, meinen Jens Steger und Sven Klüppel.
Allem Anschein nach droht der Google-Mutter Alphabet ein neues Verfahren wegen möglicher Verstöße gegen das EU-Kartellrecht. Denn der Suchmaschinenanbieter erschließt sich mittlerweile, über Erweiterungen seiner Such- und Kartendienste, Schritt für Schritt den Markt für Reisevermittlungsdienste. Verschiedene Touristikanbieter sehen sich dadurch bedroht und werfen Google marktmissbräuchliches Verhalten vor.
Den Anfang machte HomeToGo. Der Anbieter einer spezialisierten Metasuchmaschine für Ferienhäuser und Ferienwohnungen hat Mitte August Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt. HomeToGo bemängelt, dass es bei Google-Suchanfragen nach Ferienwohnungen häufig überhaupt nicht erscheine und Google demgegenüber die eigenen Vergleichsangebote massiv bevorzuge. Das Anliegen von HomeToGo wird von anderen namhaften deutschen Touristikunternehmen unterstützt. Einige ziehen entsprechende eigene Beschwerden in Betracht oder bereiten sie bereits vor.
Flixbus, Trivago, Getyourguide und Omio haben zusammen mit HomeToGo ein Positionspapier erarbeitet, in dem sie zahlreiche weitere Vorwürfe gegen das Geschäftsgebaren von Alphabet erheben. Die Unternehmen werfen Google darin vor, über die eigene Werbetätigkeit gezielt wettbewerbsrelevante Daten von den Reisevermittlern zu stehlen und sich auch redaktionelle Inhalte der Anbieter zu eigen zu machen. Ihre Befürchtung: Google wolle mehr und mehr mit ihnen in direkte Konkurrenz treten und sie letztlich vom Markt verdrängen.
Dabei stehen die deutschen Reiseunternehmen keineswegs allein mit ihrer Kritik. Schon im vergangenen Jahr hatten etwa die US-Plattformen TripAdvisor und Expedia festgestellt, dass Googles neue Aktivitäten im Tourismus-Bereich auch ihre Geschäftstätigkeit beeinträchtige.
Es wäre nicht das erste Wettbewerbsverfahren gegen Google
Auch wenn die Kommission bislang auf die Vorwürfe nicht reagiert hat, darf davon ausgegangen werden, dass die Wettbewerbshüter die Beschwerden mit größter Aufmerksamkeit prüfen werden. Zum einen steht die Tourismusbranche durch die Coronakrise zurzeit ohnehin unter erheblichem Druck, zum anderen ist Google, was Wettbewerbsverstöße angeht, für die Kommission durchaus kein unbeschriebenes Blatt.
Die EU-Kommission hat in den letzten Jahren bereits mehrfach horrende Bußgelder gegen Google aufgebrummt: Im Jahr 2017 verhängte die Behörde ein Bußgeld in Höhe von 2,42 Milliarden Euro gegen Google wegen Bevorzugung des eigenen Preisvergleichsdienstes Google Shopping, im Jahr 2018 folgte ein Bußgeld von 4,34 Milliarden wegen unlauterer Praktiken in Bezug auf das Android-Betriebssystem, und 2019 schließlich strafte die Kommission Google AdSense mit einem Bußgeld von 1,49 Milliarden für die Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung auf dem Online-Werbemarkt ab.
Erinnerungen an Google Shopping werden wach
Insgesamt erinnern die aktuellen Vorwürfe stark an das Verfahren zu Google Shopping: Die Kommission hat damals einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung von Google auf dem Markt für Onlinesuchen dadurch als gegeben gesehen, dass Google bei Suchanfragen zu Produkten Nutzern bevorzugt eigene Angebote unterbreitete. Konkurrierende Preisvergleichsdienste sind demgegenüber nach der Feststellung der Kommission im Ranking auf den allgemeinen Suchergebnisseiten von Google herabgesetzt worden.
Insbesondere hatte die Kommission beanstandet, dass die Suchergebnisse der anderen Preisvergleichsdienste klar benachteiligt wurden. Denn durch die besondere Hervorhebung und Platzierung der Angebote von Google-Shopping konnten die Nutzer die Angebote der Konkurrenten überhaupt nicht in gleicher Weise wahrnehmen. Zuletzt hatte sich diesbezüglich im Februar 2020 eine Gruppe von 41 Preisvergleichsportalanbietern an die EU-Kommission gewandt und darum gebeten, Googles Geschäftspraktiken erneut zu prüfen. Sie sehen sich weiter benachteiligt.
Das letzte Wort ist in diesem Verfahren so oder so noch nicht gesprochen. Aktuell verhandelt das Gericht der Europäischen Union (EuG) über Googles Rechtsmittel gegen den Kommissionsbeschluss. Einer von Googles Kernkritikpunkten ist, dass es durch den Beschluss der EU-Kommission letztlich daran gehindert werde, sein Angebotsspektrum zu erweitern. Dies aber würde auch den Verbrauchern zugutekommen und den Wettbewerb für diese transparenter machen. Sollte das EuG die Kommissionsentscheidung jedoch aufrechterhalten, dürfte dies ein erneutes Einschreiten der Kommission wahrscheinlicher machen und auch zu einem Umdenken bei Google bezüglich seiner Strategie im Touristikbereich führen.
Expansion in den Touristiksektor ist Teil der Gesamtstrategie
Googles jüngste Expansion in den Reisesektor kann dabei durchaus als Teil der Gesamtstrategie des Unternehmens angesehen werden: Es will seinen Nutzern verstärkt unmittelbar eigene Ergebnisse liefern. War Google in seiner Anfangszeit noch ein reiner Informationsvermittler, bietet es mittlerweile mehr und mehr Informationen aus erster Hand. Eine Prüfung der Recherchegruppe The Markup hatte im Juli ergeben, dass Google deutlich öfter eigene Inhalte auf der ersten Seite seiner Suchergebnisse präsentiert.
Eine Analyse anhand von 15.000 Testsuchen ergab, dass im Schnitt 41 Prozent der Resultate, die auf der ersten Seite angezeigt werden, auf Google eigene Dienste zurückverwiesen. Innerhalb der oberen 15 Prozent der Suchergebnisanzeige auf Seite 1 lag dieser Wert sogar bei 63%. Dieser Ansatz war in den letzten Jahren schon Onlineunternehmen aus mehreren Branchen – etwa Nachrichten- und Wetterportalen – ein Dorn im Auge, die sich mit wechselndem Erfolg dagegen zur Wehr setzten.
Insbesondere auf dem Touristikmarkt führt diese Strategie aber zu Verwerfungen, da sich die Reisevermittler in einer prekären Situation befinden. Zum einen stehen die Unternehmen durch die Coronakrise aktuell massiv unter Druck. Die Umsatzeinbrüche sind immer noch spürbar und eine Erholung des Marktes wird wohl frühestens im nächsten Jahr eintreten.
Reisevermittler sind auf Google angewiesen
Gleichzeitig sind spezialisierte Reisevermittler wie HomeToGo für ihre Werbung auf Google angewiesen. Für viele Verbraucher sind die Suchmaschine des Konzerns und sein Kartendienst die erste Anlaufstelle, wenn sie eine Reise planen. Zugleich versorgen die Reisevermittler Google im Rahmen dieses Werbegeschäfts mit einer Vielzahl an Daten.
Tritt Google nun mit ihnen in direkte Konkurrenz, besteht die Gefahr, dass die Unternehmen in doppelter Hinsicht ihren eigenen Untergang befördern: Zum einen versorgen sie Google laufend mit aktuellen Informationen zur eigenen Geschäftstätigkeit. Das würde es dem Unternehmen erleichtern, profitable Geschäftsfelder zu identifizieren. Zum anderen kann Google durch sein weiterhin einträgliches Werbegeschäft die Reisevermittlungstätigkeit quersubventionieren, bis sich der Markt - auch zu seinen Gunsten - wieder erholt und konzentriert hat.
Bezeichnend war insofern, dass noch im Frühjahr mehrere deutsche Reiseunternehmen mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums Alphabet um Zahlungsaufschübe und Sonderrabatte für ihre Werbung bei Google gebeten hatten – die angesichts der Coronakrise und zahlreicher Reiserücktritte letztlich fruchtlos geblieben war. Anders als andere große Anbieter von Onlinewerbung wie Facebook oder Microsoft hat Google entsprechende Ansinnen jedoch abgelehnt.
Es bleibt gleichwohl abzuwarten, wie die EU-Kommission auf die nun erhobenen Vorwürfe reagieren wird. Aber Brüssel wird nach den Verfahren der vergangenen Jahre und mit Blick auf die Probleme, vor denen die europäische Touristikbranche durch die Coronapandemie steht, sicher wenig Geduld mit Alphabet haben, wenn sich diese bestätigen sollten.
Die Autoren: Dr. Jens Steger leitet die deutsche Kartellrechtspraxis bei Simmons & Simmons in Frankfurt. Sven Klüppel ist Associate in derselben Praxisgruppe.
Reise-Startups werfen Alphabet Marktmissbrauch vor: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42658 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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