Gleiss Lutz hatte für das BfR erreicht, dass "Frag den Staat" eine Stellungnahme zum Glyphosat-Gutachten offline nehmen musste. Nun ist sie wieder online, weil die Kanzlei die e.V. nicht formfehlerfrei zugestellt hat.
Gleiss Lutz hat Fehler gemacht. Nicht einen, sondern ungefähr fünf. Die Kanzlei hatte für das staatliche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor dem Landgericht (LG Köln) eine einstweilige Verfügung (e.V.) gegen die Bürgerinformationsplattform "Frag den Staat" erwirkt. Es ging eine Stellungnahme des Instituts zur Wirkung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat, die der Projektleiter von "Frag den Staat", Arne Semsrott, veröffentlicht hatte.
Da Gleiss diese dem Verein trotz mehrmaliger Versuche aber nicht wirksam zugestellt hat, ist die Stellungnahme auf den Widerspruch der Plattform hin nun wieder online. Das Institut, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium untersteht, äußert sich in der Stellungnahme zu einer Arbeit der Internationalen Agentur für Krebsforschung (englisch IARC). Die war zu dem Ergebnis gekommen, dass Glyphosat "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" sei. Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat war 2017 in der EU nach monatelangem Streit für weitere fünf Jahre zugelassen worden.
Die 2011 gegründete Bürgerinformationsplattform "Frag-den-Staat", die zur Open Knowledge Foundation Deutschland gehört, hatte das Gutachten vom BfR angefordert, erhalten und auch veröffentlicht. Das Landgericht (LG) Köln hatte der Plattform aber per einstweiliger Verfügung untersagt, das Gutachten zu verbreiten (Beschl. v. 19.03.2019, Az. 14 O 86/19). Das Bundesamt argumentiert mit dem Vorliegen eines Urheberrechtsverstoßes. Es hatte der Plattform mit der Stellungnahme "Generelle Hinweise zum Urheberrecht" geschickt, nach denen die Übermittlung ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erfolge und die Veröffentlichung ohne schriftliches Einverständnis nicht erlaubt sei. "Frag den Staat" veröffentlichte trotzdem – und bekam prompt die Abmahnung. Die Plattform erhob daraufhin negative Feststellungsklage am LG Berlin, in der Sache wurde gerade die Klageerwiderungsfrist verlängert.
In Köln erging derweil auf Antrag des Bundesamts im März die einstweilige Verfügung gegen "Frag den Staat". Der Beschluss, der LTO vorliegt, ging dem BfR am 22. März zu, das Institut hatte dann einen Monat Zeit, ihn an "Frag den Staat" zuzustellen.
Einstweilige Verfügung: "Exemplar lassen, wie es ist"
Der entscheidende Tag war der 23. April, der Dienstag nach Ostern. Spätestens zu diesem Datum hätte der Beschluss formfehlerfrei beim Antragsgegner, Arne Semsrott, ankommen müssen. An ihn musste auch zugestellt werden, weil die Berliner Kanzlei Thomas Rechtsanwälte sich für das außergerichtliche Verfahren erst am 12. April bestellte. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte die Vollziehung der einstweiligen Verfügung also nur durch Zustellung im Parteibetrieb an "Frag den Staat" selbst erfolgen.
Gleiss Lutzt beauftragte also einen Gerichtsvollzieher (§ 191 ZPO). Dabei ließ die Kanzlei Ende März und Anfang April sowohl an "Frag den Staat" als auch an die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestellten Anwälte zustellen.
"Das Gesetz sieht in §§ 329, 317, 169 ZPO vor, dass dem Antragsteller (auf Antrag) eine Ausfertigung und eine beglaubigte Abschrift zugestellt wird. Die Ausfertigung ist dabei mit einem gerichtlichen Stempel und einer Unterschrift der Geschäftsstelle versehen. Die beglaubigte Abschrift kann zudem auch maschinell mit einem gedruckten Gerichtssiegel – ohne Unterschrift – hergestellt werden, § 169 Abs. 3 ZPO", erklärt Miriam Müller, Richterin und Pressesprecherin am LG Köln. Und weiter: "Man kann entweder die beglaubigte Abschrift oder die Ausfertigung wirksam zustellen." Die Ausfertigung der einstweiligen Verfügung sei konkret dafür vorgesehen, dass sie ohne weitere Veränderung an den Antragsgegner zugestellt werden kann. Das LG Köln hat an die Antragstellerseite zudem eine einfache Abschrift verschickt, welche mit keinem besonderen Beglaubigungsvermerk versehen ist – das spielt aber keine weitere Rolle.
"In der Praxis wird dieses Original, ohne es auseinander zu nehmen, kopiert und gescannt, um es zur Akte zu nehmen", erklärt Martin W. Huff, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Rechtsanwalt in der Sozietät Legerlotz Laschet Rechtsanwälte. "Selbst wenn die Kopie durcheinandergerät, stellt man einfach das Original zu. Schon eine fehlerhafte Zusammenstellung der Seiten führen sonst zu einem massiven Formfehler", so der Anwalt.
Kombination von zwei Fassungen
Ob die Anwälte von Gleiss Lutz die einstweilige Verfügung auseinandergenommen haben, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass sie nicht das vom Gericht erhaltene achtseitige Dokument plus Anlagen zugestellt haben. Gleiss Lutz hat eine Fassung zugestellt, in der offenbar entweder die 1. Seite der Ausfertigung mit der beglaubigten Abschrift oder die beglaubigte Abschrift mit der letzten Seite der Ausfertigung vermischt wurde – die erste und letzte Seite passen so jedenfalls nicht zusammen.
Damit sind sowohl die zwei versuchten Zustellungen an Semsrott als auch an die – ohnehin teilweise noch nicht bestellten - Anwälte Thomas mit Formfehlern behaftet und daher nicht wirksam zugestellt worden. Ein erneuter Zustellungsversuch im Mai war verfristet – die Zustellung hätte wie gesagt gem. §§ 929 Abs. 2, 936 Zivilprozessordnung (ZPO) binnen Monatsfrist bis Dienstag nach Ostern erfolgen müssen. Eine Heilung derartiger Fehler ist nicht möglich, die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand lehnte das LG Köln ab. Auf den Widerspruch von "Frag den Staat" hat das LG am Donnerstag die einstweilige Verfügung aufgehoben, das BfR trägt die Kosten des Verfahrens (Urt. v. 04.07.2019, Az. 14 0 86/19).Die Entscheidung wurde den Beteiligten am Freitag zugestellt. Das BfR könnte gegen diese Entscheidung jetzt noch Berufung zum Oberlandesgericht einlegen.
Gleiss Lutz fährt derweil die gleiche Nicht-Kommunikationsstrategie wie bei den Vorwürfen um den EnBW-Deal – die Kanzlei mauert. Damals hatte der seinerzeitige Baden-Württembergische Ministerpräsident von der Kanzlei und einem Partner Schadensersatz wegen der angeblicher Falschberatung in der EnBW-Affäre verlangt – und den Prozess verloren. Die Pressestelle teilte dieses Mal lediglich mit: "Gleiss Lutz äußert sich aufgrund des Mandatsverhältnisses nicht."
Nach Fehler von Gleiss Lutz: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36335 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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