Die virtuelle Hauptversammlung nach dem Covid-19-Gesetz: Not­hilfe, mit heißer Nadel ges­trickt

Gastbeitrag von Dr. Axel Hoppe

12.06.2020

Weil in der Coronakrise Präsenzhauptversammlungen untersagt sind, hat der Gesetzgeber reagiert und virtuelle Hauptversammlungen erheblich erleichtert. In der Eile wurden jedoch wichtige Aspekte nicht genügend bedacht, meint Axel Hoppe.

Als im März 2020 die Covid-19-Pandemie über Deutschland hereinbrach und Kontaktbeschränkungen angeordnet wurden, bedeutete das für viele Gesellschaften: Präsenzhauptversammlungen, wie sie bislang üblich waren, sind ab sofort untersagt. Allerdings hat der Gesetzgeber mit den Regelungen in Art. 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (Covid-19-Gesetz) die Durchführung von virtuellen Hauptversammlungen (HV) deutlich vereinfacht.

Diese Erleichterungen gelten zunächst nur bis Ende 2020, und ihre Nutzung ist für die Gesellschaften freiwillig. Das Covid-19-Gesetz will den Unternehmen Planungssicherheit geben für die Durchführung ihrer HV und die Fassung dringend benötigter Beschlüsse wie Kapitalerhöhungen, Strukturmaßnahmen oder Dividendenausschüttungen.

Statt Fragerecht hat der Aktionär nur eine "Fragemöglichkeit"

Wichtigster Pfeiler des Gesetzes ist eine virtuelle HV, bei der die Versammlung den Aktionären in Wort und Bild übertragen wird. In dieser Variante können die Aktionäre nur Stimmrechte ausüben und Widerspruch zu Protokoll geben. Fragerechte werden ausgeschlossen, an ihre Stelle tritt eine bloße Fragemöglichkeit. Der Vorstand beantwortet diese Fragen nach seinem pflichtgemäßen freien Ermessen. Die Fragemöglichkeit kann auch derart beschränkt werden, dass Fragen spätestens am dritten Tag vor der HV einzureichen sind.

Außerdem kann die Frist für die Einberufung der HV verkürzt werden. Üblicherweise muss die Aktionärsversammlung am 37. Tag vor dem geplanten Termin einberufen werden, jetzt ist dies spätestens am 21. Tag vor der HV fällig. Der Vorstand wird mit dem Covid-19-Gesetz zudem ermächtigt, auch ohne eine Satzungsregelung Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn vorzunehmen. Die Erleichterungen des Gesetzes darf der Vorstand nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats nutzen.

Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, die Gesellschaften in Zeiten der Pandemie wieder handlungsfähig zu machen. Demgegenüber mussten die Aktionärsrechte zurückstehen. Besonders deutlich wird dies am Wegfall des Auskunftsrechts der Aktionäre: In der virtuellen HV besteht ein solches Recht nicht. Es steht damit weitestgehend im Belieben des Vorstands, ob und wie er Fragen beantwortet. Anfechtungsrisiken für HV-Beschlüsse, die ansonsten aus der Nichtbeantwortung von Fragen erwachsen, werden auf ein Mindestmaß reduziert.

Anfechtungs- und Antragsrechte sind stark eingeschränkt

Hinzu kommt, dass das Covid-19-Gesetz die Anfechtungsrechte der Aktionäre beschneidet. Werden die verbliebenen Rechte der Aktionäre bei einer virtuellen HV verletzt, sind sie nur dann zur Anfechtung berechtigt, wenn der Vorstand vorsätzlich gehandelt hat. Grob fahrlässige Verletzungen dieser Rechte führen nicht dazu, dass Beschlüsse anfechtbar sind. Gleiches gilt, wenn Formvorschriften bei der Versendung von Aktionärsmitteilungen verletzt wurden.

Zwar nicht ausdrücklich, so aber doch implizit hat der Gesetzgeber Antragsrechte der Aktionäre bei der virtuellen HV ausschließlich mit Bild- und Tonübertragung ausgeschlossen. Die Regierung geht in der Gesetzesbegründung davon aus, dass diese Rechte "natürlich" ausgeschlossen sind, weil sie eine Teilnahme des Aktionärs an der HV voraussetzen würden. Wird dem Aktionär die Versammlung nur übertragen, nimmt er an der HV aber nicht teil. Ob dies zutrifft, erscheint aber mindestens zweifelhaft. So könnte der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft, der für die Aktionäre an der HV teilnimmt, mit der Antragstellung beauftragt werden.

Betroffen von diesem Ausschluss sind Gegenanträge, Wahlvorschläge und Verfahrensanträge. Nimmt man mit verschiedenen Autoren in der aktienrechtlichen Literatur an, dass auch bei einem Minderheitsverlangen der Beschlussantrag vom Aktionär in der HV gestellt werden muss, liefen auch diese leer. Es wäre Aktionären zurzeit zwar möglich, die Tagesordnung gemäß § 122 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG) zu erweitern, jedoch nicht die von ihnen gewünschten Beschlussfassungen herbeizuführen.

Nicht nur der Kleinaktionär mit der Tupperdose ist betroffen

Schließlich ist ungeklärt, ob auch der Aufsichtsrat oder Aktionäre, die vom Gericht zur Einberufung einer HV ermächtigt wurden, eine virtuelle HV mit den beschriebenen Erleichterungen einberufen können. Auch wenn im Covid-19-Gesetz als Adressat nur der Vorstand genannt wird, sprechen die besseren Gründe dennoch dafür, dass dem so ist: Wenn diese Personen ausnahmsweise zur Einberufung einer HV berechtigt sind, gibt es in der Regel dringende Gründe dafür, sie rasch durchzuführen. Dann darf sie aber nicht an Beschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie scheitern.

All diese Beschränkungen der Aktionärsdemokratie durch das Covid-19-Gesetz sind gravierend. Sie betreffen nicht nur den vielzitierten Kleinaktionär mit nur einer Aktie, der das Buffet mit Tupperdosen im Anschlag plündert. Betroffen sind auch maßgeblich beteiligte Aktionäre, die ansonsten Missstände bei der Gesellschaft erfolgreich bekämpfen könnten. Die Aktionärsrechte dienen der effektiven Kontrolle von Vorstand und Aufsichtsrat, die in manchen Fällen dringend geboten ist.

Nachbessern bei Sachanträgen, Wahlvorschlägen und dem Fragerecht

Sollten die Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der Pandemie bis ins Jahr 2021 andauern und das Covid-19-Gesetz verlängert werden, täte der Gesetzgeber trotz der Verordnungsermächtigung an das BMJ gut daran, selbst noch einmal Hand anzulegen und Nachjustierungen vorzunehmen.

Zumindest für Sachanträge und Wahlvorschläge sollte ein Mechanismus gefunden werden, um diese wieder zu ermöglichen. Zu denken wäre an eine gesetzgeberische Fiktion, wonach Anträge automatisch als gestellt gelten, wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt vor oder besser während der HV bei der Gesellschaft eingereicht wurden.

Auch das Fragerecht sollte den Aktionären – wenn auch in eingeschränkter Form – wieder zugestanden werden. Denkbar ist, die Anzahl der Fragen, die einem einzelnen Aktionär und allen Aktionären insgesamt zu einem Tagesordnungspunkt zustehen, für die Dauer der Pandemie zu beschränken. Zu überlegen wäre, ob Aktionäre Fragen vor der HV einzureichen haben und ihnen dann in der Versammlung eine beschränkte Zahl von Nachfragen zugestanden wird.

Geht die virtuelle HV so schnell wieder, wie sie gekommen ist?

Sollte das Covid-19-Gesetz jedoch nicht verlängert werden, dürfte auch die virtuelle HV unter dem dann wieder geltenden Aktiengesetz schnell wieder Geschichte sein.

Für die Gesellschaften gäbe es dann nach überwiegender Ansicht keine Handhabe, alle Aktionäre von der physischen Anwesenheit in der HV auszuschließen. Es würde auch keinen erkennbaren Nutzen bringen, online zugeschalteten Aktionären weitgehende Teilnahmerechte einzuräumen, sondern nur Anfechtungsrisiken deutlich erhöhen. Zu denken ist beispielsweise an das Risiko, mit einer unbeherrschbaren Anzahl von Auskunftsbegehren von Online-Teilnehmern konfrontiert zu werden. Zu groß wäre auch das Risiko, dass bei technischen Ausfällen Beschlüsse anfechtbar werden.

Dann könnte nur der Gesetzgeber die virtuelle HV durch punktuelle Änderungen des Aktiengesetzes reanimieren. Die Lehren aus der Zeit der Pandemie können dabei nützlich sein und mittelfristig den Weg für den nachhaltigen Durchbruch der virtuellen HV ebnen.

Der Autor Dr. Axel Hoppe ist Rechtsanwalt und Partner im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht bei fieldfisher in Düsseldorf.

Kanzlei des Autors

Zitiervorschlag

Die virtuelle Hauptversammlung nach dem Covid-19-Gesetz: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41880 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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