In einer Woche entscheidet Großbritannien über den Austritt aus der EU. Sollte es zum "Brexit" kommen, drohen bereits am 24. Juni, dem Tag nach dem Referendum, unmittelbar rechtliche Konsequenzen, meint White & Case-Partner Henning Berger.
Aus juristischer Sicht ist das Referendum am 23. Juni 2016 nicht bindend für die britische Regierung, obwohl der EU-Austritt letztlich nur durch Premierminister David Cameron und seine Administration umgesetzt werden kann. Dennoch hätte ein Votum gegen den Verbleib in der EU bereits unmittelbar nach der Abstimmung einige rechtliche Auswirkungen für Unternehmen.
"Sollte es am 23. Juni zu einem Ergebnis pro Brexit kommen, sind bereits am Tag danach alle in Verhandlung befindlichen Verträge anzupassen", meint der Öffentlich-Rechtler Dr. Henning Berger, Partner bei White & Case in Berlin*. "Beispielsweise müssten spezielle Brexit-Klauseln eingezogen werden. Es muss also im Detail geregelt werden, wie sich die Vertragsinhalte ändern, falls Großbritannien die EU verlässt oder bleibt." Zusätzlich müsse laut Berger bedacht werden, Klauseln bei Kredit- oder Transaktionsverträgen anzupassen.
Erheblich größere Auswirkungen gebe es indes an dem Tag, an dem Großbritannien de facto die EU verlasse – betroffen wäre nicht zuletzt die Finanzbranche. "Mit dem Wirksamwerden des Brexit wird der europäische Pass für Finanzdienstleistungen voraussichtlich seine Gültigkeit verlieren", glaubt Berger. Britische Banken und andere Finanzdienstleister müssten dann Tochterunternehmen in der EU gründen, deutsche Banken wiederum in Großbritannien.
"Beispielsweise sind genehmigte Finanzprospekte bisher in der ganzen EU gültig – ein wichtiger Punkt für Unternehmen, die ihren Sitz in Kontinentaleuropa haben und in London geschäftlich tätig sind oder andersherum", sagt Berger. Im Falle eines Brexit wäre dies womöglich nicht mehr ohne weiteres der Fall.
Nur wenige Inhouse-Juristen haben Notfallpläne
Wie eine Umfrage von White & Case ergeben hat, ist für viele Unternehmen noch unklar, welche rechtlichen Auswirkungen ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU auf bestehende Verträge bei Geschäftsbeziehungen, Unternehmenstransaktionen oder Mitarbeiterverhältnissen hätte.
Die Kanzlei befragte im Rahmen einer Fachkonferenz in Frankfurt rund 60 Unternehmensentscheider und Inhouse-Juristen aus Banken, Versicherungen, Asset Management, Private Equity und anderen Bereichen der Finanzindustrie anonym zu ihrer Meinung zu einem möglichen Brexit und dem Stand der internen Vorbereitung. Nur rund 31 Prozent bejahten die Frage, ob ihr Unternehmen über akute Notfallpläne im Falle eines Brexit verfüge. Hingegen hätten 29 Prozent der Befragten keine derartigen Notfallpläne, 38 Prozent konnten keine eindeutige Angabe machen.
* in einer früheren Version des Artikels stand hier fälschlicherweise Hamburg. Henning Berger ist jedoch Partner im Berliner Büro (LTO-Redaktion, 20.6.2016, 10:39 Uhr).
Brexit: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19688 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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