Auch der BFH hat Cum-Ex-Transaktionen inzwischen als steuerrechtlich unzulässig eingestuft. Begründung, mögliche Auswirkungen und die Grenzen des Urteils beleuchten Christoph Knauer und Sören Schomburg.
In ungewöhnlicher aber nicht unerwarteter Reihenfolge liegt nun auch eine höchstrichterliche finanzgerichtliche Entscheidung zu Cum-Ex-Geschäften vor. Zunächst hatte sich das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2017 zur Verfassungsmäßigkeit der Annahme des Tatverdachts einer Steuerhinterziehung geäußert (Beschl. v. 02.03.2017; Az. 2 BvR 1163/13). In seinem viel beachteten Urteil vom 28. Juli 2021 bestätigte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Strafbarkeit von Cum-Ex-Geschäften (Az. 1 StR 519/20).
Am Dienstag wurde nun auch ein Urteil des für die eigentlichen steuerlichen Kernfragen zuständigen I. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) veröffentlicht (Urt. v. 02.02.2022; Az. I R 22/20). Nachdem die Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2022 ausgeschlossen wurde, war wenig zu den Tendenzen des Senats an die Öffentlichkeit gedrungen. Durch die überraschende Veröffentlichung einer Pressemitteilung und der Urteilsgründe am 15. März 2022 herrscht nunmehr Klarheit.
Der Verfahrensgang
Ausgangspunkt der aktuellen Entscheidung war die Klage eines US-amerikanischen Pensionsfonds gegen das Bundeszentralamt für Steuern, welches dessen Geltendmachung einer Kapitalertragssteuererstattung gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG für das Streitjahr 2011 versagt hatte. Der Pensionsfonds war Teil eines komplexen Transaktionsgeflechts, das jeweils über die Eurex Clearing AG als zentralem Kontrahenten überwiegend außerbörsliche, zum Teil aber auch börsliche Aktientransaktionen durchgeführt hatte.
Dabei wurden die Aktien am Dividendenstichtag mit Dividendenberechtigung ("Cum") gekauft, aber erst nach dem Dividendenstichtag ohne Dividende ("Ex") geliefert. Mit Urteil vom 19. Juli 2019 (Az. 2 K 2672/17) wies das Finanzgericht (FG) Köln die Klage als unbegründet ab. Die Kapitalertragssteuererstattung setze voraus, dass 1. die jeweilige Dividendenzahlung dem Kläger steuerlich zuzurechnen ist und 2. auf diese Dividende auch tatsächlich "für Rechnung des Klägers" Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde. Beide Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt gewesen.
Die Urteilsgründe des BFH
In dem am 15. März 2022 veröffentlichten Urteil weist der 1. Senat des BFH die Revision des Klägers gegen das Urteil des FG Köln als unbegründet zurück. Der Fonds sei nicht Gläubiger der Kapitalerträge geworden. Er habe kein wirtschaftliches Eigentum erlangt.
Zur Begründung verweist der BFH zunächst zentral auf sein Urteil vom 16. April 2014 (Az. I R 2/12), wonach der Erwerb wirtschaftlichen Eigentums ausscheidet, wenn ein "modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept" der Transaktionen vorliege. Wenn Wertpapiererwerbe im untrennbaren Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierverpfändungs- und Sicherungsgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf stünden, sei eine nennenswerte Inanspruchnahme der mit dem Innehaben der Wertpapiere verbundenen Rechte durch den Erwerber offenkundig ausgeschlossen (Rz. 48). Er belässt es jedoch nicht dabei. Vielmehr werden jedenfalls zwei grundlegende Weichenstellungen getroffen:
Der These von der Vervielfältigung des wirtschaftlichen Eigentums erteilt der Senat eine Absage. Vielmehr erfolgte eine "Zuordnungs-Entscheidung im Sinne einer Alternativität" (Rz. 38).
Während der BFH in seinem Urteil vom 16. April 2014 noch offen ließ, ob die Grundsätze aus der "Dividendenstripping-Entscheidung“ (Urt. v. 15.12.1999; Az. I R 29/97) auch auf außerbörslichen Handel anwendbar sind, bejaht der 1. Senat dies in der nun veröffentlichten Entscheidung (Rz. 58).
Relevanz auch für Cum-Cum-Geschäfte?
Der Senat setzt sich zudem ausführlich mit dem Verhältnis von § 39 und § 42 AO auseinander (Rz. 50). Das Urteil vom 16. April 2014 war dahingehend kritisiert worden, dass die Argumentation des BFH zu einer Verschiebung der Missbrauchsargumentation aus § 42 AO in die Tatbestandsvoraussetzungen des wirtschaftlichen Eigentums gem. § 39 AO führe. Eine solche Gefahr sieht der Senat in seiner aktuellen Entscheidung nicht. Vielmehr hält er an der Verortung der "Gesamtwürdigung" in § 39 AO fest.
Zudem deutet er an, dass es Fallgestaltungen geben könne, in denen sowohl das wirtschaftliche Eigentum abzulehnen und zugleich von einer missbräuchlichen Gestaltung auszugehen sei – konkret bezeichnet werden diese Konstellationen allerdings nicht. Dies ist bedauerlich, denn die Argumentation des Senats könnte auch über den entschiedenen Einzelfall hinaus von zentraler Relevanz sein, weil eine Übertragung des Gedankengangs auf Cum-Cum-Konstellation auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen erscheint.
Auffällig – wenngleich nicht tragend – ist hier die Abgrenzung von der "Dividendenstripping-Entscheidung" aus dem Jahr 1999. Der BFH hatte in dieser Entscheidung den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bereits mit Abschluss des zugrundeliegenden Aktienkaufvertrags bejaht. Zur Begründung stellte der BFH damals auf die den Börsenusancen entsprechende und damit sichere Erwartung der Übertragung der Aktien ab.
In seiner aktuellen Entscheidung interpretiert der Senat die Dividendenstripping-Entscheidung dahingehend, dass der BFH seinerzeit von einem Inhaberverkauf und damit nicht von einem Leerverkauf ausgegangen sei. In seiner aktuellen Entscheidung meint der Senat nun, dass diese Grundsätze nicht "für alle Formen gängigen Wertpapierhandels generalisiert“ werden können.
Auch zu der Tatbestandsvoraussetzung des Einbehalts und der Abführung der Steuer positioniert sich der Senat klar. Die Vorlage einer Bankbescheinigung (Credit Advice) genüge nicht zum Nachweis des Steuereinbehalts oder deren Abführung. Die Bescheinigung enthalte lediglich einen Nachweis für die erhaltene Dividendenkompensationszahlung aber keine Aussage zur Abführung (Rz. 62 ff.).
Fazit
Im Ergebnis ermöglicht das veröffentlichte Urteil des BFH positiv formuliert eine Betrachtung des Einzelfalls. Eine umfassende Klärung aller "Cum-Ex-Konstellationen" nimmt der Senat nicht vor – angesichts der Vielzahl der Fallgestaltungen und des konkret vorliegenden Einzelfalls wäre eine derartige Entscheidung auch nicht zu erwarten gewesen.
Durch die Klarstellung zur Alternativität des wirtschaftlichen Eigentums und der Anwendung der aufgestellten Grundsätze auf börslichen und außerbörslichen Handel sind jedoch erste Weichen für die Zukunft gestellt. Es bleibt aber spannend.
Prof. Dr. Christoph Knauer und Sören Schomburg sind Partner bei der auf das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Ufer Knauer Rechtsanwälte.
Weitere höchstrichterliche Entscheidung: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47872 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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