Die Sperrung von Händlerkonten hat Amazon bereits mehrfach einstweilige Verfügungen beschert. Das LG Frankfurt zieht nach und stellt auf einen Missbrauch der Marktmacht ab.
Nachdem zuvor bereits mehrere Landgerichte zugunsten von Händlern entschieden hatten, deren Verkäuferkonten auf der von Amazon betriebenen Plattform Marketplace gesperrt wurden, folgt das Landgericht (LG) Frankfurt mit weiteren Beschlüssen. Das Gericht hat im Dezember des vergangenen Jahres zwei einstweilige Verfügungen erlassen, wonach die Konten der Antragsteller wieder entsperrt werden müssen.
Die beiden Händler waren jeweils Anfang Dezember 2021 mit einer eMail von Amazon über die Sperrung ihres Verkäuferkontos in Kenntnis gesetzt worden. Beiden wird die Manipulation von Kundenrezensionen vorgeworfen. Nach Ansicht der Händler habe Amazon keine ausreichende Erläuterung und Begründung geliefert, die Vorwürfe seien deshalb nicht nachprüfbar gewesen.
Amazon argumentiert, wie bereits bei vergleichbar gelagerten Fällen in der Vergangenheit, mit der Verpflichtung, im Interesse der Kunden als auch der Händler Verstöße gegen die Richtlinien des Unternehmens zu verhindern und damit negative Erfahrungen für die Nutzer der Plattform zu vermeiden.
Gericht entscheidet zugunsten der Händler
Nachdem eine außergerichtliche Aufforderung zur Kontofreigabe nicht zum gewünschten Ergebnis führte, wandten sich die betroffenen Händler mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung an das LG Frankfurt. Das Gericht folgte den Anträgen der Händler und verfügte die sofortige Entsperrung der Konten (Beschl. v. 6.12.2021; Az. 2-03 O 453/21 und 16.12.2021; Az. 2-06 O 347/21).
Bemerkenswert ist, dass auch hier seitens des Gerichts, wie zuvor bereits durch das LG München I (Beschl. v. 14.1.2021; Az. 37 O 32/21) und zuletzt (auf das LG München I Bezug nehmend) das LG Hannover (Beschl. v. 22.07.2021; Az. 25 O 221/21), auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Amazon abgestellt wurde.
Bei Amazon stoßen die Entscheidungen des Gerichts auf Irritation. Auf Anfrage teilt ein Amazon-Sprecher zu den Beschlüssen des LG Frankfurt gegenüber LTO mit: "Diese beiden Akteure haben in der Vergangenheit versucht, Kundenrezensionen mit Hilfe von Vermittlern gefälschter Rezensionen zu manipulieren. Sie wurden mehrfach verwarnt, es sind mehr als 250 gefälschte Bewertungen insgesamt für beide dokumentiert und beide haben zugegeben, wiederholt gegen unsere Richtlinien verstoßen zu haben. Wir lehnen diese irrtümliche Verfügung entschieden ab, da sie unsere unablässigen und kontinuierlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von missbräuchlichem Verhalten untergräbt, mit denen wir sowohl den Interessen der Kund:innen als auch der seriösen Unternehmer:innen dienen."
Die Beschlüsse des LG Frankfurt sind nicht rechtskräftig und können mit dem Widerspruch angegriffen werden. Auch die Klärung in einem Hauptsacheverfahren ist eine Option. Dass sich Amazon juristisch zur Wehr setzen wird, lässt der Sprecher bereits anklingen: "Wir werden die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten, um nicht nur die Gerichtsentscheidungen zu korrigieren, sondern auch um unseren Kampf gegen das verbraucherfeindliche Geschäft der Vermittler gefälschter Rezensionen fortzusetzen und auszuweiten."
Das Thema gefälschte Bewertungen erfährt bei Amazon hohe Priorität und es bleibt nicht bei Ankündigungen. Das Unternehmen geht schon seit Jahren juristisch gegen Anbieter vor, die Fake-Rezensionen als Geschäftsmodell für sich entdeckt haben.
Ungeachtet dessen ist Amazon der Verpflichtung aus den einstweiligen Verfügungen inzwischen nachgekommen. Die Händlerkonten wurden entsperrt und das zugehörige Guthaben freigegeben.
Die ungeklärte Frage nach dem Schadensersatz
Im Kontext interessant erscheint der Aspekt eines möglichen Schadensersatzanspruchs von Händlern gegen Amazon im Hinblick auf entgangenen Umsatz, sofern eine Kontosperrung nachweislich grundlos erfolgt ist. Auch Zinszahlungen für den Zeitraum, in dem nicht über ein vorhandenes Guthaben verfügt werden kann, kommen grundsätzlich in Betracht.
Viele der von Sperrungen betroffenen Verkäufer erwirtschaften einen Großteil ihrer Umsätze und Gewinne auf der Plattform des US-Konzerns. Ein Urteil, in dem ein Haftungsanspruch gerichtlich Anerkennung findet und konkret beziffert wird, liegt nach LTO-Informationen bislang nicht vor. Man darf unterstellen, dass Amazon dringend vermeiden möchte, dass es zu einem solchen Urteil kommt. Die Händler wiederum scheuen aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit zumeist einen weitergehenden Konflikt mit dem Konzern und begnügen sich in der Regel damit, dass sie zeitnah wieder auf ihre Konten zugreifen können.
Thomas Herro, Equity-Partner bei LHR Rechtsanwälte, vertritt regelmäßig Mandantinnen und Mandanten in Verfahren gegen Amazon und war auch an der Erwirkung der oben genannten einstweiligen Verfügungen am LG Frankfurt beteiligt. Im Gespräch mit LTO prognostiziert er, dass ein gerichtlich anerkannter Anspruch auf Gewinnausfall nach einer unberechtigten Kontosperrung eine Lawine auslösen würde.
Man baue darauf, dass es diesbezüglich auf absehbare Zeit zu einem Urteil komme. Herro weist aber zugleich auf die hohen Hürden im Zusammenhang mit der Bemessung sowie der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen hin.
Die verlockend simple Herleitung der Höhe des Schadensersatzes auf der Basis von Umsätzen oder Gewinnen aus der Vergangenheit greift zu kurz. Händlerinnen und Händler seien unter anderem zur Schadensminderung verpflichtet, zum Beispiel durch eine Verkaufstätigkeit auf anderen Plattformen. Auch müssten sich die Verkäufer Kostenersparnisse anrechnen lassen, so Herro.
Nach einstweiligen Verfügungen des LG Frankfurt: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47621 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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