Wohnungseinbruch, Gewaltdelikte, Kinderpornographie: Strafverschärfungen werden von der Rechtspolitik regelmäßig damit begründet, Täter abschrecken zu wollen. Aber wird das je überprüft?
Die Bundesregierung überprüft neu eingeführte Strafverschärfungen regelmäßig nicht daraufhin, ob sie präventiv wirken und messbar von Straftaten abhalten. Das geht aus einer Antwort aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hervor, die LTO vorliegt. Gefragt hatte die Fraktion der Linken im Bundestag nach Erkenntnissen und Zahlen zu den aktuellen Verschärfungen mehrerer Delikte, darunter etwa die Änderungen beim Wohnungseinbruchsdiebstahl oder beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte aus dem Jahr 2017.
In ihrer Antwort auf die Anfrage liefert die Bundesregierung Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik und dem Statistischen Bundesamt zu den Verurteilungen in Deutschland. Die Bundesregierung betont aber ausdrücklich, dass allein anhand von Fallzahlen nicht bewertet werden könne, welche Wirkung die Änderung einer Strafandrohung im Strafgesetzbuch (StGB) hat. Rahmenbedingungen vor und nach einer Strafrechtsänderungen seien nicht konstant. Außerdem würden neben dem Strafrahmen teilweise auch die Straftatbestände mitverändert. In manchen Fällen gebe es nicht nur eine StGB-Änderung, sondern daneben auch noch weitere präventive Maßnahmen.
Anders ausgedrückt: Die Frage danach, ob eine Strafverschärfung präventiv wirkt, also potenzielle Täter abschreckt und die Rechtstreue fördert, lässt sich nicht so einfach mit Fallzahlen beantworten. Aber es finden ausweislich der Antwort auch keine Versuche statt, in aufwendigeren Forschungsvorhaben dieser Frage auf den Grund zu gehen. Umso regelmäßiger werden aber neue Strafverschärfungen rechtspolitisch mit der Begründung ins Spiel gebracht, auf Abschreckung zu zielen.
Linke: "Politischer Aktionismus gewürzt mit einer Prise autoritärer Lust"
"Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass Debatten über die präventive Wirkung von Verschärfungen im Strafrecht zumindest teilweise im luftleeren Raum geführt werden", sagt Niema Movassat, Obmann der Linken im Rechtsausschuss des Bundestags. Es fehle an belastbarem Zahlenmaterial und wissenschaftlichen Untersuchungen darüber, wie sich Verschärfungen in der Realität auswirken. "Bevor im Bundestag öffentlichkeitswirksam die nächsten Strafrahmen erhöht werden, brauchen wir eine großangelegte Studie darüber, ob und wie eine Verschärfung der Strafandrohung präventive Wirkung entfaltet", so Movassat. "Andernfalls bleibt bei mir der Eindruck bestehen, dass es sich bloß um politischen Aktionismus gewürzt mit einer Prise autoritärer Lust am Strafen handelt."
Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers, einer Gesetzesänderung auch eine Evaluierung mit auf den Weg zu geben. Nach § 44 Abs. 7 der Gemeinsamen Geschäftsordnung Bundesministerien hat es das federführende Ministerium in der Hand, in der Begründung zum Gesetzentwurf festzulegen, ob und wann die beabsichtigen Wirkungen auf ihren Erfolg hin untersucht werden sollen.
In ihrer Antwort verweist die Bundesregierung auch auf diese Regelung. "Ausgehend davon ist auch nach dem Jahr 2013 nicht bei jeder Änderung einer Strafvorschrift eine Evaluierung vorgesehen. Eine Evaluierung wird vor allem dann vorgesehen, wenn grundlegende systematische Änderungen erfolgen oder aber große Unsicherheit über die Wirksamkeit einer Gesetzesänderung besteht."
Dem BMJV soll dabei eine besondere Beobachterrolle zukommen: "Es ist im Übrigen die Aufgabe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, unabhängig von einer Evaluierung - fortwährend zu prüfen, ob die bestehenden strafrechtlichen Instrumentarien ausreichen, und gegebenenfalls nachzusteuern", heißt es in der Antwort.
Wie das BMJV beobachtet
Auf Nachfrage von LTO führt das BMJV dazu aus, dass neben Zahlenstatistiken auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den einzelnen Straftatbeständen beobachtet werde und Erfahrungen der Strafverfolgungsbehörden aus den Ländern in diese Beobachtung einflössen.
Auch gebe das BMJV einzelne Forschungsprojekte in Auftrag, etwa zu dem neu eingeführten Jugendarrest neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe (§ 16a Jugendgerichtsgesetz), zur Führungsaufsicht oder zum Anti-Doping-Gesetz aus dem Jahr 2015.
Derzeit werde an der Vergabe eines neuen Forschungsvorhabens zum Thema "Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a StGB)" gearbeitet. Generelle Erkenntnisse zur Wirkung von strafrechtlichen Sanktionen liefere die Studie "Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen - eine bundesweite Rückfalluntersuchung". Die Studie untersucht im Auftrag des BMJV aber nicht die Wirkung von Strafverschärfungen, sondern ob und wie aus der Haft entlassene Straftäter erneut straffällig werden. Grob zusammengefasst wird ungefähr ein Drittel der Bestraften innerhalb der nächsten drei Jahre nach Entlassung wieder rückfällig. Über die präventive Wirkung von verschärften Strafen lässt sich daraus aber nicht viel ableiten.
Kriminologe: Untersuchung "methodisch sehr anspruchsvoll"
Der Kriminologe Prof. Dr. Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum hält die Erforschung der Präventivwirkung bei Strafverschärfungen für "in der Tat methodisch sehr anspruchsvoll". Weiter sagte er zu LTO: "Es gibt in der kriminologischen Forschungslandschaft aber hinreichend Expertise, auch diesbezügliche Forschungsprojekte zu realisieren. Gerade im Bereich des Strafrechts, wo der Staat besonders intensiv in die Grundrechte seiner Bürger eingreift, ist eine Evidenzbasierung von Rechtspolitik in besonderem Maße geboten." Dazu sollte seiner Ansicht nach auch eine Evaluierung von Gesetzesänderungen gehören.
Strafrechtsexperten verweisen gerne auf einen zentralen Aspekt:. Die Abschreckungsidee setze voraus, dass bei der Begehung von Straftaten rational abgewogen werde. Wer aber in einer Situation handelt, die emotional aufgeladen oder durch Drogen oder Medikamente beeinflusst ist, für den wird das Abwägen seiner Tat mit einer höheren Strafandrohung wohl eher keine große Rolle spielen. So sahen es auch Wissenschaftler in einer Stellungnahme 2016 an den Landtag von Schleswig-Holstein. Es ging damals um Strafverschärfungen zum Schutz von Einsatzkräften.
Strafrechtsprofessor: "Eine Wette auf die Wirksamkeit von Strafvorschriften"
Und es ist keine neue Erkenntnis unter Strafrechtlern, dass allein schärfere Strafen im StGB noch keine Ermittlungserfolge mit sich bringen, umgekehrt aber mehr Personal oder bessere Technik für die Ermittler ein rechtspolitisch kostspieliges Vorhaben sind. Die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, Edith Kindermann, nannte den Ruf nach Strafverschärfungen in der Süddeutschen Zeitung erst kürzlich wieder "einen leider üblichen Reflex", der keine Probleme löse. Der Strafrechtler Prof. Dr. Jörg Eisele bezeichnete Strafschärfungen ebenfalls neulich als "eine Wette auf die Wirksamkeit von Strafvorschriften durch Abschreckung." Die Strafverschärfung, um die es den beiden geht, steht schon unmittelbar bevor: Anfang Juli stellte die Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ein neues Paket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vor.
Bei den Missbrauchs- und Kinderpornographiedelikten sollen die Strafrahmen heraufgesetzt, die Taten als Verbrechen eingestuft werden. Damit gilt künftig eine Mindeststrafe von einem Jahr Haft. In dem aktuellen 63-seitigen Gesetzentwurf aus dem BMJV heißt es unter dem Abschnitt "Evaluierung": "Eine Regelung zur Evaluierung ist nicht erforderlich, denn die vorgesehenen Änderungen konkretisieren oder verschärfen lediglich bestehende Vorgaben beziehungsweise nehmen nur graduelle Änderungen vor."
Wie die Regierung StGB-Änderungen evaluiert: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43013 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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