In Hessen und NRW ging es vor Gericht um den Chefposten am jeweiligen LSG. Die Entscheidungen zeigen, dass es die Landesjustizministerien mit der Eignung der Kandidaten für den Präsidentenposten nicht zu genau nehmen, meint Martin W. Huff.
Gleich in zwei Bundesländern, nämlich in Nordrhein-Westfalen und Hessen, wird seit Jahren heftig um die Besetzung der Position als Präsident des jeweiligen Landessozialgerichts (LSG) gestritten. Unterlegene Bewerber haben jeweils Eilanträge für die Positionen in Essen beziehungsweise Darmstadt eingereicht, über die jetzt sehr unterschiedlich das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) in Münster (Beschl. v. 24.07.2018, Az. 1 B 612/18) und der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel (Beschl. v. 14.06.2018 – 1 B 2345/17) entschieden haben.
Für die Position beim LSG in Essen hatten sich sowohl dessen bisheriger Vizepräsident (Besoldungsgruppe R 4) als auch ein Ministerialdirigent (Abteilungsleiter) aus dem NRW-Justizministerium (Besoldungsgruppe B 7) beworben. Entgegen dem Wortlaut des Anforderungsprofils, das Erfahrungen in der Sozialgerichtsbarkeit vorsah, entschied sich das Justizministerium für den Ministerialdirigenten. Dieser hatte allerdings keinerlei Erfahrungen als Sozialrichter, sondern war vorher mehrere Jahre Rechtsanwalt gewesen, eine Zeit lang Verwaltungsrichter und dann in der Staatskanzlei tätig, bevor er in das Justizministerium versetzt wurde.
Der Antrag des unterlegenen Vizepräsidenten, die Besetzung der Stelle zu stoppen, hatte Erfolg. Sowohl das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen als auch das OVG in Münster vertraten die Auffassung, dass der Ministerialdirigent schon überhaupt nicht in das Auswahlverfahren hätte einbezogen werden dürfen. Denn wenn es schon ein Anforderungsprofil gibt, müsse dieses auch vom Justizministerium beachtet werden. Bewirbt sich jemand, der diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dann darf er bei der Entscheidung schon gar nicht berücksichtigt werden. Es sei ausdrücklich nicht zu beanstanden, wenn für die Tätigkeit eines Präsidenten einer bestimmten Gerichtsbarkeit Erfahrungen in dieser Gerichtsbarkeit vorausgesetzt würden.
In Hessen ist manches gleicher als gleich
Das Argument des NRW-Justizministeriums, dass auch der Vorgänger im Amt des Präsidenten nicht aus der Sozialgerichtsbarkeit kam, ließen die Verwaltungsrichter nicht gelten. Eine einmalige, nicht angefochtene Abweichung von dem Anforderungsprofil ändere das Anforderungsprofil für den erneut freiwerdenden Posten nicht. Jetzt muss das NRW-Justizministerium die Hinweise seines OVG beachten und über die Besetzung der Stelle neu entscheiden.
Anders die Argumentation im Verfahren vor dem Hessischen VGH: Hier hatten sich ebenfalls um das Amt des Präsidenten des LSG die Präsidentin eines hessischen Sozialgerichts (Besoldungsgruppe R 3) und ein Beamter aus der Arbeitsverwaltung (Besoldungsgruppe B 6) beworben. Die Wahl fiel auf den Beamten. Dieser habe, so das Justizministerium in Wiesbaden, zwar gleich gute Qualifikationen wie die Konkurrentin vorzuweisen. Doch eine Spitzennote im höheren Amt sei in der Regel höher zu bewerten als die gleiche Note bei einer niedrigeren Besoldungsstufe.
Diese Entscheidung hat der VGH nun gestützt, denn seiner Auffassung nach würden an einen Inhaber eines höheren statusrechtlichen Amtes prinzipiell höhere Anforderungen gestellt als an den Inhaber eines niedrigeren Amtes. Die Frage, ob die Eignung für das Richteramt überhaupt von dem Vorgesetzten des ausgewählten Beamten, der selber auch kein Richter ist oder war, bewertet werden kann, sehen die Richter als unproblematisch an. Denn darauf komme es den Anforderungsprofilen nach schon gar nicht an.
"Da kann ja jeder kommen" für den Präsidentenposten?
Die beiden Entscheidungen, von den Verwaltungsgerichten jeweils ausführlich und umfangreich begründet, lassen jede Menge Fragen aufkommen: Gibt es eigentlich keine einheitlichen Maßstäbe für die Besetzung von hohen Richterämtern? Kann jedes Bundesland nach Gutdünken festschreiben, welche Anforderungen es an einen so hohen Posten stellt? Für das Amt des Gerichtspräsidenten sollten doch wohl, so mag man intuitiv vermuten, neben hervorragenden juristischen Kenntnissen zwei Faktoren ausschlaggebend sein: Erfahrungen als Richter und Erfahrungen in der Gerichtsverwaltung.
In Nordrhein-Westfalen hat man das so geregelt, wollte aber, aus welchen Gründen auch immer, davon abweichen. Die Entscheidung des OVG in Münster, an dem Anforderungsprofil festzuhalten, ist richtig, die Konsequenz auch: Wer schon das Anforderungsprofil nicht erfüllt, kann nicht in die Auswahl kommen. Die Versuche des Justizministeriums, diese Abweichung irgendwie zu begründen, lesen sich kaum nachvollziehbar.
Die Argumentation des VGH in Kassel, dass gleiche Noten doch nicht gleich sind, überzeugt dagegen nicht. Warum die gleiche Note bei einem höheren Amt anders zu gewichten sein soll als die gleiche Note bei einem etwas niedrigeren Amt, erschließt sich nicht. Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass die Bewerberin Erfahrungen in der Gerichtsbarkeit – und zwar sowohl als Richterin als auch in der Gerichtsverwaltung - mitbrachte, die dem konkurrierenden Beamten fehlten oder wenigstens nicht so tief gingen. Hier alleine auf die Noten abzustellen, kann nicht vernünftig sein.
Die in Hessen unterlegene Bewerberin ist in der Zwischenzeit offenbar gegen die Entscheidung des VGH in Kassel vorgegangen, denn die Ernennung des Präsidenten des LSG in Darmstadt wurde vom Justizministerium abgesagt. Beide Fälle zeigen: In der Justiz wird gerade über die höheren Richterpositionen heftig gestritten. Dabei scheinen Sachargumente in den Justizministerien aber oftmals nicht entscheidend für die Ernennung zu sein.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in der Sozietät Legerlotz Laschet Rechtsanwälte in Köln.
Rechtsstreitigkeiten um den Posten als Gerichtspräsident: . In: Legal Tribune Online, 15.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30329 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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