Die deutschen Staatsanwaltschaften dürfen keinen Europäischen Haftbefehl mehr ausstellen. Hat Österreich das gleiche Problem? Das muss nun der EuGH entscheiden. Die Vorlage kommt ausgerechnet vom Kammergericht.
In Deutschland kennt man sich mit dem Thema inzwischen bestens aus: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im April dieses Jahres entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften keinen Europäischen Haftbefehl (EuHB) ausstellen dürfen, weil sie nicht strikt unabhängig organisiert sind. Seitdem muss in jedem Fall ein Richter entscheiden. Offene Haftbefehle, die noch von der Staatsanwaltschaft ausgestellt wurden, müssen ersetzt werden. In der Praxis bringt das einige Probleme mit sich.
Insofern ist es sozusagen naheliegend, dass nun ausgerechnet ein deutsches Gericht bei einem EuHB der Staatsanwaltschaft Wien stutzig wurde. Die österreichischen Staatsanwaltschaften sind dem Bundesminister für Justiz untergeordnet und damit, ähnlich wie die deutschen Kollegen, weisungsgebunden.
Das Kammergericht (KG) geht deshalb davon aus, dass sie ebenfalls nicht als Ausstellungsbehörde im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des entsprechenden EU-Rahmenbeschlusses zum Haftbefehl (2002/584/JI) in Betracht kommen, denn der EuGH verlangt eine strikt unabhängig organisierte Justizbehörde.
Unterschied: In Österreich muss ein Richter den EuBH bewilligen
Allerdings unterscheidet sich das Verfahren in Österreich von dem in Deutschland in einem wesentlichen Aspekt: § 29 des österreichischen Gesetzes über die Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG) sieht vor, dass zwar die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl ausstellt, dieser aber gerichtlich bewilligt werden muss. Der Betroffene kann mit einer Beschwerde gegen die gerichtliche Bewilligung vorgehen.
Österreich hatte deshalb schon kurz nach der EuGH-Entscheidung erklärt, die österreichischen Staatsanwaltschaften seien von der Entscheidung des EuGH nicht betroffen. Die endgültige Entscheidung über einen EuHB aus Österreich liege schließlich bei einem Richter. Das KG hält diese Argumentation auch für schlüssig, hat aber trotzdem Zweifel daran, ob die Regelung den strengen Anforderungen genügt, die der EuGH aufgestellt hat.
Das Vorabentscheidungsersuchen, das das KG nun an den EuGH gerichtet hat, wird im Eilverfahren durchgeführt. Die österreichische Staatsanwaltschaft fahndet nach dem betroffenen Mann, weil er unter anderem in einen Reisebus und in einen PKW eingebrochen sein und eine Handtasche entwendet haben soll. Er sitzt derzeit noch wegen eines anderen Strafverfahrens in Deutschland in Untersuchungshaft. Nach Angaben des KG wird die Verhandlung über das Vorabentscheidungsersuchen vor dem EuGH am 3. September stattfinden.
Unsicherheit in anderen EU-Mitgliedstaaten
Der EuGH hat damit die Gelegenheit, seine Rechtsprechung zu präzisieren, die eng auf das deutsche System zugeschnitten war. In den meisten EU-Mitgliedstaaten wird der EuHB von den Staatsanwaltschaften ausgestellt. In der Regel ist die Staatsanwaltschaft dort aber nicht an Weisungen gebunden.
Eurojust, die für die justizielle Zusammenarbeit in der EU zuständige Stelle, hat deshalb unmittelbar nach der EuGH-Entscheidung eine Umfrage, deren Antworten LTO vorliegen, unter allen Mitgliedstaaten durchgeführt, um zu klären, ob weitere Justizbehörden betroffen sind.
Außer in Deutschland stellt sich das Problem demnach jedenfalls auch in den Niederlanden. Dort soll künftig ein Ermittlungsrichter anstelle des Staatsanwaltes den EuHB ausstellen. Die Niederlande betonen in der Umfrage, dass der Justizminister bisher nie eine Weisung in einem Einzelfall gegenüber der Staatsanwaltschaft erteilt habe – theoretisch hat er aber die Befugnis dazu.
Ähnlich ist die Situation in Dänemark. Der dänische Generalanwalt betonte allerdings nach der EuGH-Entscheidung, dass die Einflussnahme auf die Staatsanwaltschaft speziell im Fall eines EuHB ausgeschlossen sei.
KG legt dem EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36865 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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