Die Staatsanwaltschaft vermutete Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe, doch die Ermittlungen führten ins Leere. Jetzt geht es um die Entschädigung für die Angeklagten – und um die Frage, ob die Staatsanwaltschaft Straftaten begangen hat.
Steuertricks für Millionäre, eine übereifrige Staatsanwaltschaft, Anwälte, die im Gefängnis landen und dann auch noch ein Name nach einem James-Bond-Film: Der Goldfinger-Prozess vor dem Landgericht (LG) Augsburg hatte wirklich alles, was ein guter Justizkrimi braucht. Jetzt ist das Verfahren eingestellt, hat aber ein Nachspiel (Beschl. v. 11.1.2021 Az:10 KLs 510 Js 131424/19 10 KLs 510 Js 128056/19).
Von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft (StA) Augsburg gegen Anwälte, Steuerberater und Investoren ist praktisch nichts übriggeblieben. Stattdessen dürften alle Beteiligten einen ziemlichen Kater davontragen. Die beiden Angeklagten, die Rechtsanwälte und Steuerberater G. und H., haben mehrere Monate Untersuchungshaft und 44 Hauptverhandlungstage im Gerichtssaal hinter sich, ihre Kanzlei ist aufgelöst, das Geschäftsmodell hat sich ohnehin erledigt. Die StA Augsburg muss sich nicht nur eine hämische Berichterstattung gefallen lassen, es liegen auch mehrere Strafanzeigen gegen Ermittlerinnen und Ermittler vor. Und für die Staatskasse könnte es teuer werden, das LG muss nun klären, wie hoch die Entschädigung für G. und H. ausfällt.
Das Goldfinger-Modell – längst bekannt, als die Ermittlungen begannen
Als die Augsburger StA 2012 mit den Ermittlungen begann, war der Goldfinger-Trick allgemein bekannt. Bund und Ländern war klar, dass ihnen auf diese Weise Steuern entgehen, die damalige Bundesregierung – mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) – bezeichnete solche Modelle als "fiskalisch unerwünscht". Der Gesetzgeber reagierte 2013 mit Änderungen im Einkommenssteuergesetz (EStG), die dafür sorgten, dass die Goldfinger-Methode nicht mehr anwendbar war.
Es war ein simpler Trick, der sich allerdings nur für Millionäre eignete. Er funktionierte, weil sich die Steuerpflichtigen Regelungen aus dem Doppelbesteuerungsabkommen zunutze machten, das Deutschland mit Großbritannien abgeschlossen hat. Dazu beteiligten sie sich an einer Personengesellschaft in Großbritannien, die dort einen gewerblichen Goldhandel betrieb. Wurde in einem Jahr Gold angekauft, wirkten sich die ausländischen Verluste aus dem Ankauf im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts auf den inländischen Steuersatz aus: Im besten Fall – das heißt bei hohen Verlusten – ließ sich der Steuersatz auf null drücken. Im folgenden Jahr wurde das Gold verkauft und der Gewinn erhöhte den inländischen Steuersatz. Das wirkt sich jedoch kaum aus, weil ohnehin der Spitzensteuersatz oder jedenfalls ein sehr hoher Steuersatz angesetzt wurde.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine solche Goldfinger-Konstellation in einer Entscheidung vom Januar 2017 abgesegnet (Urt. v. 19. Januar 2017, IV R 50/14) – für die Zeit vor der EStG-Änderung 2013. Die BFH-Richterinnen und -richter hielten das Modell für zulässig und sahen auch keine Steuerumgehung. Dass die Gesellschaften zu dem Zweck gegründet werden, Steuern zu sparen, spielt dabei keine Rolle: Grundsätzlich darf der Steuerpflichtige seine Verhältnisse so gestalten, dass keine, oder möglichst geringe Steuern anfallen, betonte der BFH.
"Es ist der Traum jedes Steuerpflichtigen", sagt Dr. Richard Beyer, H.'s Rechtsanwalt: "Die Verluste zählen voll, die Gewinne praktisch gar nicht." Beyer ist Strafverteidiger und Steuerrechtler, er kennt sich im internationalen Wirtschaftsstrafrecht aus. Wenn er am Telefon deutlich wird, verfällt er ins Bayerische. Der Goldfinger-Trick sei "bock simpel", sagt er, aber eben nicht rechtswidrig, die Strafverfolgung durch die Augsburger Staatsanwaltschaft sei "völlig abwegig" – und das ist noch einer seiner freundlicheren Ausdrücke.
800 Beamte im Einsatz, 21 Kartons Beweismittel
Die StA Augsburg hatte nicht nur G. und H. im Visier. Sie ging von einer Steuerhinterziehung in großem Stil aus und ermittelte gegen knapp 110 Beschuldigte – darunter Rechtsanwälte, Steuerberater, Investorinnen und Angestellte der Unternehmen. Die zentrale These der StA: Die Betriebsstätten in Großbritannien seien nur vorgetäuscht, es handele sich um bloße "Briefkastenadressen", die dort beschäftigten Manager seien "reine Strohleute".
Um das nachzuweisen, scheute die StA Augsburg keinen Aufwand: Anfang Januar 2018 durchsuchten sie mehr als 200 Wohn- und Geschäftsräume in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 30 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, 800 Beamte und Beamtinnen von Steuerfahndungsstellen und Polizei waren im Einsatz. Kurz darauf saßen 7 Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Die BFH-Entscheidung lag da schon seit einem Jahr vor – die StA hielt sie für "nicht einschlägig", aus Sicht der Verteidiger ist es hingegen unverständlich, dass man zu diesem Zeitpunkt noch Ermittlungen vorangetrieben hat.
Zwischen Dezember 2018 und Oktober 2019 erhob die StA drei Anklagen gegen insgesamt 22 verschiedene Personen, es ging jeweils um Steuerhinterziehung und versuchte Steuerhinterziehung, teils in besonders schwerem Fall. Die Akte umfasste sechs Bände, die Ermittler hatten 21 Kartons mit Beweismitteln gesammelt.
Im Mittelpunkt der Anklage standen G. und H.: Sie hätten ein "Steuerhinterziehungsmodell" entwickelt, um es für einkommensstarke Mandanten, befreundete Kollegen und sich selbst zu nutzen. Insgesamt sollen G. und H. ein progressionswirksamen Verlust von rund 1 Milliarde Euro geltend gemacht haben, wovon rund 400 Millionen Euro antragsgemäß von den Finanzämtern festgestellt wurden.
Vorsitzender Richter: "Ressourcenverschwendung"
Das LG Augsburg verband die beiden ersten Anklagen und trennte das Verfahren gegen G. und H. als Pilot-Verfahren ab. Es folgte ein Prozess, den man mit viel Unterhaltungswert im Fernsehen hätte übertragen können. Umfangreich gecovert wurde er jedoch vor allem von dem Lokaljournalist Holger Sabinsky-Wolf bei der Augsburger Allgemeinen. Sabinsky-Wolf schildert eine vergiftete Atmosphäre, Angeklagte, die "stinksauer" sind und "alles andere als in der Defensive": Mal schnauzte G. die Staatsanwältin an, mal hielt H. eine stundenlange Powerpoint-Präsentation, mit der er sein Geschäftsmodell erklärte.
Die StA schien schnell auf aussichtlosem Posten zu stehen. Der Vorsitzende Richter Johannes Ballis erklärte schon im Mai, er halte weitere Hauptverhandlungen für eine "Ressourcenverschwendung". Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag gegen Ballis, doch der wurde abgelehnt – nach Auffassung des Gerichts war er in der Sache unbegründet, abgelehnt wurde er jedoch schon deshalb, weil er zu spät gestellt wurde.
Im Oktober hob das LG die – bereits außer Vollzug gesetzten – Haftbefehle auf. Auch in diesem Beschluss wurde das Gericht nochmal deutlich: Die Kammer halte die Annahme der StA, die Betriebsstätten in Großbritannien seien bloß vorgetäuscht, für "erschüttert", die Zeugenvernehmungen und Feststellungen im Rahmen der Hauptverhandlung hätten ein anderes Bild ergeben.
Im Januar 2021gibt es schließlich einen Deal
Doch erst im Januar 2021 haben sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft schließlich auf einen Deal geeinigt. Das LG stellte das Verfahren gegen H. und G. nach § 153 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Das Gericht sieht nur in einem Fall der versuchten Steuerhinterziehung für einen Tatkomplex aus dem Jahr 2010 überhaupt noch einen hinreichenden Tatverdacht. In allen anderen Fällen komme keine Verurteilung mehr in Betracht, in dem verbleibenden Fall sei die Schuld gering. Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe "nicht (mehr)", heißt es in dem Beschluss.
"Die Verfahrenseinstellung war ein Konsens zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft, der – vom Gericht moderiert und für sachgerecht erachtet – nach mehreren Gesprächsterminen der Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung zustande gekommen ist", teilt ein Sprecher des LG Augsburg auf Anfrage von LTO mit. Nach Angaben des Gerichts verzichteten die Angeklagten im Rahmen der Absprache auf Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB und auf eine persönliche zivilrechtliche Inanspruchnahme von Ermittlungsbeamten. Die Verteidiger von G. und H. hatten während des Verfahrens Privatklagen in Großbritannien angedroht.
Leer ausgehen werden die Angeklagten nicht: Das Gericht spricht ihnen grundsätzlich eine Entschädigung zu. Dabei betont der Vorsitzende Richter Ballis in dem Beschluss, man könne den Angeklagten nicht vorwerfen, dass sie die Strafverfolgungsmaßnahmen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätten.
Die Angeklagten hätten zwar "durch die besonders aktive und umfangreiche Umsetzung der von ihnen ausgearbeiteten Steuergestaltung" eine Mitursache für die Ermittlungsthese und die Strafverfolgungsmaßnahmen gesetzt – dabei seien sie jedoch nicht wesentlich vom "üblichen Geschäfts- und Standesgebaren von Rechtsanwälten und Steuerberatern" abgewichen. Außerdem hätten sie sich "bereits unmittelbar nach ihrer Verhaftung mündlich und schriftlich ausführlich zu den Tatvorwürfen eingelassen und auch im Rahmen der Hauptverhandlung umfassend zur Sache ausgesagt."
Anwälte wollen Millionenentschädigung – wegen Kanzleiauflösung
Die Anwälte von G. und H. wollen nun pro Kopf eine Entschädigung in Höhe von rund eine bis zwei Millionen Euro geltend machen, so Daniel Dinkgraeve, Strafverteidiger von G.: "Es geht um den entgangenen Umsatz der Kanzlei auf Grund der Untersuchungshaft, um die Liquidationskosten bei der Kanzleiauflösung und um die Zinsen und die Finanzierung der Kaution, die hinterlegt werden musste, um den Haftbefehl auszusetzen", erklärt Dinkgraeve. Die Kanzlei AFR Aigner Fischer Rechtsanwälte, der H. und G. angehörten, hatte sich 2018 aufgelöst, Grund dafür sollen die Goldfinger-Ermittlungen sein.
Die Haftpauschale von 75 Euro pro Tag im Gefängnis, die das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) zusätzlich zu erlittenen Vermögensschäden vorsieht, dürfte dagegen den kleinsten Teil ausmachen. Noch ist allerdings nicht klar, mit welchen Forderungen sich die Rechtsanwälte durchsetzen können – über die Höhe der Entschädigung wird in einem gesonderten Verfahren entschieden. Die Kosten für das Verfahren und die Auslagen der Angeklagten trägt aber jedenfalls die Staatskasse.
Ein weitere Verfahren und die übrigen Ermittlungen gegen G. und H. wurden ebenfalls eingestellt, auch alle anderen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Goldfinger-Komplex werden nun geprüft, sie dürften ebenfalls eingestellt werden.
Kanzleidaten beschlagnahmt – Strafanzeige gegen Staatsanwältin
Doch der Goldfinger-Fall ist damit für alle Beteiligten noch nicht ausgestanden. Weiterhin heftig umstritten ist vor allem die Beschlagnahme der Kanzleidaten. Bei der Razzia im Januar 2018 wurden in der Kanzlei AFR und bei ihrer Steuerberatungsgesellschaft H.G. Perseus umfangreiche Daten sichergestellt. Das ist schon für sich genommen nicht unproblematisch, Kanzleidaten sind besonders geschützt. Doch die Verteidigung wirft der Staatsanwaltschaft außerdem vor, sie habe den gesamten Datenbestand an die Strafverteidiger anderer Beschuldigter weitergegeben, die Akteneinsicht beantragt haben – wie viele es genau waren, stehe noch nicht fest. Die StA will sich dazu nicht äußern.
Beyer und Dinkgraeve halten die Beschlagnahme für rechtswidrig und haben die Herausgabe der Daten beantragt. Bis darüber entschieden worden ist, hat das Amtsgericht (AG) Augsburg die Staatsanwaltschaft angewiesen, die Auswertung der Daten einzustellen, die Daten zu versiegeln und nicht an Dritte herauszugeben. Die Verteidigung hat nach eigenen Angaben auch Strafanzeige wegen Verstößen gegen das Geschäftsgeheimnisgesetz gestellt. Im Zusammenhang mit dem Goldfinger-Verfahren liegen außerdem weitere Strafanzeigen gegen Ermittler der StA Augsburg vor, in denen es um Falschaussage und Urkundenunterdrückung geht. Das bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft München auf Anfrage von LTO.
Zuständig für die Beschlagnahme der Daten in der Kanzlei war die ehemalige leitende Ermittlerin der StA Augsburg. Sie ist mittlerweile Richterin am AG Augsburg. In dem Prozess gegen G. und H. vor dem LG trat sie nicht als Staatsanwältin auf, wurde aber als Zeugin vernommen – allerdings beantwortete sie lediglich einige Fragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. Als sie von der Verteidigung befragt werden sollte, berief sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 StPO: Sie wolle sich nicht selbst belasten.
Falls es Kalkül war, mit hohem Fahndungsdruck gegen Steuertricks vorzugehen, dann stellt sich schon sehr drängend die Frage, ob dieser Plan aufgegangen ist: Der Goldfinger-Prozess hat zwar gezeigt, dass Anwälte und Steuerberater bei solchen Modellen leicht mit einem Bein im Gefängnis stehen - und es ziemlich aufwendig werden kann, dieses Bein wieder herauszuziehen. Der Staatsanwaltschaft dürfte der Prozess dagegen mehr geschadet haben als genützt.
Nach Ermittlungen zu Steuertricks: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44143 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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