Der EU-Haftbefehl sorgt weiter für Unruhe. In vier Vorlageverfahren prüft der EuGH nun, ob Frankreich, Schweden und Belgien bei der Ausstellung von EU-Haftbefehlen den Vorgaben genügen.
Nachdem sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits mit der Unabhängigkeit der deutschen, litauischen und österreichischen Staatsanwaltschaften befasst hat, muss er nun auch klären, ob die französischen, schwedischen und belgischen Justizbehörden einen Europäischen Haftbefehl (EuHB) ausstellen dürfen.
Eigentlich beruht der EuHB auf der Idee, dass die EU-Mitgliedstaaten Entscheidungen der jeweiligen Justizbehörden untereinander anerkennen und sie möglichst schnell und unkompliziert umsetzen. So kann EU-weit zum Beispiel nach Tatverdächtigen gefahndet bzw. eine Freiheitsstrafe vollstreckt werden.
Doch eine EuGH-Entscheidung vom Mai dieses Jahres brachte das System ins Wanken: Die Richter in Luxemburg erklärten die deutschen Staatsanwaltschaften für nicht unabhängig genug, um einen EuHB auszustellen. In Deutschland sind die Staatsanwaltschaften den Justizministerien unterstellt, die Weisungen in Einzelfällen erlassen dürfen – auch wenn das praktisch selten vorkommt. Sie seien deshalb keine "Justizbehörde" im Sinne des entsprechenden EU-Rahmenbeschlusses zum Haftbefehl (2002/584/JI), so die Richter in Luxemburg. In Deutschland muss seitdem jeder EuHB von einem Richter ausgestellt werden.
Zugleich erklärte der EuGH die litauische Staatsanwaltschaft für unabhängig genug, ihr sei verfassungsrechtlich ein entsprechender Status zugesichert. Wenig später hatte der EuGH das österreichische System zu prüfen. Dort ist die Staatsanwaltschaft zwar ähnlich wie in Deutschland weisungsabhängig organisiert. Der EuHB wird allerdings durch ein Gericht bewilligt. Das reichte dem EuGH aus.
Auch allgemeine Weisungen stehen Unabhängigkeit entgegen
Nun erreichten vier Vorabentscheidungsersuchen aus Luxemburg und den Niederlanden den EuGH. Die vorlegenden Gerichte hatten Zweifel an der Ausstellung von zwei Haftbefehlen aus Frankreich sowie je einem aus Schweden und aus Belgien. Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona stellte dazu heute seine Schlussanträgevor. Der EuGH wird seine Rechtsprechung nun präzisieren müssen, zumal sich in den verschiedenen Fällen unterschiedliche Fragen stellen.
Der Generalanwalt geht davon aus, dass auch die französische Staatsanwaltschaft nicht als "ausstellende Justizbehörde" im Sinne des EU-Rahmenbeschlusses angesehen werden kann. Sie unterstehe zwar seit 2014 keinen Einzelweisungen mehr, der französische Justizminister könne aber weiterhin allgemeine Weisungen erteilen. Auch das führe dazu, dass eine ausreichende Unabhängigkeit von der Exekutive nicht gegeben sei.
Campos Sánchez-Bordona betonte, dass die Justizbehörde, die einen EuHB erlässt, völlig unabhängig sein müsse, keinen hierarchischen Bindungen unterliegen und keinen Anordnungen oder Weisungen unterworfen sein dürfe. Das Vorabentscheidungsersuchen hatte der Luxemburgische Cour d’appel (Chambre de Conseil - Spezialkammer des Berufungsgerichts) vorgelegt.
Gesuchte Person muss den EuHB vor Gericht anfechten können
Ein erstinstanzliches Gericht aus den Niederlanden hatte zudem sowohl für Frankreich wie auch für Schweden – wo der EuHB ebenfalls von der Staatsanwaltschaft ausgestellt wird – Zweifel daran, dass ein den Vorgaben des EuGH entsprechender Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der ausstellenden Behörde zur Verfügung steht.
Campos Sánchez-Bordona erklärte dazu, dass die gesuchten Personen einen Haftbefehl bei einem Richter oder Gericht des ausstellenden Staates anfechten können müssen - und zwar ohne die Übergabe durch die Behörden abzuwarten. Allerdings sei es für die vollstreckenden Behörden viel zu kompliziert auch das noch zu überprüfen, so der Generalanwalt. Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens zwischen den EU-Mitgliedsstaaten spreche dafür, das Verfahren möglichst einfach zu halten. Deshalb seien Zweifel an einem entsprechenden Rechtsbehelf kein Grund dafür, die Vollstreckung des Haftbefehls abzulehnen. Es sei vielmehr Sache der nationalen Gerichte, entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
In dem vierten Vorabentscheidungsersuchen, das ebenfalls von dem niederländischen Gericht vorgelegt wurde, ging es um einen von der belgischen Staatsanwaltschaft ausgestellten EuHB zur Vollstreckung einer mit rechtskräftigem Urteil verhängten Freiheitsstrafe. Auch in diesem Fall müsse es – wie in den Fällen, in denen es um die Strafverfolgung von Tatverdächtigen geht – eine Möglichkeit geben, den EuHB durch Rechtsbehelf zu überprüfen, so der Generalanwalt.
In vielen EU-Mitgliedstaaten wird der EuHB durch die Staatsanwaltschaften ausgestellt. Viele Mitgliedstaaten stellten allerdings schon nach der EuGH-Entscheidung zu Deutschland und Litauen klar, dass ihre Staatsanwaltschaften unabhängig organisiert seien. In anderen Ländern, etwa in Tschechien, Ungarn, Polen und Irland stellen dagegen ausschließlich die Gerichte den EuHB aus.
EuGH-Generalanwalt zum Europäischen Haftbefehl: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38901 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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