Zum ersten Mal gibt der Bundestag Geld aus dem umstrittenen Digitalpakt für die Justiz frei: Für ein Online-Klagesystem sowie ein "Videoportal der Justiz". Der echte Härtetest wartet noch, es sind noch 193 Millionen Euro zu verhandeln.
Über Monate haben Bund und Länder um den Digitalpakt für die Justiz gestritten, nun wird zum ersten Mal Geld für den Start erster Projekte fließen. Der Haushaltsausschuss im Bundestag hat dafür am Mittwochnachmittag nach Informationen von LTO grünes Licht gegeben. Eine Mehrheit der Ampelstimmen reichte aus, die Union soll sich enthalten haben.
Starten soll mit dem Geld ein zivilgerichtliches Online-Verfahren, eine digitale Rechtsantragsstelle, ein Videoportal für die Justiz und eine E-Justiz-Koordinierungsstelle Europa. Insgesamt gab der Ausschuss dafür 6,1 Millionen Euro frei – gemessen an dem Gesamttopf von 200 Millionen Euro für die Digitalisierung der Justiz eine zunächst überschaubare Summe. Im Bundesjustizministerium (BMJ), bei den Haushältern sowie den Ländern scheint man dem Vernehmen nach mindestens erleichtert, dass nun Bewegung in den Pakt kommen. In den letzten Monaten hatten sich einzelne Länder und der Bundesjustizminister auch öffentlich Vorwürfe gemacht. Die Länder wollten mit einer Neuauflage des Pakts für den Rechtsstaat vor allem zusätzliches Personal verbunden wissen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) lehnte das ab, sein Haus verband damit Investitionen in die Digitalisierung. Ein (Krisen-)Gipfel Ende März hat beide Seiten aber wieder angenähert. Nach scharfen Tönen wurden versöhnlichere angestimmt, man trete man nun in eine neue Phase der "besseren Zusammenarbeit" ein, sagte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU).
Noch am Montagabend war nach Informationen von LTO ein kurzfristiges Treffen Buschmanns mit den zuständigen Abgeordneten des Haushaltsauschusses einberufen worden. Der Haushaltsausschuss sitzt am entscheidenden Hebel, ohne seine Zustimmung kommt kein Geld vom Bund für die Justiz. Ende 2022 hatte der Haushaltsausschuss vom Bund zunächst bereitgestellte 200 Millionen erst einmal eingefroren, er wollte konkrete Projektvorschläge sehen. Die lieferte das BMJ nun.
Die echten Herausforderungen für Bund und Länder warten noch – 193 Millionen to go
Mit dem Online-Klageverfahren soll ein alternativer Zugangsweg zur Ziviljustiz geschaffen werden. Bei niedrigen Streitwerten sollen Bürgerinnen und Bürger ihre Ansprüche in einem komplett digitalen Verfahren geltend machen können. Das ist seit längerem ein rechtspolitisches Anliegen des BMJ. Das gilt auch für das zweite Projekt, eine digitale Rechtsantragsstelle. Bürgerinnen und Bürger sollen ihre Anliegen und Anträge mit Hilfe von Digitalwerkzeugen einfacher zu Gericht bringen können. Die beiden Projekte sollen in "agiler Arbeitsweise" durchgeführt werden, wie es in einem Antrag heißt, der LTO vorliegt. Das klingt nach moderner Arbeitswelt mit Desksharing und Breakout Rooms, soll für die Entwicklung der Justizprojekte aber erst einmal nur bedeuten: ausprobieren, lernen, anpassen.
Der Bund will außerdem ein "Videoportal der Justiz" entwickeln, das zum bundesweiten Standard für Videoverhandlungen bei Gericht werden soll. Dazu wurde bereits eine Umfrage bei den Ländern und bei besonderen Justizakteuren wie Generalbundesanwaltschaft und Bundesverfassungsgericht durchgeführt. Nun soll es mit dem Geld an die Softwareentwicklung gehen.
Drittens soll eine E-Justiz-Koordinierungsstelle Europa beim Justizministerium Nordrhein-Westfalen eingerichtet werden. So soll die deutsche, durch Föderalismus geprägte Justiz eine zentrale Ansprechstelle bekommen, um auf europäische Digitalisierungsvorhaben aus Brüssel wie die Zustellungsverordnung oder die Beweisaufnahmeverordnung reagieren zu können. "Deutschland ist auf die sich daraus ergebenden Herausforderungen bislang nicht gut eingestellt", bilanziert das Antragsdokument aus dem BMJ.
Es fällt auf, dass in dieser ersten Tranche drei Projekte dabei sind, die federführend beim BMJ betreut werden, alle über das BMJ finanziert werden und zum Teil sogar schon länger vom BMJ verfolgt werden. Auf das Einverständnis der Länder kam es also nicht entscheidend an. Allein die Koordinierungsstelle kann als Gemeinschaftsprojekt mit gemischter Finanzierung aus Bund und Ländern gesehen werden.
Heißt: Das dürfte die leichtere Übung beim Digitalpakt gewesen sein. Die echten Herausforderungen in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern kommen erst noch. Es sind noch gut 193 Millionen Euro zu vergeben. Die nächste Wegmarke dürfte die Justizministerkonferenz Ende Mai in Berlin sein. Zu erwarten ist, dass der Digitalpakt dort Topthema wird.
Huch, schon wieder ein neuer Name
Das letzte Treffen der Ländervertreter mit Buschmann im BMJ endete mit einer bemerkenswerten Passage in der Abschlusserklärung: "Die Länder sehen in den oben bezeichneten Mitteln eine nützliche projektbezogene Digitalisierungsinitiative des Bundesministers der Justiz. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder betonen aber, dass diese Digitalisierungsinitiative allein nicht ausreicht, um die im Koalitionsvertrag angekündigte Verstetigung des Pakts für den Rechtsstaat und die Ergänzung um einen Digitalpakt zu erfüllen."
Das wird man übersetzen können mit: Wir sind alles andere als glücklich, müssen aber einsehen, dass wir auf diesem Weg wirklich kein Geld für neue Stellen in der Justiz bekommen, wir formulieren das Ganze aber maximal gesichtswahrend. Dazu passt auch, dass der "Digitalpakt" nebenbei wieder einen neuen Namen verpasst bekommen hat. Nun heißt das Vorhaben "Digitalisierungsinitiative für die Justiz", unter diesem Namen erreichten die Anträge nun auch den Haushaltsausschuss zur Freigabe.
"Damit kommen wir dem Ziel, die Vorteile der Digitalisierung für alle Menschen in Deutschland auch im Bereich der Justiz noch stärker nutzbar zu machen, näher", sagt der Grüne Bundestagsabgeordnete Bruno Hönel, Mitglied im Haushalts- sowie Finanzausschuss, am Mittwochabend zu LTO. Bund und Länder arbeiteten bei der Umsetzung eng zusammen. "In den letzten Jahren ist jedoch zu wenig passiert, sodass Deutschland heute nicht auf der Höhe der Zeit ist und zwischen den Bundesländern große Unterschiede bestehen", so Hönel. Das BMJ müsse sicherstellen, dass dieser Rückstand jetzt zügig aufgeholt wird, indem weitere Projekte etatreif werden, um dann dem Haushaltsausschuss zur Freigabe vorgelegt werden zu können. "Einheitliche Standards und Schnittstellen für alle beteiligten Akteure in der Justiz haben dabei die höchste Priorität."
"Die jetzt freigegebenen Haushaltsmittel fließen in dringend benötigte IT-Großprojekte, die teilweise bereits reif für den Test an einigen Pilotgerichten sind", erklärt der zuständige FDP-Haushälter Thorsten Lieb gegenüber LTO. Die Digitalisierung der Justiz gleiche einer Herkulesaufgabe. "Wir müssen alle Kräfte bündeln, um den Zugang zum Recht zu erleichtern. "Es ist eine Aufgabe, an der sich unser Rechtsstaat zukünftig messen werden lassen muss", so der Jurist.
Digitalisierung der Justiz nach dem Musketierprinzip
Für die Zukunft soll bei der Digitalisierung nach dem Musketierprinzip vorgegangen werden: "Einer für alle, alle für einen" – was wörtlich sogar in den Antragsdokumenten so erwähnt wird. Normativ möglich werden soll diese Bund-Länder-Kooperation vor dem Hintergrund des Art. 91 c Grundgesetz, der ein solches Zusammenwirken für digitale Systeme vorsieht. Ein Bundesland soll federführend ein Digitalisierungsprojekt erproben und von dort soll es dann in der Justizfläche ausgespielt werden.
Ob dieses Vorgehen mehr Ordnung und Fortschritt in eine Justizdigitalisierungslandschaft bringt, in der bislang sechzehn Länder ihre eigenen Inselformate einführen, Gerichte von Flensburg bis Mannheim ihre Pilotprojekte starten und in deren Justizalltag am Ende eine Richterin oder ein Staatsanwalt das eingegangene Dokument ausdrucken, bearbeiten und wieder einscannen muss, weil nichts mit nichts kompatibel ist, bleibt abzuwarten.
Nach Streit um Justizpakt fließt erstmals Geld: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51642 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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