Oberstaatsanwalt Andreas May leitet die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Gießen. Im Gespräch mit LTO berichtet er über die rechtlichen Schwierigkeiten, den Sumpf von Pädophilen und anderen Straftätern auszutrocknen.
LTO: Herr May, die Zuhörerschaft auf der diesjährigen Swiss Legal Tech 2018 war von ihren spannenden Ausführungen zur Ermittlungstätigkeit im Darknet beeindruckt. Mit einem rund zehnköpfigen Team verfolgen Sie Straftäter im Darknet oder auch anderen mehr oder weniger geschlossenen Räumen im Internet. Welche Ausmaße hat die Cyberkriminalität mittlerweile angenommen?
Andreas May: Kriminalität im Internet hat in den vergangenen Jahren nach meiner Wahrnehmung deutlich zugenommen, auch wenn man sie zahlenmäßig nur schwer erfassen kann. Es findet im Netz mittlerweile eine Schattenwirtschaft statt, die sich immer mehr auszisiliert hat: Waffen, Drogen, aber auch gehackte Daten werden zum Kauf angeboten. Leider erschweren uns die besonderen rechtlichen Bedingungen in Deutschland eine erfolgreichere Strafverfolgung.
Können Sie das erläutern?
Schauen Sie: Das Darknet ist mit seinen Verschlüsselungstechnologien nur schwer zu brechen. Wir müssen uns also auf den Plattformen in gewisser Weise in Old-school-Manier als Testkäufer oder Interessenten gerieren, um dann irgendwann Schwachstellen zu nutzen und die Täter aus der virtuellen in die reale Welt zu locken. Was uns bei Waffen- oder BtM-Käufen gelegentlich auch gelingt, klappt aber zum Beispiel bei Kinderpornografie nicht ganz so gut.
Warum?
Plattformen, auf denen Kinderpornografie vertrieben wird, verlangen z.B. von ihren Usern, dass sie einmal im Monat selbst verbotenes Material posten. Damit wollen die Betreiber ausschließen, dass sich Polizeibeamte ins Forum einschleichen. Denn Kinderpornografie posten dürfen deutsche Ermittler nicht. Sie würden sich strafbar machen und das wissen die Betreiber natürlich. In anderen Ländern – Niederlande, Italien oder Australien – haben es meine Kollegen leichter. Hier sollte sich der deutsche Gesetzgeber unbedingt etwas einfallen lassen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Hessen hat eine Initiative gestartet, die es Ermittlern ermöglich würde, sogenannte gemorphte Fotos von Kindern zu posten. Es handelt sich also nicht um echte Menschen, die zu sehen sind, sondern um virtuelle Bilder. Dieser Initiative sollte sich auch der Bundesgesetzgeber nicht verschließen. Aber es ist nicht die einzige Baustelle, die der Gesetzgeber bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität angehen sollte.
"Wir sind nicht befugt, anonymisierte Plattformen zu kapern"
Welche meinen Sie noch?
Um auf anonymisierten Plattformen, auf denen Straftaten begangen werden, die Täter ausfindig zu machen, ist es manchmal unerlässlich, die Seite zu "kapern" und als Strafverfolgungsbehörde selbst eine Zeitlang die Seite zu betreiben und den Usern vorzugaukeln, alles laufe weiter wie zuvor. Nur: Auch hierzu sind wir rechtlich nicht befugt. Wir würden uns der Beihilfe an den Delikten strafbar machen, die auf der Seite begangen werden.
Also bemühen wir uns mittlerweile einer umständlichen Konstruktion: Wir bitten andere Staaten, in denen diesbezüglich die Rechtslage gelockerter ist, um Übernahme der Seite. Dort werden dann die Ermittlungen weitergeführt. Aber das ist umständlich und widerspricht in meinen Augen dem Gebot einer effektiven Strafverfolgung. Zudem: Nicht immer haben die Ermittler anderer Staaten ein gesteigertes Interesse, Straftaten für Deutschland aufzuklären.
Wie würde Ihre Lösung aussehen, die der deutsche Gesetzgeber aufgreifen sollte?
Man könnte uns zum Beispiel für einen gewissen, begrenzten Zeitraum die Übernahme einer solchen Plattform erlauben – abgesichert etwa durch einen richterlichen Beschluss. Doch das rechtmäßige Erlangen von Beweisen ist das eine. Auch unser materielles Strafrecht ist noch viel zu sehr an der analogen Welt ausgerichtet. Die Tatbestandsvoraussetzungen einer "kriminellen Vereinigung" oder einer "bandenmäßigen" Begehung passen auf die Konstellationen in der Cyberwelt oft nicht. Da handelt es sich manchmal eher nur um lockere Zusammenkünfte, die das vom Gesetzgeber geforderte Organisationsniveau nicht erfüllen. Unser Strafrecht ist in dieser Hinsicht noch auf dem Stand des vergangenen Jahrhunderts.
"Manchmal machen die Personen die haarsträubendsten Fehler"
Auch wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen unzureichend sind: Gleichwohl "feiern" Sie bei ihrer Arbeit im Darknet auch den ein oder anderen Erfolg. Bestes Beispiel: Sie konnten den Betreiber der Plattform fassen, der dem Münchner Amokläufer 2016 die Waffe verkauft hatte.
Das ist richtig; manchmal machen die Personen, die sich ansonsten völlig abgeschottet in einer anonymisierten Welt bewegen, die haarsträubendsten Fehler. Im Falle des Münchner Attentäters halfen uns z.B. Trackingnummern des Postdienstleisters DHL. Bei einer anderen Kinderpornografie-Plattform konnte man eine Art Profilfoto, meist eine Art Avatar, hochladen. Darin lag eine Schwachstelle, die die Tür in die reale Welt öffnete und uns die IP-Adressen verschaffte.
Wenn wir dann übrigens jemanden aus der Anonymität herausgeführt und zugegriffen haben, hilft uns ungemein das Instrument der Kronzeugenregelung. Im Waffen- und Drogendeliktsbereich ist dieses Instrument gar nicht mehr wegzudenken.
Wie verdienen eigentlich die Betreiber von Darknet-Plattformen, auf denen alles Mögliche gehandelt wird, ihr Geld?
Die Betreiber einer Plattform fungieren als Treuhänder; sie kassieren zum Beispiel die Bitcoins des Käufers und erst wenn dieser etwa die Waffe geliefert bekommen hat, zahlen sie - unter Abzug einer gewissen Gebühr - an den Verkäufer aus.
Das System ist übrigens hochgradig abgesichert: Nur wenn zwei der drei an dem Kauf beteiligten Personen eine Art digitalen Schlüssel einsetzen, kann der Kauf abgeschlossen werden. Damit wird beispielsweise verhindert, dass der Treuhänder einfach seine Seite schließt und sich mit dem Geld davon macht. Und natürlich verdienen Plattform-Betreiber auch im Darknet ihr Geld mit Werbung. Auf den einschlägigen Seiten finden Sie zum Beispiel anpreisende Banner von Drogen- oder Waffenverkäufern. Vor diesem Hintergrund droht den Seitenbetreibern natürlich auch eine Verfolgung wegen Geldwäsche.
Die Rechtslage ist beim Thema Cybercrime für Sie nicht so wie sie sein sollte, andere Länder sind hier weiter - ist denn wenigstens die Justiz in der Lage, die Verfahren, bei denen Ihre Ermittlungen erfolgreich waren, vernünftig abzuarbeiten?
Auch da sprechen Sie einen wunden Punkt an: Die Defizite in der Richterschaft sind bei diesen Straftaten manchmal immens; man muss oft Glück haben, an eine einigermaßen kenntnisreiche Kammer zu gelangen. Deshalb fordern wir schon lange Schwerpunktkammern, die auf Straftaten im Internet spezialisiert hat. Die Justiz darf - wie wir Ermittler auch nicht – der Entwicklung bei bestimmten Kriminalitätsformen hinterherhinken.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Interview mit Deutschlands führendem Darknet-Ermittler: . In: Legal Tribune Online, 20.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31031 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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