Montag ist für den neuen Vizepräsidenten Stephan Harbarth der erste Arbeitstag am BVerfG. Wird der Ex-Politiker und Ex-Anwalt wegen seines Vorlebens nun regelmäßig nicht an Verfahren teilnehmen können, fragt Christian Rath.
Stephan Harbarth wurde am 22. November im Bundestag zum Richter des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gewählt, am 23. November wählte ihn der Bundesrat zum Vizepräsidenten des Gerichts und am 30. November erhielt Harbarth seine Ernennungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
In den Wochen vor seiner Wahl wurde Harbarth vor allem zweierlei vorgeworfen. Er sei als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU ein profilierter Parteipolitiker. Als Verfassungsrichter müsste er dann regelmäßig über die von ihm selbst beschlossenen Gesetze entscheiden. Außerdem sei Harbarth Partner der Rechtsanwaltskanzlei SZA Schilling Zutt & Anschütz , die auch VW im Diesel-Skandal vertrete. Hieraus könnten sich ebenfalls Interessenskonflikte ergeben. Verhindern konnten die Argumente seine Wahl nicht. Die Mehrheit im Bundestag hielt entgegen, dass gerade Harbarths Erfahrungen als Politiker und Anwalt das Gericht bereichern würden.
Doch nach der Wahl stellt sich eine andere Frage: Führt Harbarths Vorleben nun dazu, dass er häufig nicht an Verfahren teilnehmen kann? Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) regelt solche Konflikte in § 18 und § 19. Harbarth könnte entweder kraft Gesetzes von bestimmten Verfahren ausgeschlossen sein oder weil die Besorgnis der Befangenheit besteht.
Ausschluss kraft Gesetzes
Auf den ersten Blick ist seine bisherige Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter problematisch. Ein Verfasssungsrichter ist von einem Verfahren ausgeschlossen, "wenn er in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist." Demnach müsste er immer ausscheiden, wenn ein von ihm mitbeschlossenes Gesetz ausdrücklich oder implizit angegriffen wird. Allerdings sieht das Gesetz genau für solche Fälle eine Ausnahme vor. Die frühere "Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren" führt nicht zum Ausschluss von Richtern. Dahinter steht wohl der Gedanke, dass es bei der Gesetzgebung vor allem um die Zweckmäßigkeit von Gesetzen gehe, und daher noch keine Vorfestlegung für Fragen der Verfassungsmäßigkeit zu befürchten sei.
Für Harbarths frühere Anwaltstätigkeit gibt es im Gesetz keine explizite Ausnahmeklausel. Allerdings wendet das Verfassungsgericht das Merkmal "in derselben Sache" in einem ganz konkreten Sinne an. Es genüge nicht, "dass der Richter in seiner früheren amtlichen oder beruflichen Eigenschaft in einem mit dem anhängigen Verfahren in irgendeinem Zusammenhang stehenden Verfahren tätig geworden ist. Zu seinem Ausschluss kann vielmehr regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsrechtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren (Ausgangsverfahren) führen", so das BVerfG in ständiger Rechtsprechung. Die frühere Tätigkeit für SZA, die auch VW im Dieselskandal beraten hat, dürfte Harbarth in Karlsruhe also kaum von Verfahren um den Diesel-Skandal kraft Gesetzes ausschließen. Zum einen hat die Kanzlei sich wohl nur mit einem Teilaspekt - den aktienrechtlichen Fragen - beschäftigt. Zum anderen war Harbarth selbst in diesem Mandat auch gar nicht aktiv.
Besorgnis der Befangenheit: Die Abgeordnetentätigkeit
Die selben Sachverhalte könnten aber auch mit Blick auf den Eindruck einer möglichen Befangenheit des 46-Jährigen eine Rolle spielen. Dabei kommt es laut BVerfG nicht darauf an, ob ein Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist. "Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln", so die ständige Karlsruher Rechtsprechung.
Soweit es um eine Tätigkeit als Abgeordneter geht, verweist das Verfassungsgericht auf die bereits erwähnte Regel zum Ausschluss kraft Gesetzes. Da dort die "Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren" ausdrücklich für unbedenklich erklärt wurde, könne sie allein dann nicht die Besorgnis der Befangenheit auslösen. Es müsse vielmehr noch etwas hinzukommen. So kann etwa Verfassungsrichter Peter Müller nicht am Verfahren um § 217 Strafgesetzbuch (geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung) teilnehmen. Denn in seinem früheren Leben als Ministerpräsident hatte er 2007 einen dem nun zur Entscheidung anstehenden Gesetz ganz ähnlichen Gesetzentwurf des Saarlands in den Bundesrat eingebracht, ihn mit viel Engagement unterstützt und dabei auch verfassungsrechtlich argumentiert. Der Zweite Senat sah hierin "eine besonders enge, nicht nur aus einem früheren politischen Amt, sondern auch aus seiner persönlichen Überzeugung abzuleitende Verbindung zu dem zur Prüfung vorliegenden Gesetz". Es bestehe deshalb zu Recht die Besorgnis der Befangenheit.
Stephan Harbarth muss also nicht bei allen Gesetzen, über die er einst mitbeschlossen hat, wegen potenzieller Befangenheit ausscheiden, sondern nur wenn er eine besonders enge Verbindung zu einem Regelwerk hat. Interessant könnte das zum Beispiel beim Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung werden, das derzeit beim BVerfG zur Prüfung liegt und für das sich Harbarth als CDU-Rechtspolitiker nachdrücklich einsetzte.
Besorgnis der Befangenheit: Die Anwaltstätigkeit
Die frühere Anwaltstätigkeit von Harbarth muss ebenfalls auch unter dem Gesichtspunkt einer Besorgnis der Befangenheit betrachtet werden. Hier könnten auch Fälle eine Rolle spielen, in die nicht Harbarth selbst, sondern Anwälte seiner Kanzlei involviert sind. Als Hans-Joachim Jentsch von 1996 bis 2005 Verfassungsrichter war, ging es zwei Mal um diese Konstellation. In beide Verfahren war Jentschs Kanzleikollege Manfred Kanther verwickelt. Der ehemalige hessische CDU-Chef war einer der Hauptverantwortlichen der Schwarzgeld-Konten der Hessen-CDU, die zu zahlreichen Gerichtsverfahren führten.
Beim ersten Mal im Jahr 2000 konnte Jentsch am Verfahren trotz der Verbindung mit Kanther teilnehmen. Beim zweiten Mal, drei Jahre später, musste er passen. Auch wenn Jentsch während seiner Richterzeit keine wirtschaftlichen Vorteile aus der Kanzlei ziehe, könnten ihn nach seiner Rückkehr dorthin ein von Manfred Kanther ausgelöster Reputationsverlust der Kanzlei und mögliche finanzielle Probleme Kanthers durch CDU-Regressforderungen doch persönlich treffen. Schon der böse Schein müsse vermieden werden, so das Bundesverfassungsgericht (Beschl. vom 18.06.2003, AZ 2 BvR 383/03).
Wie oft solche Konstellationen bei Stephan Harbarth auftauchen werden, lässt sich noch nicht sagen. Verfassungsrichter Peter Müller aus dem Zweiten Senat wird von Prozessbeteiligten jedenfalls häufig wegen Vorbefassung in derselben Sache oder Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. In mindestens drei Verfahren hatten die Vorstöße auch Erfolg. Neben dem noch nicht entschiedenen Verfahren über die Förderung von Selbsttötungen war Müller auch ausgeschlossen bei der Entscheidung über die Bundespräsidentenwahlen 2009 und 2010 (weil er jeweils Mitglied der wählenden Bundesversammlung war) sowie beim Verfahren über die Zusammensetzung von informellen Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses (weil Müller zu dieser Zeit auch Mitglied des Vermittlungsausschusses war).
Ein Verfassungsrichter, der einen Interessenskonflikt spürt, muss nicht warten, bis ihn ein Verfahrensbeteiligter ablehnt. Er kann sich auch selbst für befangen erklären oder zumindest um eine Entscheidung des Senats bitten. Der jeweilige Senat entscheidet dann grundsätzlich ohne den betroffenen Richter.
Stephan Harbarth am BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 03.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32471 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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