Seit 2016 sitzt ein Mann in U-Haft. Zu lange, findet das BVerfG. Dass der Staat seiner Pflicht nicht nachkomme, die Gerichte hinreichend auszustatten, könne nicht zu seinen Lasten gehen. Mindestens ein Hauptverhandlungstag pro Woche muss sein.
Die Anschuldigungen wiegen schwer. Im August 2016 erhob die Staatsanwaltschaft gegen einen Mann Anklage wegen Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Geiselnahme in Tateinheit mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung. Er soll seine zwei Monate alte Tochter aus dem zweiten Stock eines Hauses geworfen und getötet haben. Zu dem Zeitpunkt sitzt der Mann bereits drei Monate in Untersuchungshaft. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Zu lange, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit am Freitag veröffentlichtem Beschluss entschied (Beschl. v. 23.01.2019, Az. 2 BvR 2429/18). Eine so lange währende Untersuchungshaft sei trotz der Schwere der angelasteten Tat nicht gerechtfertigt und verletze den Mann daher in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. mit Art. 104 GG).
"Gerichtsüberlastung kann niemals Haftfortdauerentscheidung rechtfertigen"
Das immer wieder vorgebrachte Argument des Gerichts, es sei überlastet, könne die Haftfortdauer nicht rechtfertigen. Dieser Umstand liege allein im Verantwortungsbereich der Justiz und könne niemals als Grund für eine Haftfortdauerentscheidung herangezogen werden, konstatierten die Karlsruher Richter. Selbst dann nicht, wenn die Überlastung eintritt, obwohl das Gericht alle ihm möglichen und zumutbaren Ressourcen ausschöpft. Dem Mann dürfe nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäume, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen.
Und auch die dürftige Verhandlungsdichte monierten die Richter der 1. Kammer des Zweiten Senats. Bis August 2017, also neun Monate nach Beginn der Verhandlung, verhandelte das Gericht 23 Mal. Erschwerend kam hinzu, dass im August 2017 die Vorsitzende Richterin erkrankte. Das Verfahren wurde ausgesetzt und im Dezember 2017 mit einem anderen Vorsitzenden fortgeführt. In den folgenden neun Monaten verhandelte das Gericht 25 Mal. Bis Ende Januar 2019 sind 15 weitere Termine bestimmt.
Viel zu wenig und ein gravierender Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz, wie das BVerfG feststellt. Die Terminierung der Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (LG) genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhandlungsdichte von einem Verhandlungstag pro Woche nicht. Vielmehr habe sie in jedem Betrachtungszeitraum weit seltener als an durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag pro Woche verhandelt, zuletzt an nur 0,65 Tagen pro Woche. Die Anforderungen an das Arbeitstempo müssten aber mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft steigen, resümierten die Richter.
Nun muss das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) entscheiden, ob der Mann freigelassen werden muss. Eine Entscheidung könnte nach Angaben des Gerichts noch am Freitag fallen.
tik/LTO-Redaktion
mit Materialien von dpa
BVerfG bemängelt Haftfortdauer im Frankenthaler Babymordprozess: . In: Legal Tribune Online, 25.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33459 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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