"Unhaltbar": Mit ungewöhnlich deutlichen Worten kritisieren Berliner Staatsanwälte ihre übergeordneten Behörden für deren Reaktion auf einen Befangenheitsverdacht gegen einen leitenden Staatsanwalt.
Nachdem die Berliner Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) die Ermittlungen zu einer rechtsextremen Anschlagserie an sich gezogen hat und zwei Staatsanwälte wegen des Verdachts der Befangenheit versetzt wurden, zeigen sich Berliner Staatsanwälte erschüttert über die Art der Konsequenzen. Mit ungewöhnlich deutlichen Worten üben sie Kritik an der ihr übergeordneten GenStA und der Justizsenatsverwaltung.
Den Vorgang nennt die Vereinigung Berliner Staatsanwälte (VBS) in einer Mitteilung vom Montag "unhaltbar". Der Zusammenschluss der Berliner Staatsanwälte wurde 1986 als Interessenverband gegründet, Vorsitzender ist der Oberstaatsanwalt Ralph Knispel. Nach eigenen Angaben zählt der Verein rund 160 Staatsanwälte als Mitglieder, die Berliner Justiz beschäftigt insgesamt rund 300.
Dünne Beweislage – aber ungeheurer Verdacht?
"An einen vergleichbaren Vorgang in meiner fast drei Jahrzehnten währenden Tätigkeit kann ich mich nicht erinnern", sagte Knispel am Montag zu LTO. "Der Vorwurf, dass in der Berliner Staatsanwaltschaft ein rechtes Netzwerk bestehe, ist nicht nur grotesk und hat die Kolleginnen und Kollegen verunsichert, sondern darüber hinaus zu einem unfassbaren Vertrauensverlust in die Justiz geführt."
Vor allem die Beweislage für den Befangenheitsverdacht halten die Staatsanwälte für unverhältnismäßig gegenüber den gezogenen Konsequenzen. "Die veröffentlichten Gründe hingegen tragen jedenfalls weder die Umsetzungen noch die Übernahme der Ermittlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft", heißt es in der Mitteilung.
Am vergangenen Mittwoch hatte die Berliner GenStA mitgeteilt, dass sie sämtliche Ermittlungsverfahren zu der Anschlagserie im Berliner Stadtteil Neukölln von nun an selbst übernimmt. Sie entzieht damit der eigentlich zuständigen Staatsschutzabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft alle Fälle aus dem Neukölln-Komplex. Der GenStA scheint es möglich, dass ein mit der Sache betrauter leitender Staatsanwalt befangen ist.
Sollten politisch unliebsame Beamte versetzt werden?
Bei der VBS entsteht indes ein ganz anderer Eindruck. Dort wundern sich die Staatsanwälte, warum bei einem so schwerwiegenden Verdacht dann nicht gleich sämtliche Verfahren gegen rechte Kreise, die der Staatsanwalt in der Vergangenheit bearbeitet hat, überprüft werden. In den Medien und der Öffentlichkeit bleibe so der Verdacht bestehen, dass der "böse Anschein" genutzt worden ist, um aus politischen oder persönlichen Gründen unliebsame Beamte zu versetzen.
Bei den Befangenheitsvorwürfen geht es konkret um das Protokoll einer Telekommunikationsüberwachung aus dem März 2017. In einer Auswertung des Berliner Landeskriminalamtes aus dem September 2019 zu der Überwachung soll eine kurze Passage besonders auffällig sein. Sie soll nahelegen, dass der Leiter der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft einem Beschuldigten in dem Neukölln-Verfahren signalisierte, er habe nichts zu befürchten, der Staatsanwalt stehe auf seiner Seite. Das wurde LTO aus Kreisen der Justiz bestätigt.
Die VBS befürchtet, dass der Umgang mit diesem Vorwurf zu einer Art Dammbruch führen könnte: Die Berliner Staatsanwälte sorgen sich, dass Beschuldigte künftig bewusst versuchen könnten, durch ihre Äußerungen Versetzungen oder andere dienstrechtliche Konsequenzen zu provozieren, wenn diese im Nachhinein von der GenStA geprüft und für kritisch befunden würden.
GenStA kam der Staatsanwaltschaft zuvor
Offenbar wollte die Staatsanwaltschaft vor Eingreifen der GenStA die Aufklärung des Vorgangs selbst in die Hand nehmen, andere Staatsanwälte mit der Ermittlung beauftragen und den beiden betroffenen Kollegen andere Aufgaben geben. Eine Pressemitteilung zu diesem Vorhaben sollte nach Angaben des VBS bewusst nicht veröffentlicht werden, um insbesondere die betroffenen Staatsanwälte zu schützen, wie es in der Mitteilung des Staatsanwälte-Vereins heißt. Den ganzen Vorgang wollte man offenbar möglichst geräuschlos intern klären.
Nach einem Austausch zwischen der Behördenleitung der Berliner Staatsanwaltschaft mit der Generalstaatsanwältin habe sich letztere nach Informationen von LTO aber dann doch für die Veröffentlichung einer Pressemitteilung in der Sache entschieden. Die GenStA hatte offenbar eine andere Taktik gewählt: Auch schon eine schwache Beweislage soll danach angesichts des schwerwiegenden Vorwurfs ausreichen, um den Vorgang an sich zu ziehen, zu überprüfen und letztlich nach außen transparent zu machen. Die GenStA wollte damit um jeden Preis vermeiden, dass auch nur der Eindruck entsteht, die Justiz gehe solchen Hinweisen nicht konsequent nach.
Aus Sicht des VBS ist damit erst recht ein Schaden eingetreten: "In der Konsequenz fällt auf die Leitung der Staatsanwaltschaft Berlin ein dunkler Schatten und treibt ihre Bediensteten die ernsthafte Sorge um, bei tatsächlichen oder vermeintlichen Bearbeitungsfehlern unversehens umgesetzt zu werden", heißt es in der VBS-Mittelung. "Vor allem aber ist durch die behaupteten – gar als wissentlich dargestellten – Versäumnisse bei der Verfolgung rechtsmotivierter Straftaten sowie das beschriebene Vorgehen der Generalstaatsanwältin das Ansehen der Berliner Staatsanwaltschaft und Justiz nachhaltig erschüttert."
Wenigstens beschädigt dürfte damit nun auch erstmal das Vertrauensverhältnis zwischen Teilen der Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt und ihren übergeordneten Stellen der Generalstaatsanwaltschaft und der Justizsenatsverwaltung sein.
Berliner StA kritisiert Reaktion nach Befangenheitsverdacht: . In: Legal Tribune Online, 10.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42456 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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