Verkehrsrechtler haben in der Coronakrise gelitten: "Zu wenige" Unfälle, abgesagte Verhandlungstermine. Jetzt wartet auf sie mit der StVO-Novelle, die u.a. erhöhte Bußgelder bei Tempoverstößen vorsieht, die nächste Herausforderung.
Weniger Verkehr, weniger Unfälle, weniger Mandanten: Die Coronakrise mit ihren diversen Lockdowns hat den Verkehrsanwältinnen und –anwälten wirtschaftlich arg zugesetzt. Allein im Zeitraum März bis Juni 2020 ging nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Verkehrsunfälle um 26 Prozent zurück. Weniger Sachschäden, weniger Personenschäden, eigentlich freuen sich alle darüber, nur eben nicht die auf das Verkehrsrecht spezialisierte Anwaltschaft.
"Weniger Verkehr ist schlicht das Hauptproblem für Verkehrsrechtler und alle anderen, die mittelbar oder unmittelbar mit dem Verkehr ihr Geld verdienen", schildert Nicolas Eilers, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Groß-Gerau die Lage. Eilers und einige seiner Kollegen und Kolleginnen waren am Freitag vom Deutschen Anwaltverein (DAV) nach Köln geladen worden, um dort gegenüber der Presse die Sorgen und aktuelle Problem aus Sicht der Verkehrsjuristinnen und -juristen zu schildern.
Dass es vielen von ihnen in der Coronazeit schlecht ging und manchen immer noch nicht gut geht, schreibt Eilers indes nicht nur dem veränderten Verkehrsverhalten der Menschen im Corona-Lockdown zu: Regelrecht empört ist der Jurist, der beim Deutschen Verkehrsgerichtstag als Schatzmeister fungiert, über das Verhalten der Justiz während des ersten Lockdowns. Nahezu alle Gerichtstermine seien aufgehoben oder verlegt worden. Wichtige Verfahren, in denen es z.B. um die Regulierung schwerer Personenschäden ging, seien nicht bearbeitet worden, Anwälte hätten nicht abrechnen können. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer hatte im Rahmen einer ihrer Corona-Umfragen seinerzeit festgestellt, dass gerichtliche Verfahren aus dem Straßenverkehrsrecht besonders stark von Verzögerungen betroffen gewesen sind.
"Wenn alles still steht, dann lässt sich auch kein Geldverdienen, so Eilers. Auf manche Richterinnen und Richter, die hier "übervorsichtig" mit Terminabsagen reagiert hätten, ist Eilers immer noch nicht gut zu sprechen. "Sowas passiert nur dort, wo die Leute auch dann Geld bekommen, wenn sie nicht arbeiten", schimpft er.
"Rückstau der Verfahren dauert an"
Die Berliner Verkehrsanwältin Gesine Reisert kann den Unmut ihres Kollegen gut verstehen: "Es kratzt am gesamten Vertrauen in den Staat, wenn Gerichte nicht arbeiten", sagt sie. Laut Reisert normalisiert sich die Lage auch nur langsam: "Der Rückstau der Verfahren ist nach wie vor ein Thema für alle Verfahrensbeteiligten." Vor allem besonders umfangreiche Verfahren seien bei den Gerichten noch in der "Pipeline", erklärt sie gegenüber LTO.
Unterdessen hat die Coronakrise den Anwälten nicht nur Stillstand in ihren Verfahren, sondern auch so manch neue juristische Fragestellung bei der Regulierung von Unfällen beschert. Eine davon ist die aus Infektionsgründen erforderliche Desinfizierung von Fahrzeugen, die z.B. in einer BMW-Werkstatt laut Anwalt Eilers durchaus mal 120 Euro kosten kann. Seit Corona müssen Unfallfahrzeuge nach Annahme in der Werkstatt und vor Rückgabe an die Kunden desinfiziert werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen Masken und ggf. Handschuhe tragen. Doch wer und in welcher Höhe kommt für die hierfür anfallenden Kosten auf? Gelten sie als erforderliche Kosten der Schadenbeseitigung oder dienen sie dem Schutz der Mitarbeiter:innen, die dem Schädiger nicht aufgebürdet werden dürfen?
Inzwischen, so berichtet Verkehrsanwalt Eilers, habe sich hierzu eine umfangreiche, aber eben auch äußerst divergierende Rechtsprechung herausgebildet. Das Amtsgericht (AG) Münster entschied z.B., dass derartige Coronakosten dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen seien. Als "ähnlich fernliegende Kosten wie bei einer Grippe" und ohne Bezug zum konkreten Unfallgeschehen seien sie auf den Verursacher eines Verkehrsunfalles jedenfalls nicht abwälzbar (Urt. v. 11.09.2020, 28 C 1823/20).
Anders dagegen urteilten die Amtsgerichte in Leverkusen (Urt. v. 30.09.2020, 26 C 266/20 und Kulmbach (Urt. v. 14.10.2020, 70 C 325/20): Die Kosten seien Bestandteil des sog. "Werkstattrisikos", stünden im kausalen Zusammenhang mit dem Unfall und seien daher nicht vom Geschädigten zu tragen. Sollte die Pandemie derartige Kosten in den Kfz-Werkstätten weiter produzieren, dürfte wohl erst ein höchstrichterliches Urteil eines Tages für Klarheit sorgen.
Bevorstehende Entscheidung des BVerfG zu Rohmessdaten
Apropos höchstrichterliches Urteil: Nahezu sehnsüchtig warten die Verkehrsrechtler:innen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die möglicherweise noch in diesem Jahr fallen könnte. Darin geht es um die zuverlässige und rechtssichere Überprüfung festgestellter Tempoverstöße, die auf Daten eines "Blitzers" beruhen.
Das Problem: Viele Geschwindigkeitsmessgeräte gelten als fehleranfällig, weshalb Strafverteidiger:innen schon seit längerem fordern, dass ihnen im Zweifel eine umfassende Einsicht in die Grundlagen der Messung, den sog. Rohmessdaten der Geräte gewährt werden müsse. Das wiederum setzt voraus, dass diese Daten auch zwingend gespeichert werden müssten. Bis heute ist das nicht immer der Fall.
Demnächst soll es also nun eine weitere Entscheidung aus Karlsruhe geben. Anhängig ist eine Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1167/20), die darauf abzielt, dass Geschwindigkeitsmessgeräte die Rohmessdaten immer aufzeichnen und speichern müssen. Für unbedingt geboten hält das Verkehrsanwältin Reisert. Und sie ist optimistisch: "Ich bin überzeugt, dass das BVerfG seine Linie fortführen wird: Hierzu gehört, dass der Verteidigung umfassende Einsicht gewährt werden muss, wenn sich daraus Entlastendes ergeben könnte. Der Rechtsstaat ist deshalb so stark, weil er eine umfassende Verteidigung braucht. Das bedeutet, dass er der Verteidigung auch alles zeigen kann."
Höhere Bußgelder in StVO-Novelle
Auf der Kölner DAV-Veranstaltung sieht das auch Dr. Johannes Priester so. Er befasst sich als Kfz-Sachverständiger seit Jahren mit Fehlmessungen bei Geschwindigkeitsmessgeräten. Priester hält die Speicherung von Rohmessdaten für absolut erforderlich: "Die Ermittlung und Angabe von Messwerten ohne die Bereitstellung der Grundlagen d. h. der Rohmessdaten wäre vergleichbar mit einem Sachverständigen, welcher dem Gericht zwar das Ergebnis seiner Berechnungen präsentiert, jedoch die Grundlagen nicht bekannt geben will. Dann wäre auch das Ergebnis seiner Berechnungen und Begutachtung nicht nachvollziehbar begründet."
Dass sich die Verkehrsanwältinnen und -anwälte künftig mehr mit Vorwürfen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auseinandersetzen müssen, ist anzunehmen. Schließlich befindet sich der neue StVO-Bußgeldkatalog auf der gesetzgeberischen Zielgeraden. Am 17. September 2021 wird sich der Bundesrat mit der Novelle befassen, die neuen Regeln könnten dann bereits im Oktober in Kraft treten.
Wer innerorts zwischen 16 und 20 km/h zu schnell fährt und geblitzt wird, muss dann 70 statt 35 Euro zahlen. Bei 41 km/h zu viel sind es dann 400 statt 200 Euro. Diese Verdoppelung der Bußgelder ist im neuen Bußgeldkatalog bei allen Verstößen gegen die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit vorgesehen – jedenfalls solange diese von einem intakten Messgerät festgestellt wurden.
Verkehrsanwälte in der Coronakrise: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45878 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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