Die Antworten von fast 14.500 Anwälten zeigen, dass viele von ihnen staatliche Hilfen in Anspruch nehmen müssen. Doch das ist erst der Anfang. Fest steht, dass die Krise alle trifft - aber nicht alle gleich.
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat eine Umfrage unter den deutschen Anwälten gemacht. Die Antworten von fast neun Prozent der deutschen Anwaltschaft, die LTO vorab vorlagen und ab sofort auch auf der Webseite der BRAK verfügbar sind, vermitteln ein laut der Dachorganisation aussagekräftiges Bild davon, wie es der Anwaltschaft in der Coronakrise geht.
Jenes Bild ist eher düster. Vier Wochen nach dem Lockdown gaben nur rund 19,2 Prozent* der teilnehmenden Anwälte an, seit Beginn der Coronakrise noch gleich viele neue Mandate generiert zu haben wie zuvor. Nur rund 23 Prozent der Teilnehmer sahen bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen wirtschaftlichen Schaden.
Und das dürfte erst der Anfang sein: Insgesamt gehen rund 45 Prozent der Anwälte davon aus, staatliche Hilfen in Anspruch nehmen zu müssen. Viele warten noch auf den wirtschaftlichen Einbruch, doch die Zahlen zeigen schon jetzt, dass die Krise alle trifft - aber keineswegs gleich hart.
Die Teilnehmer: Vom Einzelkämpfer bis zum Großkanzleianwalt
Mit ihrer Umfrage wollte die BRAK unter anderem in Erfahrung bringen, in welchen Bereichen die Anwaltschaft in der Krise berufspolitisch und wirtschaftlich am meisten Unterstützung benötigt. Unter dieser Prämisse wandte sie sich über die lokalen Anwaltskammern an die rund 167.000 Advokaten. Teilnehmen konnten die Anwälte bis zum 20. April, also rund vier Wochen nach dem Lockdown in Deutschland.
14.489 Anwälte haben sich beteiligt, 12.477 von ihnen die elf Fragen vollständig beantwortet.
Nach Angaben einer Sprecherin der BRAK gibt die Verteilung nach Rechtsgebieten und Kanzleiorganisationen die tatsächliche Situation in Deutschland gut wieder. "Die Umfrageergebnisse zeichnen aufgrund der Durchmischung der Teilnehmer vom Einzelanwalt bis zum Partner in der Großkanzlei ein repräsentatives Bild der aktuellen Situation der Anwaltschaft", heißt es seitens der BRAK. 39,7 Prozent aller Teilnehmer sind als Einzelanwalt tätig, 17,3 Prozent Partner in einer Kanzlei mit bis zu fünf Anwälten, 3,8 Prozent Partner in einer Kanzlei mit bis zu zehn Anwälten. Über 30 Prozent der Antwortenden sind vorwiegend auf dem Gebiet des Arbeitsrechts tätig, 27 Prozent im Familienrecht, 21 Prozent im Miet- und WEG-Recht und 15 Prozent im Strafrecht.
Massive Mandatseinbrüche
Auf die Frage, ob sie seit Beginn der Coronakrise (definiert mit dem 13. März) im Vergleich zu den sechs Monaten zuvor weniger neue Mandate geniert haben, antworteten nur 2.527 Anwälte (19,2 Prozent), dass das Aufkommen der Mandate in etwa gleich geblieben sei. 9,4 Prozent von ihnen gaben an, bis zu 30 Prozent weniger neue Mandate erhalten zu haben, 17,4 Prozent gehen von einem Rückgang von bis zu 50 Prozent aus. Sogar bis zu 75 Prozent weniger neue Mandate vermelden weitere fast 17 Prozent. Fast acht Prozent der Anwälte gab an, seit dem 13. März kein einziges neues Mandat generiert zu haben.
Da mutet es fast erstaunlich wenig an, dass vier Wochen nach dem Lockdown nur knapp 17 Prozent der Befragten Soforthilfen beantragt hatten. Immerhin 23,1 Prozent der Befragten gaben zudem an, bisher seien ihnen keine wirtschaftlichen Einbußen entstanden. 45,6 Prozent der Teilnehmer haben keine Soforthilfe aus den Maßnahmenpaketen der Länder beantragt, weil sie nach eigenen Angaben keine Unterstützung benötigen.
Soforthilfen: 45 Prozent der Anwälte sehen staatlichen Unterstützungsbedarf
Diese Zahl relativiert sich aber: Insgesamt gehen nämlich rund 45 Prozent der Anwälte davon aus, dass sie künftig staatliche Hilfen in Anspruch nehmen müssen. Weitere 28,1 Prozent haben zwar bisher noch keinen Antrag auf Soforthilfen gestellt, gehen aber davon aus, in den kommenden zwei Monaten noch auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.
Diese Verzögerung beim Bedarf dürfte die Annahme der Anwaltsverbände bestätigen, dass Liquiditätsengpässe bei den Advokaten weniger in der aktuellen Krise seit dem Lockdown Mitte März entstehen, sondern erst mit einer zeitlichen Verzögerung.
Die Befürchtung der Anwaltschaft: Die Mandanten blieben jetzt weg, es kämen aber noch Gelder aus Vorschüssen oder abgewickelten Mandaten rein. Der Rückgang von Neumandaten aber werde sich erst in einigen Monaten zeigen – womöglich erst nach dem 31. Mai, nach Ablauf der Frist zur Antragstellung für die Soforthilfen.
BRAK-Präsident: "Anwälte mittelfristig deutlich betroffen"
Ihr Präsident sieht durch die Umfrageergebnisse die Annahmen der BRAK bestätigt. "Die Anwaltschaft ist von der Krise mittelfristig deutlich betroffen; bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Kolleginnen und Kollegen besteht ein Bedürfnis nach Unterstützungsmaßnahmen", sagte Dr. Ulrich Wessels gegenüber LTO. "Als elementare Säule unseres Rechtssystems müssen Anwältinnen und Anwälte in die Lage versetzt werden, die Krise zu überwinden und die wirtschaftlichen Einbußen langfristig auszugleichen. Die BRAK hat dies bereits vor Wochen angemahnt und gegenüber Bund und Ländern zahlreiche Forderungen im Interesse der Anwaltschaft und der Rechtssuchenden erhoben."
Wessels sicherte zu, dafür werde die Dachorganisation sich weiterhin einsetzen. "Auch bei den Soforthilfen werden wir nicht locker lassen. Die Antragsvoraussetzungen müssen so ausgestaltet werden, dass die konkrete Darlegung und Glaubhaftmachung ausreicht, um darzutun, dass die Aufträge - unter Angabe des Streitwerts oder der erwarteten Gebührenhöhe - seit der Pandemie im Vergleich zu den Vormonaten um ein bestimmtes Maß zurückgegangen sind". Der Rechtsanwalt und Notar aus Hamm plädiert dafür, statt auf die konkret im Betrachtungszeitraum eingegangenen Gebühren auf das Auftragsvolumen abzustellen.
Auch dafür, dass die Anwälte bundesweit für systemrelevant erklärt werden, will Wessels sich weiterhin engagieren. Auch wenn mit 62,2 Prozent ein hoher Anteil der Anwälte angibt, keine betreuungsbedürftigen Kinder zu haben, melden doch über 33 Prozent Betreuungsbedarf an. Bei 15,7 Prozent von ihnen kann die Betreuung durch den Partner nur teilweise sichergestellt werden, bei 6,1 Prozent kann der Partner gar nicht betreuen, 1,9 Prozent sind alleinerziehend. Die BRAK will nach eigenen Angaben "kritisch beobachten, ob die Forderung nach NRW, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Berlin auch in weiteren Bundesländern Gehör findet oder ob diesbezüglich weitere Aktivitäten entfaltet werden müssen". In Sachsen-Anhalt und Brandenburg waren die Anwälte bereits zuvor systemrelevant.
Wenig Kurzarbeit und wann es wieder bergauf geht
Mit der Verzögerung des Liquiditätsengpasses könnte es auch zu erklären sein, dass bisher nur wenige Anwälte mit Kurzarbeit zu tun haben. Nur 8,7 Prozent der Befragten haben als Arbeitgeber Kurzarbeit in ihren Kanzleien eingeführt, zwei Prozent sind in Kanzleien angestellt, in denen Sekretariatspersonal und/oder Anwälte jetzt in Kurzarbeit sind.
Auch einen Antrag, für die Monate März bis Mai 2020 unter bestimmten Voraussetzungen Sozialversicherungsbeiträge stunden zu lassen, haben nur 2,6 Prozent der Teilnehmer gestellt. 85,9 Prozent der Befragten gaben an, keine Stundung beantragt haben.
Allerdings haben zu beiden Fragen relativ viele Teilnehmende keine Angaben gemacht und für viele von ihnen dürfte beides weniger ein Thema sein. Rund 55 Prozent der Antworten kommen von selbständigen Einzelanwälten, weitere 14,2 Prozent von angestellten Anwälten.
Die Befragten, die schon jetzt wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen haben, zeigen sich aber insgesamt zuversichtlich was deren Bewältigung angeht: Wenn der Kanzleibetrieb sofort wieder normal anlaufen würde, wären die Einbußen nach sechs Monaten überwunden, nehmen 37 Prozent an. 23,9 Prozent gehen davon aus, dass das Tal nach einem Jahr durchquert wäre und nur vier Prozent glauben, dass es zwei Jahre dauern könnte.
Die Krise trifft alle, aber nicht alle gleich hart
Die Coronakrise trifft alle, aber sie trifft nicht alle gleich hart. Dabei zeigen sich in der Umfrage gleich mehrere Tendenzen.
Wie stark ein Anwalt von der Pandemie betroffen ist, hängt auch davon ab, in welchem Rechtsgebiet er tätig ist. Mehrfachnennungen waren in dieser Frage möglich und können das Ergebnis verfälschen. Dennoch geht es grob geclustert offenbar denen, die im weitesten Sinne mit Wirtschaft zu tun haben, weniger schlecht als denjenigen, die sich mit Themen näher am Leben befassen, an denen mehr Naturalparteien beteiligt sind.
Dieser Effekt könnte dadurch noch verstärkt werden, dass zumindest 13,8 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Anwälte den Eindruck haben, seit Beginn der Coronakrise würden ihre Anträge auf Prozess- und Verfahrenskostenhilfe deutlich langsamer bearbeitet. Weitere, 5,8 Prozent sehen immerhin eine geringfügig längere Bearbeitungsdauer. 4,7 Prozent gaben sogar an, seitdem sei kein einziger ihrer Anträge von den Gerichten bearbeitet worden. Der Eindruck ist umsto stärker, je mehr offene Anträge die Anwälte laufen haben.
Und die Rechtsgebiete, die von der Krise stärker betroffen sind, sind weit überwiegend auch diejenigen, in denen viel auf der Basis staatlicher Kostenhilfe gearbeitet wird.
Am schlimmsten trifft es die Strafrechtler
Unter den Strafrechtlern geben nur 9,2 Prozent an, dass sie genauso viele Mandate generieren konnten wie vor der Krise. 25,2 Prozent von ihnen mussten Mandatsrückgänge von bis zu 50, weitere 26,6 Prozent sogar bis zu 75 Prozent hinnehmen. Entsprechend haben schon 27,47 Prozent von ihnen Soforthilfen beantragt, weitere 37,1 Prozent gehen davon aus, dass das noch nötig werden wird. Bisher keine Einbußen gehabt zu haben, antworten nur 13,78 Prozent von ihnen.
Ähnlich desaströs sieht es im Familien- sowie im Verkehrsrecht aus. Auch die Erbrechtler verzeichnen massive Einbrüche bei den eingehenden Mandaten. Im unteren Mittelfeld der größeren Rechtsgebiete liegen das Sozial- und das Mietrecht, wo immerhin rund 20 Prozent der Befragten angaben, noch keine wirtschaftlichen Einbußen zu haben. Mit fast 35 Prozent liegt aber auch dort der Satz derjenigen, die davon ausgehen, noch Soforthilfen in Anspruch nehmen zu müssen, sehr hoch.
Im Mittelfeld liegen Rechtsgebiete wie das Versicherungs-, Verwaltungs- und Medizinrecht, Immobilienrecht sowie das Arbeitsrecht.. Die Mandatsrückgänge fallen schwächer, aber immer noch deutlich merkbar aus. Rund 25 Prozent geben aber an, noch keine wirtschaftlichen Einbußen erlitten zu haben. In diesen Rechtsgebieten geben außerdem 40 Prozent der Anwälte an, keine Soforthilfen zu brauchen.
Vergleichsweise wenig tangiert werden dagegen offenbar bisher das Baurecht, das Datenschutzrecht, der Gewerbliche Rechtsschutz und das Gesellschaftsrecht, das Insolvenzrecht und das Steuerrecht. Über 50 Prozent der dort tätigen Anwälte brauchen nach eigenen Angaben keine staatliche Unterstützung, im Durchschnitt 25 Prozent geben an, gar nicht weniger Mandate hereinzukriegen, rund 27 bis 30 Prozent sehen noch keine wirtschaftlichen Einbußen.
Wer allein kämpft, braucht am meisten Unterstützung
Auch bei den unterschiedlichen Kanzleistrukturen zeigen sich Unterschiede. Insgesamt scheinen die Mandatsrückgänge kleiner, die Sicherheit, ohne staatliche Hilfen auszukommen, größer, je größer die Einheit ist.
So verzeichnen zwar sowohl die Einzelanwälte als auch die Partner in Kanzleien bis zu fünf Anwälten starke Rückgänge bei den neuen Mandaten. Das andere Ende der Skala: In Sozietäten mit über 20 Anwälten hingegen gaben immerhin 38,7 Prozent der Teilnehmer an, genauso viele Mandate zu generieren wie vor der Krise, der Rest teilte eher kleinere Rückgänge mit.
Manche Einzelkämpfer trifft es offenbar ganz schlimm: 13,1 Prozent von ihnen geben an, seit Beginn der Krise kein einziges neues Mandat erhalten zu haben. In den größeren Kanzleien antworteten das nur ein bis 3,5 Prozent der Befragten.
So haben auch 22,6 Prozent der Einzelanwälte bereits Soforthilfen beantragt, weitere 30,7 Prozent gehen davon aus, dass das noch nötig werden wird. In den Kanzleien mit bis zu fünf Berufsträgern haben 16,2, in denen bis zehn nur noch 2,9 Prozent der Anwälte Soforthilfen beantragt. Bei den Sozietäten bis fünf Anwälten glauben immerhin noch 35,1 Prozent, dass sie künftig noch staatliche Unterstützung brauchen werden, in denen bis zu zehn Anwälten nur noch 10,1 Prozent.
In den größeren Kanzleien mit zwischen zehn und 20 Anwälten sind sich dagegen jeweils über 60 Prozent, in den Sozietäten über 20 Advokaten sogar 76,6 Prozent der Umfrageteilnehmer sicher, keine staatliche Unterstützung zu benötigen.
Gewinner scheint es nach vier Wochen der Krise nicht zu geben. Nur kleinere und größere Verlierer.
*Anm. d. Red.: Alle Prozentangaben auf eine Stelle nach dem Komma gerundet.
LTO exklusiv - die Corona-Umfrage der BRAK: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41407 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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