Anwälte werden zu Schauspielern, die Bühne zum Gerichtssaal. Mitglieder der ARGE Baurecht des DAV lernen in der Berliner Schauspielschule Ernst Busch auf teils komische Art die Wirkung des eigenen Körpers kennen. Ein Drama in drei Akten.
"Ich hab' nicht ewig Zeit, Frau Kollegin, kommen Sie zur Sache! Aber Moment noch: Ich checke mal eben meine WhatsApp-Nachrichten."
Sätze, die Richter:innen zu Prozessbevollmächtigten nie sagen würden. Aber: "Wir sind ja nicht bei Gericht, sondern in der Schauspielschule", erklärt Schauspielprofessor Michael Keller einer Gruppe von Baurechtsanwält:innen seine Idee für den gemeinsamen Workshop "Schauspielwerkzeuge für Baurechtsprofis".
Baurecht meets Theater. Man würde meinen, das kommt nur vor, wenn ein Theater gebaut werden soll – oder eher: wenn beim Bau was schiefgelaufen ist. Anwält:innen eilt der Ruf voraus, dass man sie nur dann trifft, wenn schon alles in Schutt und Asche liegt. Doch in dem Theater-Workshop an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch ist das anders: Keller und sein Kollege, Theaterschauspieler Tobias Schulze, wollen den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft für Bau- und Immobilienrecht (ARGE Baurecht) im Deutschen Anwaltsverein (DAV) neue Perspektiven eröffnen.
Die eigene Wirkung schärfen
"Es geht darum, Sprache und Körper bewusster zu nutzen, um die eigene Wirkung zu schärfen", sagt Schulze. Genau das erhofft sich auch die ARGE Baurecht von dem Seminar, das sie als Bonbon nur für Mitglieder anbietet. Gerade in der konfliktreichen Baurechtspraxis helfe ein Bewusstsein für die eigene Wirkung, um andere Menschen zu erreichen, heißt es in der Einladung. "Dabei spielt die nonverbale Kommunikation eine mindestens ebenso große Rolle wie das gesprochene Wort."
Keller, der 40 Jahre lang an der "Ernst Busch" gelehrt und Stars wie Nina Hoss und Lars Eidinger ausgebildet hat, zeigt anhand einer Anekdote aus einem anderen Seminar seiner 27-jährigen Coaching-Erfahrung, welchen Unterschied allein die Körperhaltung machen kann: "Es gab einen Teilnehmer, der in einem Gespräch überhaupt nicht zu Wort kam. Er wurde regelrecht zugemüllt von einer anderen Teilnehmerin. Weil er schlaff auf dem Stuhl hing, wie ein Mülleimer. Ein anderes Mal saß er aufrecht dar, signalisierte klar: 'Ich bin kein Mülleimer!' Nach einer halben Minute kam er zu Wort."
Nur: Wie gelingt es, die eigene Wirkung zu schärfen? Und: Gibt es dafür nicht Rhetorik-Workshops?
"Ihr müsst eine Verbindung eingehen"
Keller und Schulze, die schon seit neun Jahren zusammen coachen, wollen in Rollenspielen typische Situationen üben, die Anwält:innen allgemein sowie speziell im Bau- und Immobilienrecht häufig erleben. Situationen, die unangenehm sind, die überrumpeln, wo die Fetzen fliegen. Einzelne Teilnehmende sollen selbst zu Schauspieler:innen werden, verschiedene Rollen einnehmen und sich dann gegenseitig Feedback geben, begleitet von den Coaches, die nur punktuell eingreifen.
Doch bevor es so richtig krachen kann, im ersten Akt ein kleines Warm-up. Los geht es mit einer Kiste, gefüllt mit unterschiedlichen Gegenständen. Die Teilnehmenden sollen sich etwas rauspicken, mit dem sie sich identifizieren können, und werden dann nach den Gründen für ihre Auswahl gefragt. Dann gibt es eine ungewöhnliche Vorstellungsrunde: "Wenn dein beruflicher Alltag ein Film wäre, welches Genre hätte er?" Es geht offenbar darum, Assoziationen zu erzeugen – zwischen Gefühlen und Verkörpertem, zwischen Beruf und darstellendem Spiel.
Zur Mittagspause resümiert Rechtsanwältin Kathrin Heerdt, die das Konzept als Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses für die ARGE Baurecht mitgestaltet hat und die das Seminar vor Ort begleitet: "Die Teilnehmer haben jetzt ihre Körper kennen gelernt."
Den Körper bewusst einsetzen – darum geht es hier. Denn der Körper ist das Medium, mit dem man als Person unweigerlich verbunden ist und in Beziehung zu seiner Außenwelt tritt, so das Credo der Schauspieler.
Zweiter Akt: In Paaren sollen sich die Teilnehmenden gegenseitig vorstellen. Klingt einfach, birgt aber Herausforderungen für beide: Die Vorstellenden sollen nicht zu viel Raum einnehmen, sondern die andere Person in den Mittelpunkt stellen. Für die Vorzustellenden geht es darum, mit bloßer körperlicher Anwesenheit präsent zu sein und dem Gegenüber zu vertrauen. Dabei kommt es auf Kleinigkeiten an.
"Liebes Publikum, ich habe jemanden ganz Besonderes mitgebracht: Ulrike, sportlich in den Bergen unterwegs." Die Rechtsanwältin schweigt selbstbewusst, hält Blickkontakt. Die Rückmeldung an sie: "Du strahlst eine gelassene Konzentration aus. Das ist eine Stärke." Auch das Feedback an Martin ist positiv: "Als du sie vorgestellt hast, bist du einen Schritt zurückgegangen, hast ihr Raum gegeben. Das war schön!"
Schon der Gang – hinterm Vorhang hervor auf die Bühne – wird mehrmals geprobt. "Bevor ihr euch zum Publikum dreht, müsst ihr zunächst eine Verbindung miteinander eingehen", appelliert Schulze.
"Haut drauf!" – Konfliktsituationen im Theater
Im dritten Akt des Tages dürfen die Teilnehmenden selbst entscheiden, was sie üben wollen: eine Situation, "eine Mediation, ein Mandantengespräch, ein Meeting" – irgendwas, "wo Baurechtsanwälte in die Bredouille kommen", "was sie zur Weißglut treibt". Heerdt bringt die Komponente eines Machtgefälles ein: Situationen, in denen Kolleg:innen – vor allem Frauen und (männlichen) Berufsanfängern – die Kenntnisse vom Baurecht oder von der Technik abgesprochen werden, anstatt auf deren Argumente einzugehen.
Nun wird ein Gerichtssaal gebaut: eine Schadensersatzklage im Bauprozess. Der Auftraggeber ist mit den Arbeiten unzufrieden, kündigt den Vertrag und verlangt jetzt vom Generalunternehmer Ersatz der ihm entstandenen Mehrkosten. Der Erfolg der Klage – beinahe aussichtslos. In den Rollen: ein Richter, ein Anwalt plus Mandant, eine Anwältin plus Mandantin. Zuständig für die Rollenbesetzung ist Marie-Christin, die sich die Szene ausgedacht hat. Um niemandem vor den Kopf zu stoßen, antwortet sie: "Vielleicht mag ja jemand anderes?" – "Nein, du machst das jetzt", lautet die klare Antwort der Coaches. Jede:r wird mal ins kalte Wasser geworfen.
Dann geht's los. Es soll krachen, fordert Schulze. "Haut drauf!"
Das tun die Beteiligten zwar – aber so, wie es Jurist:innen im wahren Leben tun: sachlich, mit Argumenten, für Nichtjurist:innen zum Gähnen. Und die juristische Debatte hat Grenzen: Irgendwann sind alle Argumente ausgetauscht, in der Praxis schließt das Gericht dann die mündliche Verhandlung und fällt sein Urteil.
Es eskaliert – und wird lustig
Doch in der Schauspielschule soll das Theater weiter gehen – und so dreht sich die Debatte irgendwann immer mehr im Kreis. Schauspielcoach Schulze unterbricht: "Wir wollen jetzt nicht auf die inhaltliche Korrektheit achten. … Alles, was wir hier tun, dient der Dramatisierung. … Um die Spannung zu erhöhen, müssen wir den Konflikt schärfen." Vom "Richter" gefragt, wie das im Zwiegespräch zwischen Richter und Klagevertreterin aussehen soll, wird Schulze drastisch: "Behandle sie wie den letzten Dreck!"
Auf geht's also in Runde 2, der Ton ist nun ein anderer, insbesondere vonseiten des Gerichts: "So einen hingerotzten Mist wie Ihren Schriftsatz habe ich noch nie gesehen, das ist eine Zumutung!" Auch der zuvor ins Spiel gebrachte Sexismus wird nun auf der Bühne sichtbar: "Ich habe sogar Nagellack in den Schriftsätzen gefunden." Aber der Konter sitzt: "Das kann ja aus Ihrer Geschäftsstelle kommen." Lautes Gelächter.
Am Ende des Tages lobt Schulze die Protagonist:innen der Szene: "Schauspielerisch auf ganz hohem Niveau".
"Keine Tricks" – es geht um die "wahrhaftige Beziehung"
Dann wird überlegt, wie es weitergeht, welche Gesprächssituationen man noch mit schauspielerischen Mitteln üben kann. Es geht um Spannungen oder Störungen in der menschlichen Kommunikation. Mangelnder Respekt ("Für Sie zahle ich auch 500 Mark, für den Lappen zahl' ich nix!"), Ungeduld, Sexismus – und darum, wie man sich aus der Bedrängnis wieder lösen kann. In der anwaltlichen Praxis sei eine häufige Herausforderung, "das Raumfüllende der Gegenseite zu brechen. Wenn das Gericht auf der Seite des Raumfüllenden ist, dann passiert das, was wir hier gesehen haben: dass die eine Seite auf die andere raufkloppt", sagt Florian.
Coach Keller erwidert mit Blick auf den weiteren Verlauf des Workshops: "Stark zu bleiben, wenn man weggefegt wird – das können wir üben." Als eine Teilnehmerin eine entsprechende Strategie erwähnt – die Körpersprache und Sprechweise der Gegenseite zu kopieren, um diese zu irritieren –, präzisiert Schulze den Sinn des Schauspielseminars: "Das ist ein Trick. Und was wir euch hier zeigen wollen, sind keine Tricks. Vielmehr geht es darum, die wahrhaftige Beziehung zu schärfen." Wer die Körperhaltung kopiere, sei nicht mehr bei sich und verliere den Fokus auf die eigenen Argumente.
Nach Ansicht der Teilnehmenden ist der Workshop ein voller Erfolg. "Sich der Wirkung des eigenen Auftretens auf seine Mitmenschen bewusster zu werden, ist eine großartige Erfahrung", sagt Volker. Auch Jessica ist zufrieden: "Back to the roots – weg vom verkopften Anwaltsdasein, weil weniger oft mehr ist. Das nehme ich als als Quintessenz mit."
Das positive Feedback der Teilnehmenden bestärkt Organisatorin Heerdt, den Workshop auch in Zukunft anzubieten.
Baurechtsanwälte spielen Theater: . In: Legal Tribune Online, 24.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52071 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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