Im Juni wird der Deutsche Anwaltstag Corona-bedingt erneut rein virtuell stattfinden. Unter dem Motto "Die Anwaltschaft in besonderer Verantwortung – 150 Jahre DAV" befasst sich der Verband dann auch mit seiner Rolle während der NS-Zeit.
Mit Streams und Webinaren hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) inzwischen seine Erfahrung: Bereits im vergangenen Jahr fiel der üblicherweise auf Präsenz ausgelegte Deutsche Anwaltstag (DAT) der Corona-Pandemie zum Opfer und so ist es auch in diesem Jahr: Vom 7. bis zum 11. Juni wird der DAT 2021 unter dem Motto "Die Anwaltschaft in besonderer Verantwortung – 150 Jahre DAV" erneut rein virtuell stattfinden. Vom Arbeitsrecht bis zum Verwaltungsrecht bekommen die Anwältinnen und Anwälte dann in mehr als 50 Online-Seminaren die Gelegenheit, ihren Fortbildungsverpflichtungen nach der Fachanwaltsverordnung (FAO) nachzukommen. Das endgültige Programm des DAT wird kommenden Montag veröffentlicht.
Dass der Jubiläums-DAT nun doch komplett virtuell und nicht wie ursprünglich geplant zumindest mit ein bisschen Präsenz stattfindet, hat sich wohl erst mit der dritten Corona-Welle ergeben. "Ein Teil der Veranstaltungen war aufgrund der positiven Erfahrungen des Vorjahres ohnehin bereits online geplant, nun wurden aber auch alle Veranstaltungen des bisher in Berlin geplanten Präsenzteils kurzfristig auf online umgestellt", erläuterte eine Sprecherin des DAV.
Bundespräsident Steinmeier eröffnet
Auch wenn man natürlich lieber einen hybriden DAT ausgerichtet hätte: Als "eine große Ehre" empfindet es der DAV, dass die Jubiläums-Veranstaltung vom Bundespräsidenten eröffnet wird. Auf der "Eröffnungsveranstaltung", die kurioserweise erst am 10.Juni, also drei Tage nach Beginn des virtuellen DAT stattfindet, wird Walter Steinmeier per Livestream die Rolle der Anwaltschaft im Allgemeinen und die des DAV im Besonderen im 150 Jahr seines Bestehens würdigen.
Dass nicht alle diese 150-DAV-Jahre glorreiche waren, ist dem Verband durchaus bewusst - und so wendet er sich in einer seiner beiden Jubiläumsveranstaltungen intensiv dem Thema "Anwaltschaft im Nationalsozialismus" zu. Unter dem Titel "Opfer, Mitläufer, Täter?" wird die Rolle von DAV-Anwälten im Nationalsozialismus näher unter die Lupe genommen werden. Wie es heißt, sollen im Gespräch mit Historikern "die dunklen Kapitel des DAV" beleuchtet werden. Geklärt werden soll u.a.: "Wie konnten sich anti-liberale Positionen in der deutschen Anwaltschaft vor 1933 entwickeln? Wie lief die Gleichschaltung und die spätere Auflösung des DAV ab? Was wurde aus den jüdischen Anwälten im DAV? Und wie ist der DAV später mit der NS-Zeit umgegangen?" Auch dieser Teil der Veranstaltung findet wie die Eröffnungsrede des Bundespräsidenten am 10. Juni statt.
Überhaupt scheint dem DAV in diesem Jahr die Aufarbeitung seiner Rolle in der NS-Zeit besonders am Herzen zu liegen. Geplant ist – so zumindest nach einem Programm-Vorabentwurf -, sich auch am Abschlusstag mit diesem Thema zu befassen. So wird das Forum Anwaltsgeschichte e. V., geleitet vom Mainzer Rechtsanwalt Dr. Tillmann Krach, in einer Fachveranstaltung speziell die Frage diskutieren, "wie die jüdischen Vorstandskollegen im April 1933 zum Rücktritt genötigt wurden". Offenbar lautete seinerzeit die Maxime im DAV, dass dieser Rücktritt "im Interesse der Erhaltung der Selbständigkeit des Deutschen Anwaltvereins unbedingt notwendig" sei.
DAV-Hauptgeschäftsführerin: "Berührungsängste mit Vergangenheit nach und nach abgelegt"
"Im Jubiläumsjahr wird es nicht nur um die zahlreichen Erfolge des DAV im Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit der Anwaltschaft gehen. Auch die Tiefpunkte in der DAV-Geschichte, etwa 1933 oder die schleppende Aufarbeitung in der Nachkriegszeit, werden sichtbar", erläutert Dr. Sylvia Ruge, DAV-Hauptgeschäftsführerin gegenüber LTO. Dass sich der DAV in diesem Jahr auf dem DAT ganz besonders seiner Historie widmet, ist das Resultat einer langwierigen Entwicklung: "Mit seinem Umzug nach Berlin im Jahr 2000 hat der DAV seine Berührungsängste mit der Vergangenheit nach und nach abgelegt", sagte Ruge.
Seither habe sich der Verband in unterschiedlicher Weise gegen Rechtsextremismus engagiert. So wurde 2001 die DAV-Stiftung "Contra Rechtsextremismus", die seither Opfer rechtsextremistischer oder politisch motivierter Straftaten unterstützt. 2007 errichtete der DAV das Mahnmal "Anwälte erinnern" im Innenhof der Berliner Geschäftsstelle; dieses gedenkt laut DAV-Geschäftsführerin Ruge "der vornehmlich jüdischen Anwältinnen und Anwälte, die in Deutschland durch den Nationalsozialismus den Tod gefunden haben".
Auf dem DAT 2021 soll jedoch diesbezüglich nicht nur zurückgeblickt werden: Mit dem Thema Rechtsextremismus in heutiger Zeit wird sich auch eine Veranstaltung unter dem Titel "NSU 2.0 Komplex – Bedrohte Anwältinnen und Anwälte in Deutschland" auseinandersetzen. Referieren soll u.a. die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz. Sie trat als Nebenklageanwältin im NSU-Prozess auf und erhielt eine Reihe von Morddrohungen, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet waren und Daten aus Computern der Polizei Hessen enthielten. Die Veranstaltung könnte insofern sehr interessant werden, weil geplant war, dass auch Sabine Thurau, die Präsidentin des Hessischen Landeskriminalamts, Wiesbaden, an ihr teilnehmen wird.
Jubiläumsveranstaltung: "Frauen in der Anwaltschaft"
Die zweite Jubiläumsveranstaltung des DAT widmet sich dem Thema "Equal Rights - Frauen in der Anwaltschaft und beim DAV": "99 Jahre nach der Zulassung von Maria Otto als erste deutsche Rechtsanwältin werde in dieser Veranstaltung nach vorne geblickt und diskutiert, so eine DAV-Sprecherin. "Wie kann mehr Gleichberechtigung in der Anwaltschaft gelingen? Welche strukturellen Probleme gibt es und welche Maßnahmen sind geeignet, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Anwaltschaft fair zu gestalten?"
Auf dem Podium erwartet wird dann laut Programm-Entwurf Dr. Regina Rogalski. Sie war 1977 als erste Frau in den Vorstand des Deutschen Anwaltvereins gewählt worden. Ihre Mutter hatte vor 73 Jahren den Deutschen Juristinnenbund djb mitgegründet. Da trifft es sich, dass auch die heutige Präsidentin des djb, Prof. Dr Maria Wersig, ebenfalls auf dem DAT 2021 virtuell erwartet wird: Sie soll zum Thema Ehegattensplitting referieren. Wersig gilt als scharfe Kritikerin des Steuersplittings und hat diese Kritik vor einigen Jahren in einem Buch "Der lange Schatten der Hausfrauenehe" veröffentlicht.
Ansonsten spielt natürlich auch dieses Jahr das Thema Corona wie im Vorjahr in zahlreichen Veranstaltungen eine zentrale Rolle. Über die besondere Verantwortung der Anwaltschaft in der COVID-19-Pandemie wird am 9.Juni die Wirtschaftskorrespondentin der Frankfurter Allgemeine Zeitung Corinna Budras mit Prof. Niko Härting diskutieren. Härting gilt als scharfer Kritiker der Lockdown-Maßnahmen, hält diese für überzogen und teilweise für verfassungswidrig.
Zuvor wird sich die Rechtsanwältin und Verfassungsrechtlerin Dr. Roya Sangi der "Rolle der Anwaltschaft im Rechtsstaat" zuwenden. Und in einer eineinhalbstündigen FAO-Veranstaltung ist geplant, dass sich auch die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung mit dem Thema Corona befasst: "Corona, Fiskus und Vermieter: Das Unternehmen zwischen Stunden und Sterben?” soll am Vormittag des 10.Juni stattfinden und wird von Rechtsanwältin Dr. Anne-Deike Riewe moderiert werden. Zum Selbstverständnis des Strafverteidigers und seiner "Besondere Verantwortung bei Einschränkung durch Infektionsschutzmaßnahmen" soll schließlich der Hamburger Rechtsanwalt Jes Meyer-Lohkamp referieren. Er ist Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV.
Geplantes Thema: Kohleausstieg und die Folgen
Als weiterer Schwerpunkt des Anwaltstages darf natürlich auch in diesem Jahr das Thema Digitalisierung im Anwaltsberuf nicht fehlen. Hierzu ist z.B. am 8. Juni ein Online-Seminar geplant, das von der Arbeitsgemeinschaft IT-Recht durchgeführt wird. In das Spezialthema "Digitalisierung in der Anwaltskanzlei" wird u.a. Marlene Schreiber, Rechtsanwältin von Härting Rechtsanwälte, einführen. Dem Thema Jurist:innenausbildung wird sich dem Programmentwurf zufolge am Montag den 7. Juni der Berliner Rechtsanwalt Prof. Dr. Stephan Breidenbach widmen. Er wird "Eckpunkte einer neuen juristischen Ausbildung" vorstellen. Nach seinem Beitrag wird sich Bundesverwaltungsrichter Prof. Dr. Peter Wysk mit dem Thema "Digitalisierung der Lehre = erfolgreichere Jurist*innen?" befassen.
Schließlich könnte auch das spektakuläre BVerfG-Urteil vom Donnerstag zum Klimaschutz den DAT 2021 befassen: Denn Thema eines schon länger vorgesehen Panels ist der Kohleausstieg und seine Folgen. Moderiert werden soll die Veranstaltung am 10.Juni vom Aachener Umweltrechtler Prof. Dr. Hans-Jürgen Müggenborg.
Virtueller Deutscher Anwaltstag 2021: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44859 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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