Zum Jahresende kurzfristig in den Urlaub? Für Anwälte geht das nicht so einfach. Und auch wenn man nicht gerne drüber nachdenkt: Auch für Krankheitsausfälle sollten Anwälte vorsorgen. Wie, das erläutert Martin W. Huff.
Die Zeit am Jahresende ist für viele Rechtsanwälte nicht nur eine arbeitsreiche Zeit, sondern dann, wenn die Arbeit getan ist, auch Zeit für einen längeren Urlaub oder für anderweitige Abwesenheiten aus der Kanzlei. Das muss geplant sein und dabei ist berufsrechtlich einiges zu beachten.
Ausgangspunkt für die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts ist § 53 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Er formuliert, wenn auch etwas altertümlich, dass der Rechtsanwalt für seine Vertretung sorgen muss, wenn er entweder länger als eine Woche daran gehindert ist, seinen Beruf auszuüben, oder wenn er sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will.
Was genau der Unterschied zwischen den Alternativen ist, wird auch aus den berufsrechtlichen Kommentierungen nicht so ganz deutlich. Klar ist noch, dass eine Vertretung zu bestellen ist, wenn man länger als eine Woche nicht in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Die Ursache dafür kann ein Urlaub sein, aber auch eine krankheitsbedingte Abwesenheit oder die zweiwöchige Teilnahme an einem Fachanwaltslehrgang.
Wann ist der Anwalt "gehindert"…
Was heißt es aber, "daran gehindert sein, seinen Beruf auszuüben" im Zeitalter moderner elektronischer Kommunikation? Die Berufsausübung kann man aus dem Blickwinkel des Mandanten sehen: Für ihn muss der Rechtsanwalt erreichbar sein, Fragen beantworten können - auch das ist eine oftmals unbekannte berufsrechtliche Pflicht, § 11 Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) oder aber auf ein Schreiben etwa des Gegners reagieren können. Doch dazu muss man nicht mehr vor Ort in seiner Kanzlei sein, sondern dies kann in angemessener Frist auch von unterwegs oder aus demHomeoffice geschehen.
Der andere Blickwinkel ist der aus der Stellung des Rechtsanwalts als "Organ der Rechtspflege". So muss er etwa Empfangsbekenntnisse (§ 14 BORA) nach persönlicher Kenntnisnahme unterzeichnen oder aber Gerichtstermine wahrnehmen. Empfangsbekenntnisse (auch elektronische, § 31a BRAO) darf der Anwalt erst bei persönlicher Kenntnisnahme unterzeichnen, dafür hat er gem. § 53 Abs. 1 BRAO eine Frist von einer Woche. Nach einer Woche aber muss ein Vertreter da sein, der das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und die weiteren Maßnahmen – Übersendung an den Mandanten etc. – übernimmt.
…und wann "entfernt" er sich?
Nicht so recht deutlich ist es heute, was es bedeutet, wenn der Rechtsanwalt sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will. Ist damit gemeint, dass er sich physisch nicht an seinem Kanzleisitz (§ 27 BRAO) aufhält? Und was gilt für eine Zweigstelle der Kanzlei?
Nach meiner Auffassung ist entscheidend, ob – und nicht wo – man seinen Beruf nicht ausüben kann oder will, etwa weil eine Reha-Maßnahme ansteht, bei der eine anwaltliche Tätigkeit nicht möglich ist. Wenn dies der Fall ist, dann braucht der Anwalt einen Vertreter.
Dabei spielt es allerdings auch eine Rolle, wem das Mandat erteilt ist. Lautet die Vollmacht auf die Kanzlei/Sozietät etwa als Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder als Partnerschaftsgesellschaft, dann darf jeder Rechtsanwalt in der Kanzlei als Vertreter der Sozietät handeln, ein Vertreter für einen speziellen Rechtsanwalt ist in der Konstellation eigentlich nicht notwendig. Dies gilt nicht bei Mandaten, die nur einem Rechtsanwalt erteilt sind, etwa im Rahmen einer Strafverteidigung.
Wird etwa ein Empfangsbekenntnis nicht rechtzeitig zurückgesandt, kann dies ein Rügeverfahren bei der Rechtsanwaltskammer nach sich ziehen oder, wenn dies mehrfach vorkommt, auch schon einmal eine Anschuldigung beim Anwaltsgericht durch die Generalstaatsanwaltschaft.
Und wer sich grundsätzlich weigert, einen Vertreter zu bestellen, dem kann notfalls die Rechtsanwaltskammer auf seine Kosten einen Vertreter bestellen. Und ein von der Kammer ausgewählter Vertreter muss diese Aufgabe auch übernehmen, er darf sich nur im Ausnahmefall weigern. Das Argument, man habe keinen Kollegen gefunden, ist also schwer aufrecht zu erhalten.
Vertreter darf kein Gegnervertreter sein
Die Bestellung eines Vertreters ist im Grundsatz in § 53 Abs.2 BRAO geregelt. Der Rechtsanwalt kann selbst einen Vertreter bestellen, wenn dieser im gleichen Kammerbezirk ansässig ist. Eine solche Vertreterbestellung kann nicht nur für die konkrete Verhinderung, sondern für das ganze Jahr erfolgen. Den Vertreter muss der Anwalt der zuständigen Rechtsanwaltskammer mitteilen, damit diese auf Nachfragen entsprechend reagieren kann. Am besten bestätigt der Vertreter, dass er bereit ist, die Vertretung zu übernehmen.
Kommt der Vertreter aus einem anderen Kammerbezirk, dann muss ihn die Rechtsanwaltskammer bestellen. Das gilt immer noch, obwohl sich heute der Sinn und Zweck dieser Regelung nicht mehr ganz erschließt, denn die Grenzen von Kammerbezirken haben heute für die Vertretung eigentlich keine Bedeutung mehr. In beiden Fällen muss der abwesende Rechtsanwalt insbesondere auch an den Zugang zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) denken: Der Vertreter muss die erforderlichen Zugriffsrechte erhalten.
Wenn der Vertreter allerdings nicht aus derselben Kanzlei oder Bürogemeinschaft kommt, ist auf die Regelungen zur Interessenkollision zu achten, denn in Vertretungsfällen darf er nicht in die Gefahr der Vertretung widerstreitender Interessen kommen. Dies beginnt schon bei der eventuell notwendigen Sichtung der Mandantenpost und geht weiter bei der Formulierung von Schriftsätzen. Vertreter und Vertretener dürfen also nicht Mandate gegeneinander führen.
Bestellt der Anwalt selbst seinen Vertreter, dann kann er bestimmen, was in der Vertretung zu tun ist. Das Gesetz macht hier keine Vorgaben.
Notfalls: Vertreter von der Kammer
Anders sieht es aus, wenn von der Rechtsanwaltskammer ein Vertreter von Amts wegen bestellt wird. Dies geschieht dann, wenn der Rechtsanwalt für notwendige Vertretungsfälle selber nicht vorgesorgt hat, er schwer krank wird und keinen Vertreter mehr bestellen kann, also zu Beispiel nach einem Verkehrsunfall oder einem Herzinfarkt.
Die erste Frage nach einer Vertretungsmöglichkeit richtet die Rechtsanwaltskammer an die Kanzlei. Gibt es dort keinen Anwalt, der die Vertretung übernehmen kann, haben die Kammern in der Regel Rechtsanwälte an der Hand, die bereit sind, als amtlich bestellter Vertreter tätig zu werden. Ablehnen kann ein Rechtsanwalt eine Vertretung nur aus wichtigem Grund, aber das kommt in der Praxis nur sehr selten vor. Wo der Vertreter seinen Kanzleisitz hat, ist für die Vertretungsfrage irrelevant.
Der amtlich bestellte Vertreter erhält nach den Regelungen für das beA im Übrigen einen eigenen – auf den Bestellungszeitraum beschränkten – Zugriff auf das beA des Vertretenen. Seine Rechte und Pflichten des amtlich bestellten Vertreters gehen sehr weit (§ 53 Abs. 10 BRAO), was im Mandanteninteresse auch gerechtfertigt ist.
Jeder Rechtsanwalt sollte sich frühzeitig überlegen, wann und wofür er einen Vertreter braucht. Hat man viele Einzelmandate, für die eine Vertretung nicht so ohne weiteres möglich ist, dann ist es sinnvoll, jeweils im Voraus für ein Jahr einen Vertreter zu bestellen und diesen auch der Kammer zu benennen bzw. ernennen zu lassen, wenn er nicht aus demselben Bezirk stammt. Es geht schließlich nicht nur um sorgfältig planbare Urlaube. Der Jahreswechsel ist die Zeit, auch darüber einmal nachzudenken.
Der Autor ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Rechtsanwalt in der Kölner Sozietät LLR.
Berufsrecht bei Abwesenheiten von der Kanzlei: . In: Legal Tribune Online, 10.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39167 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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