Ein (fast) unerreichbares Amt
LTO: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) besteht aus 28 Richtern, einer aus jedem Mitgliedstaat. Sie sind aktuell der "deutsche Richter". Wie kommt man an diesen Job? von Danwitz: Das Verfahren besteht aus einem nationalen und einem europäischen Teil. In Deutschland läuft das so wie bei der Ernennung von Bundesrichtern, mit dem einzigen Unterschied, dass jene auf Lebenszeit, EuGH-Richter hingegen nur für sechs Jahre ernannt werden, mit der Möglichkeit der Verlängerung. Dazu schlägt das Bundesjustizministerium einen Kandidaten vor, über den im Richterwahlausschuss abgestimmt wird. Die Ausschussmitglieder haben zugleich auch jeweils ein eigenes Vorschlagsrecht. Wenn sich der Ausschuss auf einen Kandidaten geeinigt hat, wird dieser von der Bundesregierung auf europäischer Ebene benannt. Bevor er dort aber akzeptiert wird, muss er sich einem weiteren Ausschuss stellen, der im Fachjargon als "255er Ausschuss" bezeichnet wird, weil er in jenem Artikel des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union geregelt ist. Dieser prüft erneut die fachliche und persönliche Eignung des Kandidaten und gibt dann ein Votum ab, welches zwar nicht verbindlich ist, bisher aber immer befolgt wurde. LTO: Das heißt, selbst nachdem man im deutschen Teil des Auswahlverfahrens das Rennen gemacht hat, kann man auf europäischer Ebene noch scheitern? von Danwitz: Bisher wurden die deutschen Vorschläge vom 255er-Ausschuss stets gebilligt, es kann aber auch anders kommen. LTO: Die Mitglieder des Richterwahlausschusses werden zur Hälfte vom Bundestag, zur anderen Hälfte vom Bundesrat benannt. Deshalb wird immer wieder Kritik laut, dass bei der Entscheidung des Richterwahlausschusses für oder gegen einen Kandidaten auch dessen Parteibuch eine Rolle spiele. Können Sie das bestätigen? von Danwitz: Da müssten Sie den Richterwahlausschuss fragen. Mir ist jedenfalls nichts Derartiges bekannt.
"Exzellente Französischkenntnisse sind ein Muss"
LTO: So viel zum Prozedere. Was muss man denn an Qualifikationen mitbringen, um in Frage zu kommen? 19 Punkte in beiden Examina? von Danwitz: Im Vertrag ist geregelt, dass Personen auszuwählen sind, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. In Deutschland orientiert man sich daher an den Voraussetzungen, die für die Berufung an die Bundesgerichte bzw. an das Bundesverfassungsgericht gelten. Darüber hinaus sollte man in der Tat einen überzeugenden juristischen Lebenslauf vorweisen können, der insbesondere Kenntnisse und Interesse am Europarecht verdeutlicht. Essentiell sind exzellente Französischkenntnisse, denn in dieser Sprache findet die gesamte Arbeit der Richter statt. Und man muss die Fähigkeiten mitbringen, die auch für das nationale Richteramt erforderlich sind: Sachlichkeit, Objektivität und Entscheidungsfreude. LTO: Realistisch betrachtet tendieren die Chancen, als Richter an den EuGH berufen zu werden, für die allermeisten Juristen stark gegen null. Gibt es für enthusiastische Europarechtler dennoch etwas Hoffnung? von Danwitz: Sie können sich als Mitarbeiter bewerben. Jedes Mitglied des Gerichtshofes hat einen Stab von drei wissenschaftlichen Mitarbeitern und einem sogenannten Junior. Diese helfen bei der Fallbearbeitung und können ihre Einschätzungen einbringen, auch wenn sie unter der Verantwortlichkeit der Richter bzw. der Generalanwälte arbeiten. LTO: Und wie werden die ausgewählt? von Danwitz: Das läuft nach dem französischen Kabinettsprinzip; man ist für seinen eigenen Laden verantwortlich. Jeder Richter entscheidet also selbst, mit wem er zusammenarbeiten will. Das können Menschen sein, die man in seiner vorherigen juristischen Laufbahn kennengelernt hat, oder auch solche, die aus der deutschen Justiz stammen. Man kann diese Stellen auch interinstitutionell ausschreiben, dann melden sich Leute, die vorher etwa im juristischen Dienst der Europäischen Kommission oder des Parlaments gearbeitet haben. In der Sache kommt es jedenfalls auf die gleichen Qualifikationen an, die auch für die Richter selbst gelten. In meinem Stab habe ich unter anderem zwei Mitarbeiterinnen, die zuvor in Deutschland als Richterinnen tätig waren, weil ich deren sehr akkurate und präzise Arbeitsweise schätze.2/2: "Kooperation und Kompromissbereitschaft sind nötig"
LTO: Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit als Richter am EuGH von jener an einem nationalen Gericht? von Danwitz: Das kann ich nur eingeschränkt beantworten, da ich vor meiner Ernennung nie als deutscher Richter tätig war, sondern als Hochschullehrer, und auch als Gastprofessor an der Sorbonne in Paris. Es ist aber wichtig, anderen Vorschlägen zuzuhören und sich mit seinen Kollegen gemeinsam auf eine Lösung zu einigen. Dieser Abstimmungsprozess ist an deutschen Gerichten, sofern man nicht als Einzelrichter tätig ist, zwar auch nötig, aber dort haben immerhin alle Personen den gleichen rechtlichen und kulturellen Hintergrund. Die Kollegen am EuGH hingegen kommen naturgemäß aus ganz Europa und praktizieren und für dieselben Rechtsfragen teilweise völlig andere Herangehensweisen. Das ist unheimlich bereichernd und spannend, wenn man sich für die Eigenheiten des Rechts interessiert – wäre aber sehr frustrierend, wenn man meint, immer selbst alles am besten zu wissen. LTO: Wie bestimmt sich, welcher Richter über welche Fälle entscheidet? von Danwitz: Je nach Tragweite der Sache wird diese von drei, von fünf oder von allen 28 Richtern entschieden. Die Verfahren werden vom Präsidenten jeweils einem Berichterstatter zugewiesen, und zwar ohne Ansehung der rechtlichen Materie, um die es geht. Das hat zur Konsequenz, dass Verfahren sehr flexibel und an der Kapazitätslage ausgerichtet verteilt werden können – allerdings auch, dass man im Europarecht absoluter Universalist sein muss."Keine Woche unter 60 Arbeitsstunden"
LTO: Was bedeutet das alles für Sie in Wochenstunden? von Danwitz: Ich arbeite keine Woche unter 60 Stunden. Der Beratungsprozess ist oft sehr aufwändig und wir haben viele Sitzungstage. Vielleicht wäre es trotzdem möglich, ein paar Stunden weniger zu arbeiten, aber dann treibt einen das eigene Gewissen an. LTO: Vielleicht auch der große Druck? Immerhin wissen Sie ja, dass Ihre Urteile von zahllosen Gerichten und Wissenschaftlern genauestens unter die Luppe genommen werden. von Danwitz: Die wissenschaftliche Rezeption ist natürlich wichtig, aber darüber machen wir uns bei der Urteilsfindung nicht zu viele Gedanken. Viel wichtiger ist uns, eine Entscheidung zu treffen, die von den nationalen Gerichten nicht nur umgesetzt, sondern auch verstanden und akzeptiert wird. Als Druck würde ich das nicht unbedingt bezeichnen, aber als große Verantwortung, die wir sehr bewusst empfinden. Wir bemühen uns, einen vermittelnden Rechtsstandpunkt zu finden, mit dem möglichst viele Mitgliedstaaten regelmäßig gut leben können. Das geht manchmal vielleicht auf Kosten der dogmatischen Geradlinigkeit, die vielleicht eine „radikalere“ Entscheidung verlangen würde. Aus demselben Grund versuchen wir auch, nicht mehr zu entscheiden, als jeweils nötig ist. Gerade Rechtsgelehrte sind davon bisweilen enttäuscht, weil sie sich ein Grundsatzurteil erhofft hätten. Wir folgen da aber tendenziell einer Philosophie der kleinen Schritte, sehen uns erst einmal an, wie unsere Entscheidungen aufgefasst und umgesetzt werden und klären weitere Fragen, sofern nötig, in einem folgenden Verfahren. LTO: Herr von Danwitz, wir danken Ihnen für das Gespräch! Thomas von Danwitz ist seit 2006 Richter und seit 2012 Kammerpräsident am Gerichtshof der Europäischen Union.Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.
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2013 M11 25
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