"Das Thema ist keins"
Ein "Relikt" vergangener Rechtsprechung? Oder die in Deutschland immer noch weit verbreiteten Vorurteile gegenüber psychischen Problemen, Erkrankungen und deren Behandlungen? Woher genau die Angst angehender Jurist:innen kommt, dass eine Psychotherapie die Verbeamtung verhindert, lässt sich nicht genau sagen. Das zeigte eine Diskussionsrunde der Göttinger Rechtszeitschrift zum Thema "Karriererisiko Psychotherapie? " am vergangenen Donnerstagabend.
Der Aufklärungsbedarf ist hoch, das Gerücht hält sich hartnäckig, wie schon bei Recherchen zu einem LTO-Artikel klar wurde, der der Frage nachging, ob Psychotherapie wirklich eine Verbeamtung verhindern und damit eine Karriere beeinträchtigen kann. Obwohl der Artikel zeigte, dass eine behandelte psychische Erkrankung nicht per se eine Verbeamtung verhindert, gab es im Nachgang zu dem Artikel viele Reaktionen, Anmerkungen und Nachrichten von Leser:innen, die deutlich machten: Es kann nicht genug Aufklärung geben.
Mit ihrer Themenwahl hatte die Göttinger Rechtszeitschrift am Donnerstag dann auch einen Nerv getroffen. Die Diskussionsrunde mit drei sehr motivierten und verständnisvoll wirkenden Expert:innen sowie einem engagierten Live- und Online-Publikum ließen die Zeit schnell vergehen.
Ein Verstoß gegen EU-Recht?
Bevor die Diskussion losging, betonten alle Expert:innen einhellig: Die Angst, wegen einer Psychotherapie grundsätzlich nicht mehr verbeamtet zu werden, ist unbegründet. So erklärte Dr. Volker Heimeshoff, Psychiater und Leiter des Gesundheitsdienstes in Wolfsburg: "Wer aufgrund einer situativen Belastung oder aufgrund eines zwischenmenschlichen Konfliktes in psychische Bedrängnis kommt und ambulante Psychotherapie in Anspruch nimmt, muss in keiner Weise befürchten, hier ein Risiko für die eigene Karriere produziert zu haben".
Auch der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Dr. hc. Ulrich Battis von der HU Berlin erwähnte in seinem Eingangsstatement, dass er keine Gerichtsentscheidung gefunden habe, bei denen wegen einer psychischen Behandlung die Verbeamtung nicht zustande kam – mit der Ausnahme eines, dafür jedoch sehr schweren Falles, in dem einem Asperger-Autisten die Fähigkeit fehlte, eigenverantwortlich Aufgaben wahrzunehmen.
Dem schloss sich Dr. Jördis-Janssen-Ischebeck an. Sie ist Richterin am OLG Braunschweig und dortige Leiterin des richterlichen Personalreferates und damit zuständig für die Neueinstellungen. In ganz Niedersachsen habe es noch keinen Fall gegeben, in dem eine Psychotherapie die Verbeamtung verhindert habe. "Diese Thematik hat in meiner gesamten Tätigkeit noch nie eine Rolle gespielt", so Janssen-Ischebeck. "Das Thema ist keins".
Battis stellte sich außerdem schon zu Beginn und im Verlauf der Diskussion mehrmals auf den Standpunkt: Das Kriterium der gesundheitlichen Eignung sei bei der Entscheidung über eine Verbeamtung ohnehin unionsrechtswidrig. Sie sei diskriminierend und nirgendwo gesetzlich festgelegt, nur in Verwaltungsvorschriften, die sich zudem alle unterschieden. Der Gesetzgeber sei hier gefragt, zu handeln.
Stigma oder "Relikt"?
Theoretisch hätte dann erst gar keine Diskussion starten müssen, schließlich war die Frage damit mehr als deutlich beantwortet. Das Publikum sowohl online als auch live war aber sehr interessiert – und auch noch nicht überzeugt. Das zeigte nun noch einmal mehr, wie groß die Angst ist. Die Diskussion drehte sich daher in der Folge in die andere Richtung herum: Warum müssen wir eigentlich diskutieren?
Mediziner Heimeshoff sieht den Grund dafür in der in Deutschland immer noch vorherrschenden Stigmatisierung und den Vorurteilen in Bezug auf psychische Erkrankungen und Psychotherapie. Körperliche und psychische Erkrankungen würden in unserer Gesellschaft unterschiedlich behandelt. Dass das längst der Vergangenheit angehören sollte, betont auch Janssen-Ischebeck. "Wie jede körperliche ist auch jede psychische Erkrankung zu behandeln". Es käme ja auch keiner auf die Idee, einen Beinbruch nicht zu behandeln. "Wir brauchen Sie und wir brauchen Sie gesund", appellierte sie an die zuhörenden angehenden Jurist:innen, sich bei Belastungssituationen Hilfe zu holen.
Ein anderer Ansatz, woher die große Angst kommen könnte, sieht Battis. Er erklärt, dass das Bundesverwaltungsgericht erst vor wenigen Jahren seine Rechtsprechung geändert und eine Beweislastumkehr vorgenommen habe, das sei ein "grundlegender Wandel" gewesen. Bis dahin habe der oder die angehende Beamt:in beweisen müssen, dass er oder sie das Kriterium der gesundheitlichen Eignung erfüllt – jetzt müsse der Staat beweisen, dass er oder sie das gerade nicht tut. Die Gerüchte und Ängste rund um das Thema Psychotherapie und Verbeamtung könnten daher ein "Relikt der alten Rechtslage bis 2013" sein, vermutet auch Janssen-Ischebeck.
"Sie müssen sich nicht alles bieten lassen"
Das Publikum beteiligte sich rege und berichtete teils von persönlichen Geschichten, die das bestätigten. So würden psychotherapeutische Beratungsstellen damit werben, Daten nicht weiterzugeben – und damit suggerieren, dass in einer "richtigen" Psychotherapie Daten weitergegeben würden. "Wichtigtuerei", so Battis Kommentar dazu, ein "schwerer Bruch der Schweigepflicht", so Heimeshoff, der nicht umhinkam, immer wieder zu betonen: "Psychische Störungen sollten nicht diskriminierend sein. Wenn Sie Hilfe brauchen, nehmen Sie sie in Anspruch".
Auch der Unsicherheit, ob bei der amtsärztlichen Untersuchung Krankenakten oder andere Unterlagen von Behandlungen aus der Vergangenheit hinzugezogen würden, setzte das Expert:innen-Trio klar entgegen: "Eine Gesundheitsbehörde kann sowas natürlich nur mit Ihrem Einverständnis verlangen", so Heimeshoff. Battis betonte, dass die Nichterteilung dieses Einverständnisses auch nur nach der alten Rechtslage zum Problem geworden wäre.
Wie sich die Verweigerung des Einverständnisses mit der Mitwirkungspflicht, die jemand bei der Untersuchung hat, verträgt, war natürlich gleich danach Thema. "Mitwirkungspflicht heißt ja nicht, dass man alles offenbart", so Heimeshoff. An anderer Stelle erklärte er bereits: "Gutachter dürfen nicht alles fragen, es muss schon Bezug zum Thema haben".
Im Verlauf der gesamten Diskussion machten alle drei Expert:innen deutlich, dass es durchaus Einzelfälle geben kann, bei denen die gesundheitliche Eignung wegen psychischer Erkrankungen ausgeschlossen werden oder auch während der Verbeamtung zu einer Zwangspensionierung führen kann. Alles andere wäre auch "naiv", betont Battis. "Wir sprechen nicht über eine ‘schwere’ Erkrankung, wenn jemand ein paar Stunden oder auch über zwei Jahre psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen hat. Es ist sinnvoll, sich diese Hilfe zu holen", machte Heimeshoff nochmal deutlich.
Es ist vielleicht einfach diese Angst, einer dieser Einzelfälle zu sein, die die Gerüchte um das "Karriererisiko Psychotherapie” am Leben hält. Wo auch immer die Angst herkommt, die Rechtslage zeigt jedenfalls: Man ist im Zweifel näher am Grundsatz als am Einzelfall – und das Gegenteil muss der Staat beweisen.
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2022 M05 17
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