Interview zum Krawattenzwang vor Gericht

"Wichtiger ist, was der Anwalt auf dem Hals trägt"

Interview mit Markus HartungLesedauer: 6 Minuten
Baden-Württemberg will die anwaltliche Pflicht abschaffen, vor Gericht Krawatte zu tragen. Seit 2009 hat Berlin schon keine Robenpflicht mehr. Im LTO-Interview erklärt der Vorsitzende des DAV-Berufsrechtsausschusses Markus Hartung, dass Krawatten sozialisationsbedingt sind, Roben viel mit Schuluniformen gemeinsam haben und der Verfall von Sitte und Anstand nicht unmittelbar droht. 

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LTO: Tragen Sie vor Gericht Krawatte? Hartung: Ja, immer! LTO: Was sind Ihre Erfahrungen, wie hält es die Mehrheit Ihrer Kollegen? Hartung: Nur sehr wenige Kollegen treten vor Gericht ohne Krawatte auf. Ich bin überwiegend vor den Landgerichten tätig – dort habe ich noch nie einen Kollegen ohne Krawatte gesehen. Mit Ausnahme von Jonny Eisenberg …  (Anm. d. Red: Ein Rechtsanwalt in Berlin, auf die Bearbeitung von strafrechtlichen und medien- beziehungsweise presserechtlichen Mandaten spezialisiert. Er vertritt unter anderem die Tageszeitung "taz", für die er auch als Kolumnist tätig war). Sonst tritt jeder Anwalt mit Krawatte auf. Nie mit einer weißen, sondern immer mit einer normalen Krawatte. Beim Amtsgericht kommt es häufiger vor, dass Kollegen ohne Krawatte und ohne Robe kommen. Und einige Strafverteidiger treten mit weißer Krawatte auf. LTO: Warum? Hartung: Das weiß ich gar nicht so genau. Ich glaube, es geht eher darum, keinem Richter irgendeinen Anlass zu bieten, um Ärger zu machen.

"Weiße Bluse mit weißer Schleife bei Frauen – habe ich noch nie gesehen!"

LTO: Vielleicht auch, um eine Art Waffengleichheit gegenüber den Staatsanwälten zu schaffen, die ja immer weiße Krawatten tragen? Rechtsanwalt Markus HartungHartung: Für die Staatsanwälte ist das vorgeschrieben. Diese müssen sich, da sie ja in einem Weisungsverhältnis stehen, daran auch immer halten. Bei Anwälten ist das naturgemäß anders. Aber die Vorschrift in Baden-Württemberg, die nun abgeschafft werden soll, regelt zum Beispiel nicht nur die Berufskleidung für Anwälte, sondern schreibt die Amtstracht für Gerichtspersonen vor. Vor allem die Roben und deren Besatz werden geregelt, da unterscheiden sich ja die Richter, Anwälte und Protokollführer. Für Männer gibt sie außerdem ein weißes Hemd mit "weißem Binder" vor. Frauen sollen danach übrigens in einer weißen Bluse mit weißer Schleife erscheinen – das habe ich noch nie gesehen! LTO: Nein, beim besten Willen nicht. Ich persönlich habe auch noch nie eine weiße Bluse mit weißer Schleife besessen. Hartung: Ich glaube, das gibt es auch gar nicht. Die Richterinnen oder die Kolleginnen, die ich kenne, tragen in der Regel unter der Robe ein Kostüm oder einen Hosenanzug, dazu häufig ein Tuch oder einen weißen Seidenschal um den Hals. Damit kommt man wunderbar klar.

"Vor Gericht wie im Geschäftsleben"

LTO: Das baden-württembergische Justizministerium hat sich zur Begründung der Abschaffung der Krawattenpflicht auf§ 20 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) berufen. Eben weil die Vorschrift bundeseinheitlich regelt, wie Anwälte vor Gericht zu erscheinen haben, nämlich - nur - in einer Robe. Halten Sie vor diesem Hintergrund eine Krawattenpflicht auf Länderebene überhaupt für rechtlich haltbar? Hartung: In § 20 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) ist nur von der Robe die Rede. Über das, was man unter der Robe tragen soll, finden sich dort keinerlei Angaben. Ich persönlich finde, dass eine Robe - bei einem Mann – mit einem offenen Hemd und ohne Krawatte seltsam aussieht. Aber das ist ja eher eine Geschmacksfrage. Rechtlich ist eine solche Pflicht eigentlich nicht haltbar. Man kann niemandem vorschreiben, was er irgendwo anzuziehen hat. Ich finde aber, dass man sich bei Gericht einfach so vernünftig anziehen sollte, wie man das im Geschäftsleben eben macht. Letztlich geht es dabei ja gar nicht um den Anwalt oder den Richter, sondern um die Mandanten.

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2/2: "Menschen vor Gericht einen Streit um Krawatten zuzumuten, ist schlicht unsouverän"

LTO: Immerhin gibt es Instanzgerichte, die Verteidiger von der Verhandlung ausschließen, welche ohne Krawatte erschienen sind. Hartung: In der Tat, so musste etwa das Landgericht Mannheim feststellen, dass der Ausschluss eines Verteidigers unverhältnismäßig war, der ohne Krawatte zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Die Kleidung des Anwalts habe weder den Sitzungsablauf gestört noch die Würde des Gerichts beeinträchtigt. Aber wenn man, egal, ob als Anwalt oder als Richter, so unsouverän ist, Menschen, die vor Gericht stehen, einen solchen Streit zuzumuten, dann steckt das Problem ganz woanders, aber nicht in der Krawatte. Das ist eine schlichte Missachtung der Menschen, die vor Gericht stehen und Sorgen haben, ob sie verurteilt werden oder ob ihnen ein Anspruch zugebilligt wird. Es ist einem Richter ja unbenommen, wegen einer fehlenden Krawatte an die Rechtsanwaltskammer zu schreiben, wenn er die Kleidung eines Anwalts für unangemessen hält. Aber auf dem Rücken derjenigen, um die es vor Gericht letztlich geht, sollte man das niemals austragen. LTO: Sie haben das Landgericht Mannheim angesprochen. Während das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach – zuletzt im März 2012 – festgestellt hat, dass eine Krawattenpflicht Anwälte nicht unzumutbar belastet, haben Instanzgerichte daran in den letzten Jahren Zweifel geäußert, in Berlin hat die Senatsverwaltung im Jahr 2009 die Robenpflicht aufgehoben. Sehen Sie da eine Entwicklung hin zu mehr Lockerheit? Hartung: Da bin ich mir nicht so sicher. Ich selbst bewege mich überwiegend im Kreis von Anwälten, die wirtschaftsberatend tätig sind. Bei denen ist die Bekleidung ja völlig klar: Alle sitzen ohne Krawatte im Büro und wenn man zu einer Besprechung geht, zieht man eine der Krawatten an, die man im Schrank liegen hat. Das sehen wir auch bei den jungen Leuten in den Kanzleien. Im Grunde werden die so sozialisiert. Dabei geht es gar nicht darum, was wo gesetzlich geregelt ist oder was das Gericht erwartet. Es geht vor allem um die Mandantenerwartung. Und wenn Sie die Wirtschaft beraten, dann wird eben erwartet, dass Sie aussehen, wie man in der Wirtschaft aussieht.

"Die Lockerung der Bekleidungsvorschriften wäre nicht der Verfall von Sitte und Anstand"

LTO: Welchen Zweck erfüllt denn aus Ihrer Sicht die Amtstracht für Juristen? Auch wenn es vielleicht nicht mehr der ist, den König Friedrich Wilhelm I. im Sinn hatte, als er 1726 "wollene schwarze Mäntel" als einheitliche Juristentracht anordnete, damit man "diese Spitzbuben schon von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten" könne? Hartung (lacht): Ja, für die Amtstracht gibt es mehrere Gründe. Die Robe stellt klar, dass alle am Prozess mit einer Funktion beteiligten Personen gleichgeordnet, nämlich alle Organe der Rechtspflege sind. Es hat auch ein bisschen was von einer Schuluniform: Eine Robe neutralisiert den Stand und soll den Blick auf die Sache lenken. Letztlich sehe ich darin eine sinnvolle Begründung für den Robenzwang. Es gibt aber viele andere Länder mit großer Rechtstradition, in denen Roben für Rechts- oder Staatsanwälte unüblich sind – dafür tragen die Richter zum Beispiel eine Perücke. Dort werden die Anwälte auch nicht mit "Herr Rechtsanwalt", sondern alle Beteiligten werden mit "Counsel" oder ihrem Namen angesprochen – egal, ob Staatsanwalt oder Rechtsanwalt. Man sieht, es geht auch anders. Das ist eine Frage der Kultur. Für mich hat das durchaus einen Sinn. Wenn es aber eine andere Kultur gäbe, hätten wir sicherlich ein ähnlich gutes Rechtssystem. Der Verzicht auf eine Amtstracht oder eine Lockerung der Bekleidungsvorschriften würde sicher nicht zum Verfall der Sitten führen. Gerade zur Frage der Krawatte sollte man sich eines auch immer bewusst machen: Wichtiger als das, was der Anwalt um den Hals trägt, ist, was er auf dem Hals trägt. LTO: Wir danken Ihnen für das Gespräch. Markus Hartung ist Rechtsanwalt, Mediator und Gründungsdirektor des Bucerius Center on the Legal Profession. Er ist außerdem Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV).
Die Fragen stellten Pia Lorenz und Claudia Kornmeier.

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