Die Brückenteilzeit vor der Praxisprobe

Schöne neue Teil­zeit­welt?

Gastbeitrag von Dr. Alexander WillemsenLesedauer: 5 Minuten

Für die neue Brückenteilzeit müssen Arbeitnehmer nur einen formlosen Antrag stellen. Diese neue Regelung stellt Arbeitgeber durchaus vor Probleme. Die Chancen und Herausforderungen des Gesetzes erklärt Alexander Willemsen.

"Wir müssen dafür sorgen, dass die Brücke nicht schmaler ist, als der Fluss" – so umreißt Sophokles die Grundsätze einer effektiven Problemlösung. Wie breit oder schmal die Brücke ist, die das Brückenteilzeitgesetz schlägt, das zum 1. Januar 2019 in Kraft tritt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Das Gesetzgebungsvorhaben wurde mit großer Aufmerksamkeit verfolgt: Die Aussicht, künftig einen Anspruch auf zeitlich begrenzte Teilzeit ("Brückenteilzeit") zu haben, ist für viele Arbeitnehmer verlockend. Doch was genau ist überhaupt nach dem neuen Gesetz möglich und viel wichtiger - hält es das, was es verspricht?

Das Grundprinzip des neuen § 9a Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verspricht hohe Flexibilität: Drei Monate im Voraus kann der Arbeitnehmer verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für einen Zeitraum von mindestens einem und maximal fünf Jahren verringert wird und er anschließend wieder zur ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren kann. Dass hierbei keine Begrenzung bei Umfang und Verteilung der Arbeitszeit existiert, weckt die Phantasie der Arbeitnehmer: Den Schulstart des Kindes mit dem nötigen zeitlichen Freiraum zu begleiten. Jedes Jahr zum Höhepunkt der Karnevalssession ganz dem Verein zur Verfügung zu stehen. Jeden zweiten Freitag frei zu haben, um im Amateursport durchzustarten. Oder in den Sommermonaten nur halbtags zu arbeiten. Selbst ein Sabbatical, also eine längere "Auszeit", scheint mit der neuen Regelung möglich.

Die Erwartungen auf Arbeitnehmerseite sind jedenfalls hoch, die eigenen Vorstellungen von Umfang und Verteilung der Arbeitszeit losgelöst von der bisherigen Einbahnstraße des § 8 TzBfG, der nur eine unbefristete Reduzierung der Arbeitszeit ermöglichte, und den Beschränkungen der zweckgebundenen befristeten Teilzeit (z. B. Elternzeit oder Pflegezeit) umsetzen zu können.

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Einziges Hindernis: Betriebliche Gründe

Und dies nicht ganz zu Unrecht: Das neue Gesetz gibt den Arbeitnehmern weitgehend freie Hand. Es enthält – abgesehen von dem Zeitraum, für den die Brückenteilzeit gelten soll – keine Vorgaben, in welchem Mindest- oder Höchstumfang die Arbeitszeit reduziert werden darf oder wie die verringerte Arbeitszeit zu verteilen wäre. Der Arbeitnehmer hat lediglich zwei Dinge zu beachten:

Das Arbeitsverhältnis muss zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits sechs Monate bestanden haben. Und eine Ankündigungsfrist von drei Monaten bis zum Beginn der Brückenteilzeit ist einzuhalten. Der entsprechende Antrag kann zudem relativ problemlos in Textform, also z. B. per E-Mail an die Personalabteilung oder den Vorgesetzten, gestellt werden. Die Gesetzesbegründung geht deshalb auch nur von einem geringen zeitlichen Aufwand für die Arbeitnehmer aus: Ganze fünf Minuten soll es dauern, um sich mit den neuen Regelungen vertraut zu machen, und nach weiteren 13 Minuten soll angeblich der jeweilige Antrag erstellt sein.

Wer diese Anforderungen einhält, kann sich berechtigte Hoffnungen auf eine selbst definierte Auszeit machen. Der Arbeitgeber kann den Antrag nämlich nur ablehnen, wenn und soweit "betriebliche Gründe" entgegenstehen. Dazu müsste die Verringerung der Arbeitszeit insbesondere die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigen oder unverhältnismäßige Kosten verursachen. Der Nachweis hierfür obliegt dem Arbeitgeber.

Und der hat sich zu beeilen: Liegt spätestens einen Monat vor Beginn der beantragten Brückenteilzeit keine schriftliche Ablehnung (eine E-Mail genügt hier nicht!) im Hinblick auf Umfang und Verteilung der verringerten Arbeitszeit vor, gilt beides als entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festgelegt. Stellen Arbeitnehmer ihre Anträge also so spät wie möglich, bleiben dem Arbeitgeber lediglich zwei Monate Zeit, den Antrag zu prüfen und (formwirksam) abzulehnen.

38 Prozent der Arbeitnehmer fallen raus

Doch bei näherer Betrachtung dieser "goldene Brücke" in die befristete Teilzeit wird klar, dass auch hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Der Anspruch auf Brückenteilzeit besteht nämlich nur in Unternehmen mit mehr als 45 Arbeitnehmern. Damit sind bis zu 14,4 Millionen oder 38 Prozent aller Beschäftigten von vornherein von der Brückenteilzeit ausgenommen, weil sie in einem entsprechend kleineren Unternehmen arbeiten. Die Brückenteilzeit bleibt ein Privileg in größeren Unternehmen. Diese konnten ihren Arbeitnehmern aber auch schon bisher größere Flexibilisierungsmöglichkeiten bieten. Insofern geht das neue Gesetz an den Bedürfnissen der Arbeitnehmer vorbei.

Eine weitere Einschränkung gilt in Unternehmen mit einer Größe von 46 bis 200 Arbeitnehmern: Hier sieht das neue Gesetz eine Staffelung vor, wonach pro angefangenen 15 Arbeitnehmern nur ein Brückenteilzeitplatz vergeben werden muss. Befinden sich in einem Unternehmen mit 90 bis 105 Arbeitnehmern also schon sieben Kollegen in Brückenteilzeit, scheitert der Antrag des achten allein aus diesem Grunde. Arbeitgeber, die schon jetzt offen für flexible Lösungen waren und befristete Teilzeitphasen erlaubt haben, werden vom neuen Gesetz übrigens nicht belohnt. Für die Staffelung sind allein diejenigen Mitarbeiter relevant, die ihre Arbeitszeit nach dem neuen Brückenteilzeitgesetz reduziert haben.

Eine verlässliche Handhabung der neuen Schwellenwerte und Staffelungen setzt freilich voraus, dass der Arbeitgeber die Belegschaftsgröße einerseits und die Anzahl der Arbeitnehmer in Brückenteilzeit andererseits sorgsam dokumentiert – und prognostiziert: Laut Gesetzesbegründung soll für die Schwellenwerte nicht etwa der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der Tag des Beginns der gewünschten Brückenteilzeit relevant sein. Weil das Brückenteilzeitgesetz aber keine Höchstfristen für die Antragstellung vorsieht, kann der gewünschte Beginn der Brückenteilzeit auch weit in der Zukunft liegen. Entsprechend schwer wird es dann für den Arbeitgeber sein, Aussagen zur relevanten Staffelungsschwelle und Anzahl anderer Arbeitnehmer in Brückenteilzeit zu treffen.

Konflikte durch begrenzte Plätze

Hinzu kommt: Wenn sich ein Arbeitgeber mit mehr Anträgen als verfügbaren Brückenteilzeitplätzen konfrontiert sieht, lässt ihn das neue Gesetz im Regen stehen. Die Gesetzesbegründung verweist lediglich darauf, dass der Arbeitgeber bei der Auswahl, wessen Antrag durchgewunken und wer abgewiesen wird, billiges Ermessen ausüben muss. Dazu müssen die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und Interessen angemessen berücksichtigt werden; dies schließt persönliche, soziale und familiäre Gesichtspunkte mit ein. Nicht nur in diesen Fällen wird die Prognose des Gesetzgebers, dass Prüfung und Bescheidung eines Antrages von einem Personalsachbearbeiter mittlerer Qualifikation in 127 Minuten erledigt werden können, kaum einzuhalten sein.

Arbeitgebern wie Arbeitnehmern stehen spannende Wochen und Monate bevor. Sollte es tatsächlich zu der erwarteten Flut an Anträgen kommen – der Gesetzgeber rechnet mit rund 140.000 Anträgen im Jahr 2019 und nur noch rund 14.000 Anträgen in den Folgejahren – werden sich Personalabteilungen und Arbeitsgerichte intensiv mit dem neuen Gesetz zu beschäftigen haben. Und wo die begehrten Brückenteilzeitplätze aufgrund der Unternehmensgröße limitiert sind, drohen im Kollegenkreis Konflikte, die deutlich intensiver als etwa Streitigkeiten über die Verteilung des Urlaubs ausfallen dürften.

Die unklaren Regelungen zur Verteilung begrenzter Plätze tragen ihren Teil dazu bei. Die neue "Teilzeit-Brücke" wird also voraussichtlich nicht breit genug sein, um die Erwartungen der Arbeitnehmer zu erfüllen. Angesichts der vielen offenen Fragen ist keineswegs sicher, dass sie nicht doch schmaler ist als der Fluss – und wohin sie letztendlich führt.

Der Autor Dr. Alexander Willemsen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln.

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