Besonderes elektronisches Anwaltspostfach

Die Grünen hätten da mal ein paar Fragen

von Pia LorenzLesedauer: 6 Minuten
Nun stellen auch noch die Grünen unangenehme Fragen. Dabei ist das Anwaltspostfach bisher nicht einmal vollständig fertig. Und das Verfahren vor dem AGH in Berlin, das den Start derzeit verhindert, verzögert sich weiter. 

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Die Bundesnotarkammer (BNotK) verlängert die Vertragslaufzeit der bereits ausgelieferten Karten für das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) - und zwar um den Zeitraum, um den sich dessen Start verzögert. Kostenlos, betonte die für die Planung, Umsetzung und Betrieb verantwortliche Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) am Mittwoch. 
Für Anwälte, die schon eine beA-Karte Basis und beA-Karte Mitarbeiter (anders: die beA Karten Signatur, die schon nutzbar sind) bestellt haben, entstünden durch die erneute Verschiebung des Starts des elektronischen Postfachs keine Mehrkosten. 
Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber die Anwälte sind anderes gewöhnt: Sie zahlen längst, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Die Anwaltskammern erheben eine Umlage von ihnen,  die sie eins zu eins an die BRAK weitergeben - obgleich das System den Anwälten, die es finanzieren, zehn Monate nach dem ursprünglich geplanten Starttermin am 1. Januar noch immer nicht zur Verfügung steht. 
Wie lange es dauern wird, bis die BNotK neue Rechnungen mit der korrekten Vertragslaufzeit verschicken kann, ist weiter unklar. Derzeit schließen den Start von beA zwei einstweilige Anordnungen des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs (AGH) in Berlin aus.  Das Verfahren um deren Aufhebung wird sich, nach einer zwischenzeitlich gewährten Fristverlängerung, noch über Wochen, wenn nicht Monate hinziehen. 
Und jetzt droht weiteres Ungemach. Eine Kleine Anfrage der Grünen von Ende September stellt an die Bundesregierung noch ganz andere Fragen, als das Projekt schon bislang aufwarf. Die Fraktion erkundigt sich unter anderem nach den Grundlagen und Anfängen des Mega-IT-Projekts, das von Anfang an für Unmut sorgte. 

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Kritische Fragen von den Grünen

Die Initiatorin der Anfrage, die Abgeordnete Katja Keul, ist selbst Fachanwältin für Familienrecht und war bis 2011 auch Delegierte der Rechtsanwaltskammer Celle für die 4. Satzungsversammlung der BRAK.  "Beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach sind viele Punkte nach wie vor ungeklärt. Neben Fragen der technischen Umsetzung und des Umfangs der Verordnungsermächtigung ist dies vor allem der Datenschutz, der nicht hinreichend sicher gestellt ist", erklärte sie die Motivation der Grünen gegenüber LTO. 
So stellte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 29. September, an dem das Postfach eigentlich im zweiten Versuch starten sollte, gleich elf Fragen,  die sich recht detailliert mit den Startschwierigkeiten der Anwaltschaft beim elektronischen Rechtsverkehr befassen. Wie werden die Daten im beA-System übertragen, wie der Datenschutz gewährleistet, zumal der mit der Umsetzung von beA beauftragte Dienstleister Atos seinen Sitz in Frankreich hat? Welchen Einfluss hatte das Anwaltsgeheimnis auf die vertraglichen Vereinbarungen mit dem IT-Riesen aus Paris? Wo stehen die Server, wie sind die Systeme gegen Angriffe gesichert? 
Inwieweit weiß die Bundesregierung eigentlich Bescheid? Wer und wie kontrolliert die Preise und Kosten des durch die Anwälte finanzierten Systems? Und soll sich eine Pflicht der Anwälte zur Nutzung ihres elektronischen Postfachs nur auf die Gerichtsbarkeiten beziehen, die ihrerseits formell bereits am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen? Und was geschieht, wenn Atos verkauft würde?
Es sind viele Fragen, und viele Antworten sind nicht bekannt. Man darf gespannt sein, ob die BRAK sich gegenüber der Bundesregierung offener gezeigt hat als gegenüber LTO. Ihre neue Sprecherin wollte die Fragen auch auf Nachfrage nicht beantworten oder kommentieren. 

Wie Adesso das Anforderungsprofil für sich selbst schreiben sollte 

Die Antworten auf manche Fragen der Grünen aber sind branchenbekannt. Insider wissen, wie die ausführende Atos GmbH an den Auftrag kam, speziell, dass es dafür keine Ausschreibung gab. Das Mega-IT-Projekt stand von Anfang an unter keinem guten Stern. 
Als die BRAK den Auftrag erhielt, die Voraussetzungen für den elektronischen Rechtsverkehr auf Seiten der Anwaltschaft zu verantworten, arbeitete sie zunächst mit dem Anbieter Adesso zusammen. Der IT-Dienstleister beriet, testete und führte Workshops mit Anwälten durch, das geschah damals auf Grundlage eines Beratervertrags. 
Hellhörig wurden andere Dienstleister, als das Dortmunder Unternehmen auch das Anforderungsprofil für das Projekt erstellen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass Adesso davon ausging, mit der Umsetzung von beA beauftragt zu werden. Dass aber nicht der Auftraggeber, sondern der Dienstleister, der das Projekt übernehmen will, die Anforderungen daran quasi für sich selbst erstellen sollte, führte hinter den Kulissen zu so viel Rumoren, dass Adesso sich schließlich aus dem Projekt zurückzog. Zu einer europaweiten Ausschreibung kam es aber auch danach nicht.

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2/2: Wie Atos an den Auftrag kam

Obgleich das Mega-Projekt weit über dem Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibung lag, entschied die BRAK sich für eine freihändige Vergabe. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass sie keine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne der Richtlinie 2004/18 bzw. § 98 Nr. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sei und damit nicht dem europäischen Vergaberecht unterliege - und bekam Recht aus Luxemburg. 
Zeitlich passend entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 12. September 2013, dass die Ärztekammern ihre Aufträge aus eben diesem Grund nicht ausschreiben müssen (Urt. v. 12.09.2013, Az. C-526/11). Für die noch stärker auf Selbstverwaltung ausgerichteten Anwaltskammern dürfte das erst recht gelten.
Im freihändigen Vergabeverfahren stach dann Atos unter anderem die Telekom und Wolters Kluwer aus, zu der auch LTO gehört. Das französische IT-Unternehmen übernahm die Aufgabe gemeinsam mit der Governikus GmbH & Co. KG, verantwortlich für die gleichnamige Anwendung Governikus, die dem EGVP-Client zugrunde liegt, also in allen deutschen Bundesländern sowie beim Bund für elektronisch nachvollziehbare Transaktionen im E-Government und E-Justice eingesetzt wird. 

Wie fertig ist das beA? 

Vielleicht hätte die BRAK sich detaillierter erkundigen sollen, wie gut die Durchsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Gerichten tatsächlich läuft. Jetzt aber soll das System für die Anwälte nach Angaben der BRAK startklar sein. Was das genau bedeutet, ist weiterhin unklar. Von voller Funktionsfähigkeit spricht niemand, die Syndikusanwälte sind bislang ebenso wenig integriert wie die Anbieter von Kanzlei-Software, welche die Schnittstellen zu ihren Produkten schaffen und angleichen müssen. Diese Verzögerungen und Untätigkeiten sind auch nicht auf die Entscheidungen des AGH zurückzuführen, welche die BRAK gerade aus der Welt zu schaffen versucht, damit sie das System live schalten kann. 
Die einstweiligen Anordnungen untersagen der BRAK nämlich derzeit, die Postfächer der beiden Antragsteller empfangsbereit zu schalten, weil der AGH deren Ansicht geteilt hatte, dass die Anwälte nicht verpflichtet seien, in ihrem beA eingehende Schriftstücke gegen sich gelten zu lassen. Nun kann das gesamte System nicht starten, weil es technisch nicht möglich ist, einzelnen Postfächer den Status "nicht empfangsbereit" zu geben. Ihren Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Anordnungen stützt die Dachorganisation der Anwaltschaft auf die am 28. September in Kraft getretene Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV)
Die stellt im Wesentlichen zwei Dinge klar: Die BRAK muss nur empfangsbereite Postfächer zur Verfügung stellen, also nicht technisch insoweit nachrüsten, dass diese "offline" geschaltet werden können. Und Anwälte sind nicht vor dem 1. Januar 2018 verpflichtet, das Postfach zu nutzen. 

AGH muss entscheiden: Kann die RAVPV die passive Nutzungspflicht regeln? 

Ob das den AGH überzeugen wird, seine Anordnungen aufzuheben und damit den beA-Start möglich zu machen, ist keineswegs sicher. Frist zur Stellungnahme zum Aufhebungsantrag der BRAK hatten die Antragsteller eigentlich bis zum 10. Oktober. Diese wurde zwischenzeitlich nach Informationen von LTO wegen der Herbstferien verlängert bis zum 24. Oktober. Damit gehen erneut zwei weitere Wochen ins Land, bevor der AGH sich überhaupt wieder mit dem Thema beA beschäftigen wird.  
Eine zentrale Frage dabei dürfte sein, ob überhaupt, wie vom Bundesjustizministerium beabsichtigt, die leidige Frage, ob und unter welchen Umständen die Anwälte per beA zugegangene Schriftstücke gegen sich gelten lassen müssen, durch die RAVPV geregelt werden konnte. 
Eben das bezweifeln nämlich die Antragsteller, zu deren Gunsten eine der einstweiligen Anordnungen erlassen wurde.  Und damit sind die Anwälte der Kölner Kanzlei Werner Rechtsanwälte Informatiker offenbar nicht allein: Der I. Senat des AGH Berlin hat in einem Parallelverfahren deutlich gemacht, dass auch er zur Rechtsauffassung neigt, dass die gesetzlich geregelte Wirkung der Zustellung von Schriftsätzen nicht durch eine Verordnung geändert werden kann. 
Passend dazu unter Ziffer I fragen die Grünen ihrer Kleinen Anfrage: "Woraus leitet die Bundesregierung ab, dass die Ermächtigungsgrundlage des § 31 c BRAO über die dort abschließend aufgeführten Regelungsbereiche auch zur Regelung ermächtigt, ab wann unter welchen Umständen der Postfachinhaber Zustellungen und Zugänge von Mitteilungen gegen sich gelten lassen muss?"

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