Die Fernabsatzrichtlinie (97/7/EG) sowie das darin verankerte freie Widerrufsrecht bilden einen Meilenstein auf dem Weg zum umfassenden Verbraucherschutz. Bei der Umsetzung in das nationale Recht hat der deutsche Gesetzgeber allerdings nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen. Erst langsam zeichnet sich eine europarechtskonforme Umsetzung ab.
Hinter dem Widerrufsrecht im Fernabsatz steht ein einfacher Gedanke: Im Gegensatz zum Vertragsschluss vor Ort hat der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen nur eingeschränkte Möglichkeiten, den Vertragsgegenstand zu prüfen. Eben dieses Defizit kompensieren soll das Widerrufsrecht.
Dieses Privileg ist heute so selbstverständlich geworden, dass mitunter übersehen wird, dass nicht bei jedem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht besteht. Ausnahmen gelten zum Beispiel für verderbliche oder individuell angefertigte Waren. Leicht überraschen kann auch, dass ganze Vertragstypen wie Versicherungs- oder Reiseverträge aus dem Fernabsatzrecht ausgeklammert sind.
Wo dieses eingreift, schützt es allerdings gründlich. Bei Warenlieferungen bleiben dem Verbraucher nach Eingang der Ware zwei Wochen, um zu widerrufen. Abgerundet wird dieser Schutz durch umfassende Informationspflichten des Unternehmers bei oder unverzüglich im Anschluss an den Vertragsschluss. Ist die Belehrung verspätet, verlängert sich die Frist, vor allem aber beginnt sie nicht zu laufen, ehe nicht ordnungsgemäß belehrt wurde.
Die an die Belehrung gestellten Anforderungen waren insbesondere angesichts der unklaren Rechtsfolgen des Widerrufs für die Praxis lange schwer zu erfüllen. Selbst die amtlichen Musterwiderrufsbelehrungen wurden ihnen mitunter nicht gerecht. Im Rahmen der am 11. Juni 2010 in Kraft getretenen Gesetzesnovelle (BGBl. I 2009, S. 2355 ff.) sah sich der Gesetzgeber daher gezwungen, die Musterwiderrufsbelehrung nicht nur expressis verbis für ausreichend zu erklären, sondern sie selbst zum formellen Gesetz zu erheben.
Hin- und Rücksendung frei haus
Im Hinblick auf die Folgen des Widerrufs geht der Trend zum immer umfassenderen Schutz. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) wenig überraschend entschieden, dass es mit der Fernabsatzrichtlinie unvereinbar ist, wenn das nationale Recht dem Verbraucher nicht gestattet, neben dem Kaufpreis auch etwaige Versandkosten zurückzufordern (Urt. v. 15.04.2010 – C-511/08 [Heinrich Heine]). Der Bundesgerichtshof hat die konträre Regelung im BGB daraufhin ohne viel Federlesen richtlinienkonform "ausgelegt" (Urt. v. 7.7.2010 – Az. VIII ZR 268/07).
Gestatten würde die Fernabsatzrichtlinie dem Verbraucher die Rücksendekosten aufzubürden. Hier aber hat unser nationaler Gesetzgeber sein Herz für den Verbraucherschutz entdeckt: Eine entsprechende Vereinbarung ist im Grundsatz nur zulässig, wenn der Preis der zurückzusendenden Sache 40 Euro nicht übersteigt.
Enge Grenzen für Wert- und Nutzungsersatz
Selbst Wertersatz wegen Verschlechterung gelieferter Sachen kann nur in engen Grenzen verlangt werden. Auspacken und Prüfen ist gefahrlos möglich. Selbst eine Verschlechterung durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme verpflichtet nur zum Ersatz, wenn der Verbraucher entsprechend belehrt und darauf hingewiesen wurde, wie er dies vermeiden kann. Fehlt ein entsprechender Hinweis, bestünde beispielsweise keine Handhabe, um einen Verbraucher zur Kasse zu bitten, der eine im Versand bestellte Kaffemaschine testweise in Betrieb nimmt. Für den Verkäufer wäre dies ein hartes Los, kann er ein solches Gerät doch praktisch nicht mehr verkaufen.
Schon der reine Gebrauchsvorteil einer möglichen Nutzung wäre nach nationalem Recht aber herauszugeben. Auch das hat den EuGH auf den Plan gerufen, der jedenfalls der generellen Pflicht zum Nutzungsersatz eine deutliche Absage erteilt hat (EuGH, Urt. v. 3.9.2009 – C-489/07 [Messner]). Nicht ausgeschlossen erscheint nach der Begründung aber, dass der Verbraucher zu Nutzungsersatz verpflichtet werden kann, wenn er die Sache in Kenntnis des Widerrufsrechts in einer Weise nutzt, die über ein Prüfen und Ausprobieren, wie es auch im Laden möglich wäre, hinausgeht. Dem Anliegen, die fehlende Prüfungsmöglichkeit im Fernabsatz zu kompensieren, wäre dadurch kein Abbruch getan.
Entsprechend sollte auch die deutsche Regelung zum Wertersatz bei Verschlechterungen in Folge der Ingebrauchnahme europarechtskonform sein. Das letzte Wort aus Luxemburg ist in dieser Sache aber sicherlich noch nicht gesprochen.
Ausblick
Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass bereits seit März ein neuer Referentenentwurf vorliegt, der das gerade erst novellierte Fernabsatzrecht erneut anpassen und den Anspruch auf Nutzungsersatz beschränken will. Es ist zu hoffen, dass man in diesem Zuge angesichts der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung auch klarstellen wird, dass der Verbraucher in Folge des Widerrufs die Rückerstattung der Versandkosten verlangen kann.
Damit zeichnet sich langsam eine europarechtskonforme Regelung, zugleich aber auch ein Rundum-Schutz für den Verbraucher ab, der zu Missbrauch einlädt. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, der Handel würde die dadurch verursachten Kosten nicht weitergeben. Vor diesem Hintergrund ist zu erwägen, ob nicht doch allgemein zugelassen werden sollte, dem Verbraucher die Rücksendekosten aufzuerlegen. Jedenfalls diesen Spielraum belässt die Richtlinie.
Der Autor Carl Florian Geck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verfahrensrecht der Philipps-Universität Marburg.
Widerrufsrecht im Online- und Versandhandel: . In: Legal Tribune Online, 25.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1283 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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