Kurz vor knapp hat Deutschland die europäische Warenkaufrichtlinie und die Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen umgesetzt. Warum darum so viel gestritten wurde und was da jetzt auf uns zukommt, erklärt Nadine Neumeier.
Das BGB-Vertragsrecht soll digitaler werden: Die europäische Warenkaufrichtlinie (kurz: WKRL – (EU) 2019/711) sowie die Richtlinie über digitale Inhalte und Dienstleistungen (kurz: DIDRL – (EU) 2019/770) müssen bis zum 01. Juli 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Die nun vom Bundestag beschlossenen Umsetzungsgesetze beinhalten entsprechend weitreichende Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Sowohl der Gesetzesentwurf zur Umsetzung der WKRL der Regierung als auch der Regierungsentwurf zur Umsetzung der DIDRL gingen nicht ohne Kritik durch den Bundestag. Letztlich folgte die Bundesregierung den von Bundestag und Bundesrat geforderten Änderungen aber nur teilweise, bis beide schließlich am 24. Juni im Bundestag angenommen wurden. Die Regelungen sollen bereits im Juli im Bundesgesetzblatt verkündet werden und gelten für Verträge, die nach dem 1. Januar 2022 abgeschlossen werden.
Wozu das Ganze überhaupt
Bereits 2018 hat die Europäische Kommission eine Neugestaltung der Rahmenbedingungen für Verbraucherrechte in der EU vorgeschlagen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen besser geschützt und die Durchsetzung der Verbraucherschutzregeln erleichtert werden. Hintergrund ist u.a. der zunehmende elektronische Handel. Bestandteil der Strategie sind mehrere EU-Richtlinien.
Die WKRL bezweckt, die Verbraucherrechte beim Warenkauf und beim Kauf von Waren mit digitalen Elementen (z.B. Smart TV, Smartwatch) zu stärken und ersetzt die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.
Daneben ergänzt die DIDRL die WKRL. Die DIDRL befasst sich mit einer völlig neuen Materie, der Normierung von Verbraucherverträgen über digitale Inhalte (z.B. Computerprogramme, Audiodateien, Videospiele) und digitale Dienstleistungen (z.B. Cloud-Computing, Streamingdienste).
Die Umsetzung der WKRL und der DIDRL stellt wohl die weitreichendste Reform des BGB-Vertragsrechts seit der Schuldrechtsreform dar. Das BGB-Vertragsrecht wird digitaler und Verbraucherrechte werden gestärkt. Dies geht mit neuen Pflichten für Unternehmen einher, die teilweise ungelöste Fragen aufwerfen. In diesem Zusammenhang wurde auch Kritik an der Ideenlosigkeit des deutschen Gesetzgebers geäußert, z.B. mit Blick auf das Thema Nachhaltigkeit. Aber eins nach dem anderen.
Der neue Mangelbegriff
Der neue Mangelbegriff erweitert und präzisiert den bisher angewendeten Begriff. Eine Sache muss demnach den subjektiven Anforderungen (Beschaffenheitsvereinbarung) sowie den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entsprechen (§ 434 BGB-neu). Neu ist: Selbst wenn eine Sache der Beschaffenheitsvereinbarung entspricht, kann sie mangelhaft sein. Im B2C-Bereich sind Abweichungen nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Dahingegen können im B2B-Bereich Abweichungen vereinbart werden.
Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kritisierte der Bundesrat die Beibehaltung eines einheitlichen Mangelbegriffs im Gesetzesentwurf. Die WKRL sei nur für den B2C-Bereich umzusetzen und nicht für den B2B-Bereich. Die Bundesregierung hielt in ihrer Gegenäußerung an dem einheitlichen Mangelbegriff fest. Auch das beschlossene Umsetzungsgesetz behält den einheitlichen Mangelbegriff sowohl für den B2C- als auch den B2B-Bereich bei.
Aktualisierungspflicht für digitale Elemente
Das BGB-neu enthält Sonderbestimmungen für Waren mit digitalen Elementen. Diese gelten nur im Verhältnis zu Verbraucherinnen und Verbrauchern. Waren mit digitalen Elementen umfassen neben den oben genannten Smart-Geräten beispielsweise auch ein Auto mit integrierter Navigation.
Eine der umstrittensten Neuerungen des BGB-neu ist die Aktualisierungspflicht für das digitale Element. Ein Verkäufer muss Aktualisierungen für die digitalen Elemente bereitstellen. Unklar ist jedoch die Dauer der Aktualisierungspflicht. Hier kommt es auf die objektiv zu bestimmende und damit zu erwartende Verbrauchererwartung an. Der Bundesrat und auch viele Experten und Verbände in ihren Stellungnahmen forderten eine Konkretisierung der Dauer, für die die Aktualisierungspflicht gilt. Die Lebensdauer der Ware könnte etwa ein maßgebliches Kriterium sein. Allerdings stimmte die Bundesregierung einer Präzisierung in ihrer Gegenäußerung nicht zu, da die WKRL keinen Spielraum zulasse. Letztlich entschied sich auch der Bundestag gegen eine Präzisierung der Aktualisierungsdauer.
Offen bleibt außerdem die Frage, inwiefern ein Verkäufer die Aktualisierung des digitalen Elements erfüllen kann. Der Verkäufer einer Ware ist selten auch der Hersteller des digitalen Elements. So ist ein Warenhaus typischerweise nicht in der Lage, das Betriebssystem eines Smart-TVs zu aktualisieren. Wenngleich dies aus Verbraucherschutzsicht verlockend klingen mag, kann die Aktualisierungspflicht im Einzelfall aufgrund subjektiver Unmöglichkeit entfallen. Dies nützt den Verbraucherinnen und Verbrauchen in der Praxis damit gar nichts.
Weiterhin schlug der Bundesrat sowie Entschließungsanträge der Grünen und der Linken eine teilweise Verlängerung der Verjährungsfrist für einzelne Produktgruppen vor. Bergründet wurde die Forderung damit, dass Produkte wie ein Auto oder ein Smartphone eine weitaus längere Lebenserwartung als zwei Jahre haben. Dies wäre auch aus Nachhaltigkeitsgründen wünschenswert. Doch auch die Verlängerung der Verjährungsfrist hat es letztlich nicht durch den Bundestag geschafft.
Digitale Produkte: ein neuer Vertragstyp
Die Umsetzung der DIDRL erfolgt im Wesentlichen durch die Einführung der §§ 327 ff. BGB-neu für Verbraucherverträge über digitale Produkte. Dadurch werden die existierenden Vertragstypen des BGB ergänzt.
Verbraucherverträge über digitale Produkte können von Waren mit digitalen Elementen wie folgt abgegrenzt werden: §§ 327 ff. BGB-neu finden keine Anwendung, wenn die Ware in einer Weise digitale Produkte enthält oder mit digitalen Produkten verbunden ist, dass die Ware ihre Funktionen ohne die digitalen Produkte nicht erfüllen kann.
Ähnlich der Umsetzung der WKRL definiert auch die DIDRL den Mangelbegriff durch subjektive und objektive Anforderungen sowie die Integrationsanforderungen. Bemerkenswert ist auch hier die Aktualisierungspflicht des Unternehmers: Demnach hat der Unternehmer funktionserhaltende Aktualisierungen und Sicherheitsupdates bereitzustellen. Die vom Bundesrat geforderte Präzisierung der Dauer der Aktualisierungspflicht wurde aber auch hier nicht umgesetzt.
Klar ist: Das Kaufrecht wird digitaler und der Verbraucherschutz jedenfalls in der Theorie gestärkt. Dadurch nehmen die Pflichten für Unternehmen stark zu. Sie haben zahlreiche Fragen zur Umsetzung der Aktualisierungspflichten zu beantworten. Erfolgt der Verkauf beispielsweise nicht durch den Hersteller, so ist der Verkäufer auf die Mitwirkung des Herstellers angewiesen und muss dies frühzeitig vertraglich sicherstellen. Ein weiteres Minus für alle Beteiligten: Leider könnten sich die weitreichenden Aktualisierungspflichten zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher in Zukunft auch auf die Kalkulation des Kaufpreises auswirken. Stets neue Software zu entwickeln, kostet Geld – das werden sich die Hersteller zurückholen.
Die Autorin Nadine Neumeier, LL.M. (King’s College London) ist Rechtsanwältin bei Dentons und Mitgründerin der DSRI Female Netcademy.
Warenkauf und digitale Inhalte: . In: Legal Tribune Online, 29.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45327 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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