Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, zukünftig Binnengrenzkontrollen nur noch durch EU-Verfahren wiedereinzuführen. Allerdings bleiben nationale Alleingänge weiterhin möglich. Außerdem geht die Politik auch weiterhin das Hauptproblem nicht an, meint Timo Tohidipur. Er fordert Konzepte zur legalen Einwanderung statt halbherziger Ansätze.
Die Europäische Kommission hat am vergangenen Freitag Vorschläge vorgelegt, um den Schengenraum durch gemeinsame Verfahren der EU zu überwachen. Ziel ist laut EU-Kommissarin Cecilia Malmström die "Stärkung des Schengenraums" mittels "soliderer Verwaltung" durch die EU.
Im Kern soll durch bessere Kontrollen seitens der EU die Freiheit des Binnengrenzverkehrs gesichert werden. Krisenbedingte Binnengrenzkontrollen dürfen nur vorübergehend und ausschließlich per EU-Mehrheitsentscheidung wieder eingeführt werden.
Die Vorschläge basieren auf einer kürzlich begonnenen Diskussion um die zukünftige Ausgestaltung der Binnengrenzen im Schengenraum. Auslöser waren einerseits die Vorstöße Italiens und Frankreichs wegen der Flüchtlinge aus Nordafrika, andererseits die wieder eingeführten Binnengrenzkontrollen der Dänen. Statt eines klaren Bekenntnisses zur grenzenlosen Reisefreiheit in der EU betonten einige Regierungen ihr Recht auf autonome Entscheidung über temporäre Einführung von Grenzkontrollen und gefährden damit die Freizügigkeit als Kernelement der EU.
Ernsthafte Gefahr: Der Mitgliedstaat beantragt, die Kommission entscheidet
Vor diesem Hintergrund will die Kommission nun also eine einseitige Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Binnenraum der EU nicht den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, sondern unter ein gemeineuropäisches Regulierungsregime stellen. Die neuen Verfahren sollen in den revidierten Art. 23 ff. der Verordnung Nr. 562/2006 festgeschrieben werden.
Die Vorschläge sehen vor, dass ein Staat, der Binnengrenzkontrollen temporär wieder einführen will, eine exakte Anfrage an die Kommission stellen muss. Diese muss unter anderem die Gründe enthalten, worin eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Sicherheit des Landes besteht sowie wo und in welchem Umfang Grenzkontrollmaßnahmen durchgeführt werden sollen. Diese Informationen erhalten auch die anderen Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament. Die Entscheidung aber trifft am Ende die Kommission selbst, die dabei von einem Expertenkommittee unterstützt wird. Die zulässige Höchstdauer der Binnengrenzkontrolle soll 6 Monate betragen.
Damit soll auch bei vorhersehbaren Ereignissen wie Sportveranstaltungen oder "hochrangigen politische Treffen" die europäische Beschlussfassung über Binnengrenzkontrollen erleichtert werden. Gerade in solchen Fällen haben die Mitgliedstaaten allerdings auch bisher im Bewusstsein gemeineuropäischer Herausforderungen stets zu konsensualen Entscheidungen gefunden.
Am Problem vorbei: Migrationsmanagement ist nicht nur Grenzpolitik
Die neuen Vorschriften vermögen aber nur vordergründig Abhilfe zu schaffen. Trotz der geplanten zentralen Zuständigkeit der Kommission werden mit den neuen Regeln nationale Alleingänge nicht gänzlich ausgeschaltet. Auch das neue Regularium erlaubt den Mitgliedstaaten weiterhin, einseitig Grenzkontrollen wieder einzuführen. Zwar soll diese in Art. 25 der Verordnung für Fälle, die sofortiges Handeln erfordern, vorgesehene Möglichkeit zeitlich auf zunächst 5 Tage beschränkt werden. Die Kommission kann sie aber nach Anhörung der anderen Mitgliedstaaten durch Beschluss verlängern. Im Ergebnis wird kein Staat das dem anderen verwehren, weil auch er selbst einmal in diese Situation kommen könnte.
Die Vorschläge der Kommission sind nicht nur in dieser Hinsicht halbherzig. Vor allem mit Blick auf den migrationspolitischen Kontext sind sie zu lang, zu auslegungsbedürftig und zu komplex. Ihr erklärtes Ziel, nationale Alleingänge zu verhindern, erreichen sie nicht wirklich. Den Auslöser der Debatte und damit den Kern des Problems lassen sie unberührt: Wie soll die EU mit den Herausforderungen globaler Flüchtlingsbewegungen umgehen?
Binnengrenzkontrollen verhindern keine Einwanderung in den Raum der EU. Sie sind auch kein geeignetes Mittel der Steuerung. Für diese drängenden Probleme fehlt der EU immer noch ein langfristiges Konzept. Es hat kaum Beachtung gefunden, dass das Europäische Parlament in der vergangenen Woche Vorschläge der Kommission befürwortend verabschiedet hat, die die EU-Grenzschutzagentur Frontex stärken. Das deutet darauf hin, dass eine Politik fortgeführt und vertieft werden soll, die Einwanderung verhindert. Schon rein technisch ist das aber unmöglich, wie die Beispiele hochaufgerüsteter Grenzen in der ganzen Welt zeigen.
Migrationsmanagement kann sich nicht nur auf funktionierende Außen- oder Binnengrenzen stützen. Die Politik muss Konzepte zur sinnvollen Ausgestaltung legaler Einwanderung entwickeln und menschenwürdige Asylverfahren installieren, die einem einheitlichen europäischen Monitoring zugänglich sind.
Dr. Timo Tohidipur ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Institut für Öffentliches Recht der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
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Timo Tohidipur, Vorschläge zum Schengen-Raum: . In: Legal Tribune Online, 21.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4357 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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