In einem Hamburger Einkaufszentrum müssen 24 Videokameras demontiert werden, die Sicherheit der Besucher ist für die hanseatischen Datenschützer kein Argument. Das Verwaltungsgericht muss nun nicht nur die bekannte Entscheidung zwischen Freiheit und Sicherheit treffen, sondern womöglich schon die Parameter neu definieren: Um wessen Schutz geht es eigentlich? Von Dr. Moritz Karg.
Knapp ein Drittel der im Alstertal-Einkaufszentrum in der Hansestadt installierten Kameras muss die ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG (ECE) als Betreiberin entfernen, so lautet die Untersagungsverfügung des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) als zuständiger Datenschutzaufsichtsbehörde. Dabei kritisieren die Datenschützer nicht die Aufzeichnung von Eingängen zu Tiefgaragen, Kassenautomaten oder Fluchtwegen. Sie beanstanden vielmehr die Kameras in den Eingängen zu Toiletten und Umkleideräumen der Mitarbeiter, aber auch an den Eingängen des Alstertal-Einkaufszentrums und in den Gängen, in denen Besucher in Cafés sitzen.
Nun soll das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg entscheiden. Es hat zu beurteilen, ob das Unternehmen mit dem Betrieb der Kameras tatsächlich unzulässig in die Persönlichkeitsrechte der Kundinnen und Kunden eingreift und damit gegen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verstößt.
Die Entscheidung kann weit über den Hamburger Fall hinaus von Bedeutung sein. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben europäischer Marktführer auf dem Gebiet innerstädtischer Shopping-Center und betreibt europaweit 132 Einkaufscenter. Und auch die leiser gewordene Diskussion um die Videoüberwachung öffentlicher Räume, an welcher der alte Streit zwischen Freiheit und Sicherheit sich gern entzündet, dürfte dadurch wieder Fahrt aufnehmen. Die Datenschützer jedenfalls sind sich über die Ländergrenzen hinweg einig darüber, dass die Überwachung in den ECE-Centern zu weit geht.
Anspruch auf Freiheit von Beobachtung
Ausgangspunkt der Untersagung ist das verfassungsrechtlich garantierte Recht des Einzelnen, sich in der Öffentlichkeit unbeobachtet bewegen zu dürfen (BVerfG, Beschl. v. 23.02.2007, Az. 1 BvR 2368/06). Dieses Recht gilt allerdings nicht unbeschränkt. Vielmehr sind Eingriffe gemäß § 4 Abs. 1 BDSG zulässig, wenn eine Rechtsvorschrift sie erlaubt.
Die ECE berief sich zur Rechtfertigung der Videoüberwachung auf die Vorschrift des § 6b BDSG. Sie ermöglicht die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen, soweit sie zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist.
Das Schutzbedürfnis der Kundinnen und Kunden und die Dokumentation von Sicherheitsvorfällen sah die Aufsichtsbehörde aber ebenso wenig als "berechtigtes Interesse" in diesem Sinne an wie die Weitergabe der Informationen an Behörden zur Verfolgung von Straftaten.
Keine Videoüberwachung zum Schutz fremder Rechtsgüter
Die rechtliche, nun vom Verwaltungsgericht zu klärende Frage ist, ob das von der Betreiberin ECE angeführte Schutzbedürfnis Dritter die Videoüberwachung rechtfertigen kann. Die Verwaltungsrichter werden also grundsätzlich zu klären haben, wie der Begriff des "berechtigten Interesses" auszulegen ist. Bisher interpretierte die Praxis und Literatur diesen Tatbestand als jedes billigenswerte rechtliche oder wirtschaftliche Interesse - auch zugunsten Dritter.
Die hanseatische Aufsichtsbehörde engt den Begriff nun ein, ihre Abwägung fällt zugunsten des Schutzes der Betroffenen vor Überwachung aus. Sie hält eine Videoüberwachung nur dann für zulässig, wenn die Betreiber eigene Wirtschafts- und Rechtsgüter schützen wollen. Eine altruistische Videoüberwachung sei vom Gesetzeszweck nicht gedeckt.
Diese Auffassung ist konsequent. Die ECE übernimmt über die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten hinaus keine Garantenstellung für die individuelle Sicherheit der Besucherinnen und Besucher. Vergleichbares wird wohl auch für die im AEZ angesiedelten Geschäfte beziehungsweise deren Inhaber gelten.
Der Rechtfertigungstatbestand würde unverhältnismäßig ausgedehnt, wenn man auch den Schutz Dritter ausreichen ließe, um eine Überwachung zuzulassen. Unter dem Motto "Freiheit und Schutz durch Überwachung" ließen sich auch noch so abstruse Interessen als Rechtfertigung für die Überwachung des öffentlichen Raumes durch Private und den Staat anführen.
Speicherung allein reicht nicht für die "Wahrnehmung des Hausrechts"
Aber auch ein der Gesellschaft selbst zustehendes Recht überzeugte die hanseatischen Datenschützer nicht. Die ECE berief sich darauf, dass die Kameras erforderlich seien, um ihr Hausrecht durchzusetzen, indem sie zum Beispiel ausgesprochene Hausverbote umsetze.
Aber auch dieses Argument läuft ins Leere. Die Überwachung ist repressiver und nicht präventiver Natur, wenn die Aufnahmen wie im Alstertal-Einkaufszentrum gespeichert und nach 48 beziehungsweise 72 Stunden gelöscht werden, ohne dass eine Sichtung in Echtzeit erfolgt.
Ein Verstoß gegen Hausverbote kann also vielleicht im Nachhinein bemerkt werden. Seine bloße Dokumentation ermöglicht es aber nicht, präventiv tätig zu werden. Und die rein repressive Wirkung rechtfertigt keine Überwachung.
Die Untersagungsverfügung ist wegen der potenziell von der Entscheidung betroffenen Anzahl von Einkaufszentren und der dringend klärungsbedürftigen Rechtsfragen zur Videoüberwachung öffentlicher Räume von überregionaler Bedeutung. Für die ECE geht es um die Überwachung in den verbleibenden 131 Zentren - für unsere Gesellschaft darum, die Anonymität in der Öffentlichkeit zu bewahren.
Der Autor Dr. Moritz Karg ist Referent am Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein und dort zuständig für den Datenschutz in der Wirtschaft, insbesondere Telemedien, Medien und neue Technologien.
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Videoüberwachung öffentlicher Räume: Sorgenkind der Kommunen
Videoüberwachung: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2544 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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