Wenn Feuerwehrleute öffentlich den Gemeindebrandinspektor kritisieren, steht die Einsatzfähigkeit auf dem Spiel. Einen Rauswurf rechtfertigt das aber nicht ohne Weiteres, sagt der VGH Kassel. Die beiden hätten eine zweite Chance verdient.
Dürfen Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr öffentliche Kritik an ihren Vorgesetzten äußern? Inwieweit stehen die hierarchische Struktur und die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr dem entgegen? Und darf der Gemeindebrandinspektor die Feuerwehrmänner in solchen Fällen direkt ausschließen oder reicht etwa ein schriftlicher Verweis? Diese Fragen hatte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel zu klären.
Bei der Jahreshauptversammlung des privatrechtlichen Feuerwehrvereins einer mittelhessischen Gemeinde hatten zwei Feuerwehrleute in ihrer Funktion als Vorstandsmitglieder stellvertretend für ihre gesamte Einsatzabteilung öffentlichkeitswirksam Kritik am Bürgermeister und am Gemeindebrandinspektor als Leiter der Feuerwehr geübt. Letzteren forderten sie zum Rücktritt auf.
Seit geraumer Zeit gab es Differenzen hinsichtlich der Kompetenzen und Ausgestaltung der Ausrückeordnung der dem Verein nahestehenden, aber rechtlich getrennten öffentlich-rechtlichen Einsatzabteilung: Während zwei andere Ortsfeuerwehren auf einer unfallträchtigen Bundesstraße Einsätze fahren durften, blieb die nächstgelegene Ortsfeuerwehr außen vor. Nachdem interne Gespräche nicht zu einer Lösung führten, machten zwei Vereinsmitglieder den Streit öffentlich, die Lokalpresse berichtete ausführlich. Während des Konflikts kam es allerdings noch zu gemeinsamen Einsätzen der Ortsfeuerwehren, die professionell abgewickelt wurden.
Im Juni 2017 schloss die Gemeinde die beiden Feuerwehrmänner aus, die daraufhin vor dem Verwaltungsgericht (VG) Gießen klagten. Das VG befristete den Ausschluss bis zum 30.06.2020. Der VGH gab den Feuerwehrmännern nun jedoch vollumfänglich Recht und hob die beiden Ausschlüsse auf (Urt. v. 04.02.2020 Az. 5 A 858/19 und 5 A 724/19). Ab sofort können sie daher wieder am Übungs- und Einsatzdienst teilnehmen.
Dienstpflichten in 40 bzw. 20 Jahren stets erfüllt
Nach der gemeindlichen Feuerwehrsatzung kann ein Ausschluss erfolgen, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliegt. Der VGH sah in der öffentlichen Kritik und den Rücktrittsforderungen einen solchen wichtigen Grund, weil dadurch Verpflichtungen aus der Feuerwehrsatzung (kameradschaftliches Verhalten) in erheblichem Umfang verletzt worden seien.
Allerdings muss auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Mit der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Einrichtung "Freiwillige Feuerwehr" liegt zwar ein legitimer Zweck vor, denn der Gemeinde obliegt die Aufgabe des Brandschutzes, wozu sie eine leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen hat, die u. a. das Leben der Bevölkerung schützen soll. Der Ausschluss ist auch geeignet, weil er die Funktionsfähigkeit der Feuerwehr sicher- bzw. sogar wiederherstellt.
Allerdings hätte es gegenüber der betreffenden Verfehlung mildere Mittel mit Aussicht auf Erfolg gegeben, so der 5. Senat des VGH. Die Richter betonten, die Dienstpflichtverletzungen hätten sich erkennbar nicht auf das Einsatzverhalten bezogen, sondern erfolgten abseits dessen. Die Feuerwehrmänner seien ihren Dienstpflichten während ihrer knapp 40- bzw. 20-jährigen Zugehörigkeit stets unbestritten positiv nachgekommen.
Bei öffentlichen Äußerungen handele es sich zudem um steuerbares Verhalten, so dass angenommen werden könne, dass das künftige Verhalten schon durch die Androhung dauerhafter Folgen für die Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr positiv beeinflusst werden könne. Daher sei vorliegend die Verhängung einer feuerwehrrechtlichen Ordnungsmaßnahme (z. B. ein schriftlicher Verweis) erforderlich und angemessen.
Steuerbares Verhalten – bekannt aus dem Arbeitsrecht
Der Begriff des "steuerbaren Verhaltens" ist im rechtlichen Kontext vor allem aus dem Arbeitsrecht unter dem Schlagwort der vorherigen "Abmahnung" bekannt. Aber kann dies für Feuerwehrangehörige ebenso gelten? Oder muss, auch wenn es eine Art "besonderes Gewaltverhältnis" im Feuerwehrdienst nicht gibt, ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab angelegt werden, weil es sich bei der gemeindlichen Feuerwehr um eine streng hierarchische Organisationseinheit handelt, die im Einsatzfall funktionsfähig sein muss, damit sie Leben retten kann?
Diese Linie vertrat die Gemeinde und argumentierte mit Beamtenrechtsprechung aus den vorigen Jahrzehnten (BVerwG, Urt. v. 08.06.1983, Az. 1 D 112/82 und VGH Kassel, Urt. v. 17.01.1992, Az. 11 UE 1567/88), wonach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Entfernung aus dem Dienst nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommen dürfe. Schließlich stünde die uneingeschränkte Funktionsfähigkeit der Feuerwehr im Vordergrund, die im vorliegenden Falle nur mit einem Ausschluss der Feuerwehrleute zu erreichen gewesen sei.
Diesem Ansatz ist der VGH jedoch zu recht nicht gefolgt: In der frühen Beamtenrechtsprechung wurde keineswegs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dergestalt relativiert, dass es nicht in jedem Einzelfall einer Prüfung bedarf, ob sich die härteste Reaktion auf eine Pflichtverletzung (hier der Ausschluss) als verhältnismäßig darstellt. Dies liefe dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Verhältnismäßig evident zu wider.
Die Entscheidung ist vielmehr immer nach Schwere des Vergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Auszuschließenden zu treffen. Dabei sind auch alle be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls zu beachten. Bereits das OVG Magdeburg hatte im Juli 2019 in einem ähnlichen Fall entschieden, dass angesichts dieser Anforderungen eine eingeschränkte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, welchen die Gemeinde auf den Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr übertragen zu können meinte, nicht vereinbar wäre.
Bei schwerem Fehlverhalten auch sofortiger Ausschluss
Selbstredend ist nicht ausgeschlossen, dass bei einem schweren Fehlverhalten, durch welches das Vertrauen in den Betreffenden unwiederbringlich zerstört worden ist oder bei nachhaltigen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der Freiwilligen Feuerwehr aufgrund dauernder erheblicher Spannungen innerhalb der Feuerwehrgemeinschaft ein sofortiger Ausschluss die einzig angemessene Maßnahme darstellt. Dies ist jedoch vorliegend aufgrund des jahrzehntelangen tadellosen Einsatzdienstes selbst während der Konfliktlage, der relativ kurzen Spannungslage sowie der konkreten Umstände des Konfliktfalls (Kompetenzen der Einsatzabteilung gegenüber anderen Einsatzabteilungen) nicht der Fall.
Der VGH ließ die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zu. Die Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde seitens der Gemeinde dürften gen Null tendieren: Bei dem hier einschlägigen Recht handelt es sich um nicht revisibles Landesrecht, das einer Prüfung durch die Leipziger Richter nicht zugänglich ist, was diese bereits im Februar 2019 in einem Fall eines Feuerwehr-Ausschlusses aus Potsdam betonten (Beschl. v. 28.02.2019, Az. 2 B 81/18).
Am Ende ist das ein Erfolg für das Ehrenamt, auch wenn in der Gemeinde oft von einem "unnötigen Gerichtsstreit mit horrenden Kosten" die Rede war: Auch in hierarchisch organisierten Einheiten wie der Feuerwehr darf und muss es in einer pluralistischen Gesellschaft erlaubt sein, Denkanstöße zu setzen, abweichende Meinungen zu artikulieren und auch öffentliche Kritik zu üben. Denn das Ehrenamt ist in Zeiten wie diesen speziell in der Freiwilligen Feuerwehr, für deren Mitglieder Zusammengehörigkeit und Passion an oberster Stelle bei Ausübung ihres Hobbys stehen, für die Daseinsvorsorge in der Bundesrepublik unverzichtbar.
Maximilian Roth studentische Hilfskraft an der Professur für Öffentliches Recht und Rechtstheorie der Justus-Liebig-Universität in Gießen und arbeitet in einer Kommunalverwaltung.
Freiwillige Feuerwehr: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40233 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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