Auf Decken und mit zwei Meter Sicherheitsabstand: So kam eine legale Demo für Versammlungsfreiheit am Gründonnerstag in München zustande. Statt Totalverbot sprachen sich die VGH-Richter für Auflagen aus. Auch das BVerfG entschied in dem Fall.
Es ist eine sehr kleine Demonstration, die sich am Donnerstagnachmittag am Münchner Isarufer versammelt hat. Die Teilnehmer sitzen jeweils auf einer Decke. Dazwischen haben sie Seile gespannt, um anzuzeigen, dass sie den Sicherheitsabstand von rund zwei Metern einhalten. Bestes Frühsommerwetter, Sonnenbrillen, kein Mundschutz. Am Rand der Gruppe stehen ein paar Polizisten. Die Stimmung scheint entspannt, wie ein Foto zeigt, das LTO vorliegt. Dass die kleine Gruppe unter dem Motto "Versammlungsfreiheit auch während der Corona-Krise schützen" am Gründonnerstag in der Sonne legal demonstrieren konnte, verdankt sie einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, Beschl. v. 9.4.2020, Az. 20 CE 20.755).
Die Richter des 20. Senats hatten am Donnerstagnachmittag die Versammlungsbehörde verpflichtet, noch einmal neu über eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 S. 3 Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) für die Versammlung zu entscheiden. Und zwar unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des VGH.* Die Behörde erteilte schließlich grünes Licht für die Mini-Demo. Grundsätzlich sind Versammlungen in Bayern nach der Verordnung nämlich untersagt. Zuvor hatten die Versammlungsbehörde und auch das Verwaltungsgericht (VG) München am Donnerstagmorgen eine Ausnahmegenehmigung für die Versammlung abgelehnt.
VGH: Demo gegen Freiheitsbeschränkungen wegen Corona nur jetzt sinnvoll
In dem vierseitigen Beschluss, der LTO vorliegt, kritisieren die VGH-Richter vor allem, dass die Entscheidung des VG München "ausschließlich auf das Verhalten Dritter und auf infektionsschutzrechtliche Gefahren abstellt", nicht aber auf das Verhalten der Versammlungsteilnehmer selbst. Außerdem spreche für die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG), dass der Antragssteller "die erstrebte Versammlung mit der beabsichtigten Meinungsäußerung in sinnvoller Weise nur während der Geltungsdauer der BayIfSMV durchführen kann." Beantragt worden war von vornherein eine statische Versammlung für maximal zehn Personen. Die Richter gaben der Versammlungsbehörde für ihre Ermessensentscheidung mit auf den Weg zu prüfen, ob Infektionsgefahren nicht auch durch Abstandsregelungen, Umzäunungen sowie Polizeibegleitung begegnet werden könne: Auflagen im Einzelfall statt im Zweifel ein Totalverbot.
Am Tag der Versammlung kam es außerdem zu einer spannenden Rechtsschutzüberschneidung. Denn am Abend hatte auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und im Rahmen einer Folgenabwägung den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Das Interesse des Versammlungsanmelders müsse angesichts der drohenden Gesundheitsrisiken zurücktreten, so die Karlsruher Verfassungsrichter.
Zu dieser Überschneidung kam es, weil der BayVGH erst angedeutet haben soll, dass er nicht mehr rechtzeitig am Donnerstag entscheiden werde - es dann aber doch noch am Nachmittag getan hatte. Während sich die Gruppe bei ihrer Versammlung am Abend nach rund zwei Stunden schon wieder auflösen wollte, kam die Nachricht aus Karlsruhe damit zu spät.
Der Antragssteller hatte als Grund für eine Eilentscheidung des BVerfG vorgetragen, nach aller Voraussicht sei vom VGH am Tag der Versammlung nicht mehr rechtzeitig eine Entscheidung zu erlangen. Daraufhin entschieden sich die Karlsruher Richter, selbst eine Folgenabwägung vorzunehmen.
Demo-Anmelder: "Der Rechtstaat funktioniert auch in der Krise wie ein Uhrwerk"
"Sollte es, was die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens und das Verwaltungsgericht als konkret möglich angesehen haben, bei Durchführung der Versammlung an dem geplanten Versammlungsort am Isarufer zur Ansammlung einer Vielzahl von Menschen – spontanen Versammlungsteilnehmern, Schaulustigen oder Gegendemonstranten – auf engem Raum kommen, bestünde die konkrete Gefahr einer weiteren und nicht nachvollziehbaren Ausbreitung des Virus, die insbesondere zum Schutz einer Überlastung medizinischer Behandlungskapazitäten vermieden werden soll", heißt es in dem Karlsruher Beschluss zu der Sache.
Laut BVerfG wurde der Kammer auch "erst mit mehrstündiger Verzögerung" und erst eine Stunde vor Versammlungsbeginn die VG-Entscheidung aus München vorgelegt. Dazu führten die Verfassungsrichter aus, dass "in der Kürze der Zeit eine eingehendere Prüfung der Vertretbarkeit der behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Gefahrenprognose nicht möglich ist."
Der Anmelder der Demonstration, ein Münchner Rechtsanwalt für Wirtschaftsrecht, zeigte sich im Gespräch mit LTO beeindruckt vor allem von der Geschwindigkeit der Entscheidungen: "Der Rechtstaat funktioniert auch in der Krise wie ein Uhrwerk, es ist faszinierend, zu welchen Zeiten Behörden noch arbeiten und wie schnell sie die Entscheidung dann auch zu meinen Gunsten umgesetzt haben", so der Anwalt. "Alle waren sehr sachorientiert, die Stimmung in allen Telefonaten war immer gut." Und weiter: "Die Exekutive hat sehr genau die Entscheidung der Judikative befolgt."
Ein Wermutstropfen allerdings bleibt: "Ohne Kampf wird in Bayern derzeit keine Versammlung unter freiem Himmel genehmigt, obwohl § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV das ausdrücklich vorsieht", sagte der Anwalt. "Das stimmt mich zweifelnd."
Münster: "Die erste Versammlung mit Vermummungsgebot"
Es ist nicht die einzige Entscheidung, die in Deutschland Versammlungen ausnahmsweise auch in der Coronazeit wieder erlaubt. Am 6. April billigte etwa das VG Münster eine Anti-Atom-Demonstration. Auch hier galt: Ausnahme mit Sicherheitsauflagen statt Totalverbot. Die Auflagen für die Demonstration sehen u. a. vor, dass höchstens 15 Menschen teilnehmen können, die zusätzlich mindestens anderthalb Meter Sicherheitsabstand voneinander einzuhalten haben und zur Verringerung des Ansteckungsrisikos Gesichtsmasken tragen müssen. "Das ist wahrscheinlich die erste Versammlung mit Vermummungsgebot", sagte der Anmelder gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Auch das Verwaltungsgericht Schwerin hat am 11. April unter Auflagen zwei Demonstrationen gestattet, die der Oberbürgermeister der Stadt zuvor unter Hinweis auf die Corona-Verfügungen untersagt hatte.
Anm. d. Red. Inhalt der VGH-Entscheidung am 16.04.2020, 11:39 Uhr präzisiert.
BayVGH erlaubt Mini-Demo: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41313 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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