Vor mehr als vier Jahren eskalierte ein Polizeieinsatz wegen Stuttgart 21 im Schlossgarten. Ab Herbst wird nun das VG Stuttgart untersuchen, ob der Einsatz am "Schwarzen Donnerstag" rechtswidrig war. Die Kläger wollen auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als Zeugen laden.
Das Bahnprojekt Stuttgart 21 beschäftigt erneut die Justiz: Das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart verhandelt voraussichtlich ab Oktober über die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes am "Schwarzen Donnerstag". Dies teilte eine Sprecherin am Freitag mit und bestätigte damit einen Bericht der Stuttgarter Zeitung. Nach Angaben des Gerichts haben sieben Personen gegen das Land Baden-Württemberg als Dienstherr der Polizei geklagt. Bei den Klagen gehe es darum, den Ruf der Demonstranten zu rehabilitieren und solche Ereignisse künftig zu verhindern, sagte der Anwalt Frank-Ulrich Mann. Sollten die Kläger erfolgreich sein, würden ihre Chance auf Schmerzensgeld in etwaigen Zivilprozessen steigen.
Am 30. September 2010 war ein Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten aus dem Ruder gelaufen. Demonstranten versuchten damals, das Fällen von Bäumen für das Grundwassermanagement des Bahnprojektes Stuttgart 21 zu verhindern. Bei dem Einsatz am "Schwarzen Donnerstag" wurden laut Innenministerium rund 160 Menschen verletzt.
"Bis heute wird es immer so dargestellt, als wäre die Unfriedlichkeit von den Demonstranten ausgegangen, was nicht zutreffend ist", sagte Mann, der den verletzten Rentner Dietrich Wagner vertritt, der Deutschen Presse-Agentur. Zudem bestehe eine Wiederholungsgefahr bei Demonstrationen gegen Stuttgart 21. "Das sind die Gründe, warum festgestellt werden muss, wo die rechtsstaatlichen Grenzen sind, die auch die Polizei einhalten muss", sagte Mann.
Klagen bereits 2010 eingereicht worden
Die Kläger argumentieren, sie seien Teilnehmer einer friedlichen Versammlung gewesen. Sie werfen den Beamten vor, dass der ausgesprochene Platzverweis rechtswidrig gewesen sei, da die Stadt die Auflösung der Versammlung hätte zuvor anordnen müssen. Schon deswegen hätten sie keine Räumung androhen dürfen. Der Einsatz unter anderem der Wasserwerfer sei unverhältnismäßig gewesen. Das Innenministerium als oberster Dienstherr der Polizei wollte sich am Freitag nicht zu den Klagen äußern. "Wir werden einem Gericht nicht vorgreifen", sagte ein Sprecher.
Wie lange das Verfahren vor dem VG dauern wird, konnte die Sprecherin am Freitag nicht abschätzen. Alle Verfahrensbeteiligten seien aktuell aufgefordert, Personen zu nennen, die sie als Zeugen befragen wollen. Anwalt Mann kündigte bereits an, dass er unter anderem gern Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und den damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) laden lassen würde. Kretschmann sei damals immerhin während des Einsatzes im Schlossgarten gewesen, sagte Mann.
Die Klagen waren bereits im Jahr 2010 eingereicht worden. Allerdings hatte das Gericht die Verfahren ruhen lassen, weil es zunächst unter anderem das Ergebnis des Wasserwerferprozesses abwarten wollte. Das Verfahren endete im vergangenen Jahr mit Geldauflagen gegen zwei Polizeiführer, die wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt angeklagt gewesen waren.
Bessere Aussichten auf Schmerzensgeld
Klagen zur Rechtswidrigkeit von polizeilichen Einsätzen sind immer wieder am VG anhängig. So haben fünf Personen gegen den Platzverweis für linke Gegendemonstranten bei einer Demonstration von Neonazis in Göppingen im Jahr 2013 geklagt. Das Verfahren beginnt in der kommenden Woche. Im vergangenen Jahr hat das VG bereits einmal im Sinne der Stuttgart-21-Gegner entschieden. Damals hatten zwei Personen gegen die Platzverweise bei einem "Blockadefrühstück" am Bauzaun für Stuttgart 21 geklagt.
Sollten die sieben Kläger in dem Verfahren ab Herbst gewinnen, wären anschließende Klagen auf Schmerzensgeld vor dem Landgericht Stuttgart erfolgversprechender. Mann würde für Wagner nach aktuellem Stand rund 100.000 Euro fordern, wie er sagte. Wagner wurde beim Einsatz von Wasserwerfern an den Augen schwer verletzt, ein Foto von ihm wurde zum Sinnbild für die eskalierte Gewalt am "Schwarzen Donnerstag".
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Landtag, Uli Sckerl, sieht das Land ebenfalls in der Pflicht, sollte das Gericht die Rechtswidrigkeit feststellen. "Politisch wäre in einem solchen Fall aus meiner Sicht ein finanzielles Entgegenkommen des Landes gegenüber den Verletzten geboten", sagte er.
dpa/acr/LTO-Redaktion
Eskalierte Demonstration: . In: Legal Tribune Online, 10.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15207 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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