Eine Mutter schlägt ihre Kinder vor laufender Kamera. Wunderbar für die Produzenten der Sendung, die die Szene mehrfach wiederholen – getrieben von pädagogischen Zielen oder kommerziellen Interessen? Letzteres, meint das VG Hannover und bestätigt die staatliche Jugendmedienschutz-Aufsicht. Die anderslautende Einschätzung der privaten Selbstkontrolle steht dem nicht entgegen, erklärt Philip Lüghausen.
Die Kommission für den Jugendschutz in den Medien (KJM) ist die zentrale Aufsichtsstelle der Länder für den Jugendschutz im privaten Rundfunk und im Internet. Sie prüft und bewertet das deutsche Medienangebot anhand der Vorgaben des Jugendmediendienstestaatsvertrags (JMStV) und setzt so einen wesentlichen Beitrag, den Jugendmedienschutz in der Praxis durchzusetzen.
Die Spielregeln dafür finden sich vor allem in § 4 JMStV. Danach sind unter anderem solche Angebote unzulässig, die gegen die Menschenwürde verstoßen, indem sie Darstellungen von Menschen enthalten, die "schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, wobei ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt".
Der nationale Jugendschutz wird aber nicht allein durch die KJM überwacht, die als behördlicher "Dienstleister" für die Landesmedienanstalten auftritt und die Ahndung von Rechtsverletzung vorbereitet. Daneben steht die sogenannte Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), die eine vereinsrechtlich organisierte Selbstkontrolleinrichtung der privaten Rundfunkanbieter ist. Beide können bei ihrer Prüfung durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wie eine Episode der zwischenzeitlich eingestellten RTL-Sendung "Die Super Nanny" zeigte, die nun vor dem Verwaltungsgericht (VG) Hannover landete. (In Niedersachsen landete der Fall, weil RTL 1984 die Sendelizenz dort beantragte.)
Menschenwürde-Verstoß: Leidvolle Situation der Kinder wird kommerziell ausgenutzt
Da RTL in der Vergangenheit schon einmal wegen des Formats "Die Super Nanny" eine Beanstandung der KJM kassiert hatte, entschied sich der Sender, einzelne Episoden vorab durch die FSF überprüfen zu lassen. Die kam anders als anschließend die KJM und die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) zu dem Ergebnis, dass bei der konkreten Episode kein Verstoß gegen die Menschenwürde erkennbar sei.
Inhaltlich ging es – entsprechend dem Konzept der Sendung – um eine alleinerziehende Mutter, die ihre verängstigten und weinenden Kinder im Alter von damals drei, vier und sieben Jahren bedroht, beschimpft und schlägt. Die Gewalt ist sowohl in einem Teaser als auch während der Sendung mehrfach wiederholt worden.
Die KJM beanstandete daran, dass "eine so reißerische Darstellung primär auf den Voyeurismus der Zuschauer zielt. Die Kinder werden in für sie leidvollen Situationen für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert, zu Objekten der Zurschaustellung herabgewürdigt und in ihrem sozialen Achtungsanspruch verletzt." Das aber verstoße gegen die Menschenwürde.
Kein Erfolg vor dem VG
Mit der Entscheidung der staatlichen Kontrollorgane wollte sich RTL nicht abfinden und klagte dagegen, zumal dem Sender auch aufgegeben wurde, eine Ausstrahlung der Episode künftig zu unterlassen. Dabei widersprach das Unternehmen nicht nur der Auffassung, dass ein Verstoß gegen die Menschenwürde vorläge, sondern berief sich auch darauf, dass sich die KJM schon nicht über die abweichende Entscheidung der FSF hätte hinwegsetzen dürfen. Die Vorab-Prüfung entfalte eine Sperrwirkung, die eine nachträgliche abweichende Entscheidung durch den Hoheitsträger verbiete.
Dem folgten die Hannoveraner Richter nicht. Auch sie sahen in der beanstandeten Sendung einen Verstoß gegen die Menschenwürde: Bei der "Wiedergabe des tatsächlichen Geschehens" habe die erziehungsberechtigte Mutter gegen das gesetzlich garantierte Recht ihrer Kinder auf gewaltfreie Erziehung sowie das Verbot körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und anderer entwürdigender Maßnahmen verstoßen. Die bis zu viermalige Darstellung wiederkehrender Szenen weinender Kinder folge deshalb nicht mehr einem aufklärenden Anspruch, den RTL stets beteuerte (Urt. v. 08.07.2014, Az. 7 A 4679/12).
Keine Sperrwirkung wenn Menschenwürde betroffen
Außerdem durften sich KJM und NLM über die entgegengesetzte Entscheidung der FSF hinwegsetzen. Eine Sperrwirkung für nachträgliche Beanstandungen entfalte die Einschätzung des privaten Kontrollorgans nämlich jedenfalls dann nicht, wenn eine Verletzung der Menschenwürde im Raume steht, so das VG Hannover. Dies folge aus dem hohen Rang der Menschenwürde als oberstem Verfassungswert in Art. 1 des Grundgesetzes (GG). In einem solchen Fall muss nach Auffassung der Richter ein Korrektiv gegenüber den Entscheidungen der FSF bestehen können.
Nichtsdestotrotz haben die Richter die Berufung zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen. Die von RTL aufgeworfene Frage, ob eine vorherige Freigabe einer Sendung durch die FSF tatsächlich eine Sperrwirkung entfalten kann, sei von grundsätzlicher Bedeutung.
Wenn RTL mit dieser Argumentation punkten kann, wäre das für den Jugendschutz im Fernsehen keine gute Sache. Eine Sperrwirkung hätte nämlich zur Folge, dass Entscheidungen der freiwilligen Selbstkontrolle nicht mehr justiziabel wären. Letztendlich könnten Sender eine staatliche Kontrolle also dadurch unterwandern, dass sie Sendungen bei der privaten FSF vorab freigeben lassen.
Der Autor Dr. Philip Lüghausen ist Rechtsanwalt in der Düsseldorfer Pharma- und Wirtschaftsrechtssozietät Kindermann Lüghausen Rechtsanwälte.
RTL-"Super Nanny" verletzt Menschenwürde: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12492 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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