Beim VG Berlin will ein mutmaßlicher IS-Unterstützer per Klage erreichen, dass die Bundesregierung ihn aus der Haft in Syrien zurückholt. Die Rückhol-Klage ist nicht die erste beim VG Berlin, und auch der EGMR ist mit der Rückholpflicht befasst.
Ein mutmaßlicher IS-Unterstützer, der in Nordsyrien in kurdischer Haft sitzt, will die Bundesrepublik per Klage zwingen, ihn zurück nach Deutschland zu holen. Eine entsprechende Klage des deutschen Staatsbürgers ist beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin eingegangen, wie ein Sprecher des Gerichts gegenüber LTO bestätigte. Das Verfahren trägt das Aktenzeichen VG 34 K 272/19. Weitere Angaben zum Verfahren könne man indes noch nicht machen.
Wie aus einer Erklärung der Anwältin Seda Basay-Yildiz und des Anwalts Ali Aydin hervorgeht, die LTO vorliegt, soll dem Vater des derzeit in Syrien inhaftierten Fabian G. im Jahr 2016 mitgeteilt worden sein, dass sein Sohn verstorben sei. Zuvor soll der Vater mit den deutschen Sicherheitsbehörden kooperiert haben, um eine Rückführung zu erreichen. Nachdem der Vater einen Hinweis darauf bekommen hatte, dass sein Sohn noch am Leben ist, sei er auf eigene Faust nach Nordsyrien gereist, um seinen Sohn zu finden.
Er durfte vor Ort seinen Sohn zwar nicht sprechen, ihm sei von der Gefängnisverwaltung jedoch gestattet worden, seinen Sohn aus der Entfernung zu sehen. Offenbar hat der Vater dabei auch eine entsprechende Vollmacht seines Sohnes erhalten. Nach Informationen der Welt war Fabian G. mit seinem jüngeren Bruder im Oktober 2014 von Kassel nach Syrien ausgereist, um sich dem IS anzuschließen.
Rückholpflicht aus dem Grundgesetz, wenn es um Leben und Tod geht?
Die Klage stützt sich darauf, dass die Bundesregierung verfassungsrechtlich verpflichtet sei, Fabian G. nach Deutschland zurückzubringen. Die Pflicht zur Rückholung des Klägers ergebe sich jedenfalls aus einem Schutz- und Treueverhältnis, welches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Staatsangehörigen bestehe. Das Bundesverfassungsgericht habe, so die Klageschrift, in einer Staatsangehörigkeits-Entscheidung aus 1974 entschieden: "Unmittelbar aus der Grundbeziehung der Staatsangehörigkeit erwächst ferner der nur den Deutschen zustehende Anspruch auf Schutz seitens der Bundesrepublik gegenüber dem Ausland […]". Mit dieser Entscheidung sei ein ungeschriebener Verfassungsgrundsatz erkennbar, der sich in Form eines Schutz- und Treueverhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Staatsangehörigen manifestiere - und auch im Ausland Gültigkeit hat.
Außerdem begründete die Schutzpflichten-Dimension der Grundrechte eine Pflicht des Staates zum Tätigwerden auch bei Fällen im Ausland. Zwar bestünde ein Ermessensspielraum darüber, wie die Staatsgewalt dieser Pflicht nachkomme. Dieser verenge sich aber, wenn es um die Pflicht zum Schutz des menschlichen Lebens gehe.
Fabian G. sollen die kurdischen Sicherheitskräfte die Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorwerfen. In Nordsyrien könne er aber nicht vor Gericht gestellt werden, weil es an einer Gerichtsbarkeit dort fehle, so die Argumentation der Anwälte. Das habe auch die Bundesregierung bestätigt.
Deshalb gehen Rechtsanwältin Basay-Yildiz und Anwalt Aydin aus Frankfurt davon aus, dass ihr Mandant an irakische oder syrische Einheiten überstellt werden könnte – wodurch ihm letztlich die Todesstrafe drohen könnte. "Das Ermessen der Bundesregierung ist hier auf null reduziert, es besteht also eine Rechtspflicht zum Handeln, da das Leben unseres Mandanten in Gefahr ist", so die Frankfurter Anwälte.
Weitere Fälle beim VG Berlin und beim EGMR
Die Bundesregierung weigert sich bislang grundsätzlich, Staatsbürger zurückzuholen, die in das Gebiet des Islamischen Staates ausgereist sind. In Einzelfällen werden nun Kinder dieser Menschen nach Deutschland zurückgeholt, beim VG Berlin hatten die Großeltern von zwei Kindern auf Rückholung geklagt. Wo die Ausgereisten juristisch zur Verantwortung gezogen werden sollen, ist politisch umstritten. Die Diskussion reicht von der Idee, ein internationales Tribunal vor Ort einzuberufen, bis hin zum Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit, um einer möglichen Rückholpflicht gleichsam die Grundlage zu entziehen.
Beim VG Berlin ist bereits eine weitere Klage auf Rückholung eines mutmaßlichen IS-Kämpfers anhängig, der im Irak in kurdischer Haft sitzt. Auch diese wird von den beiden Frankfurter Anwälten begleitet.
Ebenso hatten Anfang Mai französische Anwälte beim Europäischen Gerichtshof (EGMR) eine Beschwerde eingereicht. Sie wollen erreichen, dass Frankreich die Kinder von Frauen, die beim IS gewesen sein sollen, zurückholt. Das Verfahren ist nach Informationen von LTO noch anhängig. Wann darüber aber entschieden wird, ist noch unklar.
Deutscher in Syrien verklagt Bundesregierung: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36095 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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