Vor einem Jahr hat die GroKo den Weg für den massenhaften Einsatz von Überwachungsprogrammen durch Strafermittler freigemacht. Bürgerrechtler hoffen nun, dass das BVerfG den Trojanereinsatz stoppt, mindestens aber beschränkt.
Ein Jahr nach der Legalisierung des Einsatzes sogenannter Staatstrojaner in der Verbrechensbekämpfung hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschwerde gegen einen massenhaften Einsatz von Spähsoftware eingelegt. Sie richtet sich gegen die am 24. August 2017 eingeführte Änderung der Strafprozessordung (StPO), wonach Ermittlungsbehörden Spähsoftware (Trojaner) auf den Rechnern Verdächtiger oder unter bestimmten Voraussetzungen auch unbeteiligter Dritter platzieren können.
Zu den fünf Beschwerdeführern zählen auch der in Deutschland im Exil lebende türkische Journalist Can Dündar, der ARD-Dopingexperte und Investigativjournalist Hajo Seppelt und der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Prozessbevollmächtigter und Verfasser der Beschwerdeschrift ist der bekannte Hamburger Strafverteidiger Dr. h.c. Gerhard Strate.
Anfang August hatten bereits Datenschützer um den Verein Digitalcourage Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Außerdem klagen FDP-Politiker gegen den Staatstrojaner. Strate betonte, dass die Beschwerden nicht in Konkurrenz miteinander stünden, sondern bei ähnlicher Stoßrichtung unterschiedliche Schwerpunkte setzten. In der Verfassungsbeschwerde, die die GFF am Freitag gemeinsam mit dem Deutschen Anwaltverein (DAV) in Berlin vorstellte, werde der Fokus auf das Thema IT-Sicherheit gelegt.
Cybersicherheit weltweit beeinträchtigt
Seit Sommer 2017 dürfen Ermittler zur Aufklärung zahlreicher Straftaten nicht nur Telefone abhören, sondern auch Informationen auf Computern und Smartphones mitlesen. Dafür dürfen sie unbemerkt vom Nutzer eine Spionage-Software installieren. Vorher waren solche Maßnahmen nur zur Terrorabwehr erlaubt. In diesem Jahr könnte nach Schätzungen des GFF-Vorsitzenden Dr. Ulf Buermeyer theoretisch in 30.000 bis 40.000 Fällen ein Staatstrojaner
installiert werden. Buermeyer bezieht sich dabei auf vorhandene Zahlen zur Telefonüberwachung. In allen diesen Fällen "dürfte jetzt auch der Staatstrojaner eingesetzt werden". Laut ihm habe der Gesetzgeber mit der StPO-Änderung die Schleusen geöffnet: "Trojaner marsch!"
Den Bürgerrechtlern zufolge beeinträchtige der Trojanereinsatz die Cybersicherheit weltweit. Denn um Staatstrojaner einzuschleusen, dürften die Behörden auch Sicherheitslücken in Soft- und Hardware ausnutzen, die den jeweiligen Herstellern noch unbekannt sind. Das schaffe Anreize, ein "Arsenal von Sicherheitslücken" aufzubauen, um im Fall des Falles eine Zielperson angreifen zu können. Die Befürchtung der Bürgerrechtler: Jede einzelne Lücke in einer solchen elektronischen Waffenkammer könne nicht nur von Behörden für Hacks von Handys und Computern ausgenutzt werden, sondern auch von Kriminellen. So könne das staatliche Arsenal selbst zum Ziel von Hackerangriffen werden. "Damit verletzt die Bundesregierung ihre staatliche Schutzpflicht. Der Staat muss dem Hersteller noch unbekannte Sicherheitslücken unverzüglich melden, damit sie geschlossen werden können", sagte Buermeyer.
Die entsprechende Schutzpflicht des Staates ergebe sich aus dem sogenannten Computer- bzw. IT-Grundrecht, das die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gewährleistet. Dieses hatte das BVerfG in einem Urteil aus dem Jahr 2008 entwickelt. Strafverteidiger Strate sprach von einer massiven Pflichtverletzung des Staates, der für seinen Trojanereinsatz IT-Sicherheitslücken bewusst offen lasse.
Vorwurf: Deutschland ermöglicht Hackerangriffe
"Die Online-Durchsuchung ist der schwerste Eingriff in die Privatsphäre im Ermittlungsverfahren, den es je gegeben hat. Sie darf, wenn überhaupt, nur in ganz besonderen Ausnahmefällen eingesetzt werden", sagte Buermeyer. Mithilfe der Trojaner könnten die staatlichen Überwacher einerseits die elektronische Kommunikation der Betroffenen live mitverfolgen (sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung), andererseits Rechner und Handys vollständig durchsuchen (sogenannte Online -Durchsuchung). Das gefährde auch die Vertrauensbeziehung zwischen Strafverteidigern und ihren Mandanten; unter den Beschwerdeführern sind deshalb auch DAV-Mitglied Rechtsanwalt Stefan Conen sowie dessen Mitarbeiterin Sina Mika.
Die Beschwerdeführer kritisieren, dass die Paragrafen 100a und 100b der StPO zwar lange Straftatenkataloge enthielten, aber keine Vorkehrungen dafür träfen, dass die Maßnahmen wirklich nur im Einzelfall bei schweren Straftaten zum Einsatz kommen. Conen, der im Strafrechtsausschuss des DAV sitzt, erläuterte, wie es bei Strafverteidigern jetzt schon üblich sei, vor Beratungen mit Mandanten die Smartphones aus den Räumlichkeiten zu schaffen. "Eine sichere Kommunikation mit Mandanten ist nicht mehr gewährleistet", so Conen.
Die Beschwerdeführer Dündar, Seppelt und von Notz sind aufgrund ihrer Tätigkeiten schon wiederholt Ziel von Hackerangriffen gewesen und nach Angaben der GFF stark gefährdet. Dündar bekräftigte in Berlin die Notwendigkeit der Verfassungsbeschwerde: Deutschland mache es mit seiner Regelung auch für die türkische Regierung leicht, Telefone von Oppositionellen zu hacken. "Unsere Beschwerdeführer sind besonders darauf angewiesen, dass der Staat seine Schutzpflicht aus dem Computergrundrecht erfüllt", sagte Buermeyer. "Aber auch die Bevölkerung insgesamt hängt von einem gewissenhaften staatlichen Umgang mit Sicherheitslücken ab." Buermeyer erinnerte an die Erpresser-Software WannaCry, die im Jahr 2017 hohe Schäden verursacht und u.a. das britische Krankenhaussystem lahmgelegt hatte.
Die Verfassungsbeschwerden gegen den Staatstrojaner werden in Karlsruhe vom 2.Senat des BVerfG bearbeitet. Strafverteidiger Strate gab sich im Hinblick auf die Erfolgsaussichten optimistisch. Auch wenn das IT-Grundrecht seinerzeit im 1.Senat entwickelt worden sei, sei es auch dem 2.Senat nicht unbekannt, so Strate. "Die acht Richter des 2.Senats sind recht ausgeschlafen", bemerkte er. Strate ist spezialisiert auf Verfassungsbeschwerden und gilt auch als Experte für Revisionsrecht. Er übernahm 2012 das Wiederaufnahmeverfahren für Gustl Mollath, der aufgrund mehrerer psychiatrischer Gutachten zu Unrecht siebeneinhalb Jahre in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht worden war. Strate gewann das Verfahren, Mollath wurde in allen Punkten der Anklage freigesprochen.
Die vor drei Jahren gegründete GFF koordiniert und finanziert gerichtliche Verfahren, wenn sie Grund- und Menschenrechte etwa aufgrund staatlicher Eingriffe verletzt sieht. Sie koordiniert auch eine Klage mehrerer Anwälte gegen die BRAK für ein sicheres besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA).
Mit Material von dpa
Weitere Verfassungsbeschwerde gegen den Staatstrojaner: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30553 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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