Bis zum 25. Dezember muss Deutschland die EU-Verbandsklagerichtlinie umsetzen. Ein entsprechender Entwurf des BMJ liegt seit September vor. Aber eine Ressortabstimmung kommt nicht zustande, weil FDP und Grüne sich streiten.
Eigentlich müsste Deutschland bis zum 25. Dezember dieses Jahres die Europäischen Verbandsklagerichtlinie (2020/1828) umsetzten – nicht zuletzt auch deshalb, weil die entsprechenden Vorschriften spätestens am 25. Juni 2023 in Kraft treten müssen. Von Deutschland gefordert wird dabei u.a. die Einführung einer neuen Abhilfeklage, die – anders als die bisherige Musterfeststellungsklage – nicht auf bloße Feststellung, sondern auf Leistung gerichtet ist. Qualifizierte Verbände und Verbraucherzentralen sollen mit dieser Klagemöglichkeit die Ansprüche von Verbraucher:innen und kleinen Unternehmen bündeln, um dann von den verklagten Unternehmen Schadensersatz oder sonstige Abhilfe zu fordern.
Doch weil Grüne und das FDP-geführte Bundesjustizministerium (BMJ) sich über einen von Marco Buschmann Ende September vorgelegten Referentenentwurf streiten, wird auf jeden Fall schon mal die Dezember-Frist gerissen. Und ob die Vorschriften bis Ende Juni in Kraft getreten sein werden, darf ebenfalls bezweifelt werden. Deutschland droht im Zweifel ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.
BMJ-Entwurf zu unternehmerfreundlich?
An Buschmanns Entwurf gibt es diverse Kritikpunkte, die es den Grünen bzw. dem grünen Verbraucherressort (BMUV) bislang unmöglich machen, dem Entwurf in seiner bisherigen Fassung zuzustimmen. Im Grundsatz geht es um die Frage: Wie verbraucherfreundlich soll das künftige "Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG)" sein? Die Grünen werfen Buschmanns Haus vor, einen zu unternehmensfreundlichen Entwurf vorgelegt zu haben, der einem umfassenden Verbraucherschutz nicht gerecht werde. Das BMJ verteidigt die Regelungen gegenüber LTO unterdessen als "sachgerechten Ausgleich zwischen Verbraucher- und Unternehmerinteressen".
Strittig ist vor allem der Zeitpunkt, zu dem sich Verbraucher:innen für die neue Verbandsklage anmelden müssen. Der Entwurf sieht wie bei der Musterfeststellungsklage ein Opt-In System vor. Danach müssen Verbraucher:innen ihre Ansprüche spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung zum Verbandsklageregister anmelden. Damit berücksichtigt Buschmanns Entwurf das Bedürfnis potenziell beklagter Unternehmen nach frühzeitiger Rechtssicherheit. Zu Beginn der Hauptverhandlung sollen sie einschätzen können, was auf sie zukommt, wie auch das Anwaltsblatt des Deutschen Anwaltvereins DAV kürzlich erläuterte.
Grüne für spätes Opt-In
Da die EU-Richtlinie einen Beitritt aber selbst nach einem Abhilfeurteil erlaubt, stößt Buschmanns Lösung bei den Grünen auf Widerstand. In der Bundestagsfraktion ist der ehemalige Hamburger Justizsenator Till Steffen für das Thema zuständig. Steffen glaubt, dass ein frühzeitiges Opt-In - wie im BMJ-Entwurf vorgesehen - dazu führt, dass das neue Instrument bei den Verbrauchern "leer" läuft: "Für geschädigte Verbraucher:innen ist es kompliziert und unsicher, sich über ein Klageregister einem Verfahren anzuschließen, dessen Verlauf sie nicht einschätzen können. Eine frühe verbindliche Anmeldung für ein Verfahren mit ungewissem Ausgang wird die Anzahl der Individualklagen in die Höhe treiben. Insbesondere rechtsschutzversicherte Verbraucher:innen werden sich bei einem frühen Opt-In für eine Einzelklage entscheiden", so der Jurist. Könnten sich demgegenüber Verbraucher:innen noch während des Verfahrens oder sogar noch nach einem Urteil anmelden, würden deutlich mehr Geschädigte erreicht. Schließlich, so der Abgeordnete, müsse die eingereichte Verbandsklage ja auch erstmal öffentlichkeitswirksam werden.
Wirtschaftsanwälte, die in erster Linie größere Unternehmen vertreten, halten Buschmanns Lösung unterdessen für richtig. Der grüne Ansatz hätte zur Folge, dass sich Verbraucher einer Kollektivklage nur anschließen würden, wenn diese ein für sie günstiges Ergebnis hat bzw. die Prognose günstig erscheine, kritisieren gegenüber LTO etwa Dr. Henner Schläfke und Dr. Tobias B. Lühmann von der Kanzlei Noerr. "Ist dies nicht der Fall, können sie selbst Klage erheben und ihr Glück bei einem anderen Gericht versuchen. Das wird von Wirtschaftsseite mit Verweis auf den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit zu Recht abgelehnt."
BMJ verweist auf "bewährte Regelungen" der Musterfeststellungsklage
Das BMJ verweist unterdessen auf die bewährte Praxis: "Das An- und Abmeldeverfahren und die dafür vorgesehenen Fristen entsprechen den in der Praxis bereits bewährten Regelungen zur Musterfeststellungsklage. Durch die Anmeldung wissen das Gericht und die Parteien, welche Einzelansprüche der Klage zugrunde liegen und, solange die Klage rechtshängig ist, nicht verjähren können."
Apropos Verjährung: Auch über diesen Aspekt wird zwischen Grünen und dem BMJ heftig gestritten. Buschmanns Entwurf sieht vor, dass eine hemmende Verjährungswirkung nur für diejenigen eintritt, die sich frühzeitig für eine Klage entschieden haben. Auch dieser Ansatz entspricht der Rechtslage bei der Musterfeststellungsklage.
MdB Steffen kritisiert dies als zu eng und verweist auf den Wortlaut der EU-Richtlinie: Danach müsse die Verjährungshemmung für alle "Betroffenen" ab Klageerhebung gelten. "Ist 'betroffen' etwa nur, wer sich zum Klageregister angemeldet hat? Nach dem deutschen Sprachgebrauch wäre 'betroffen' wohl eher, wer tatsächlich das fehlerhafte Produkt gekauft oder die rechtswidrigen AGB unterschrieben hat und nicht, wer sich zur Klage angemeldet hat", so Steffen. Eine so verstandene, erweiterte Verjährungshemmung sei dem deutschen Recht im Übrigen auch nicht fremd: "Im Kartellrecht gibt es sie bereits."
Welche Verbände dürfen klagen?
Ein weiterer Dissens zwischen Grünen und FDP-geführtem BMJ betrifft die Frage, welche Verbände klagebefugt sein sollen. Der Entwurf sieht u.a. vor, dass nur mitgliederstarke Verbände klagen können, die zudem in dem betreffenden Metier bereits fünf Jahre aktiv sind. Nach Ansicht der Grünen würden dadurch kleinere Vereine von dem neuen Instrument ausgeschlossen, die sich erst wesentlich kürzer und möglicherweise erst mit einer aktuell aufgekommenen Problematik schwerpunktmäßig befassen. Rechtspolitiker Steffen erläutert: "Wir müssen sicherstellen, dass die Voraussetzungen für inländische Verbände nicht schärfer sind als für ausländische. Denn für grenzüberschreitende Klagen sind die Vorgaben für das Klageregister vollharmonisiert. Eine Inländerdiskriminierung der deutschen klagebefugten Verbände würde auch den Justizstandort Deutschland schwächen."
Aber auch von der "wirtschaftsfreundlichen" Seite kommt zum Punkt Klagebefugnis Kritik, weil laut BMJ-Vorschlag sich auch kleine Unternehmen einer Verbandsklage anschließen können sollen. Der Entwurf spricht von kleinen Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von nicht mehr als 10 Millionen Euro. Ihnen soll der Anschluss aber nur möglich sein, wenn die Abhilfeklage von einem Verbraucherverband erhoben wird, aber kleine Unternehmen gleichermaßen von dem Klagegegenstand betroffen sind. Die Wirtschaftsanwälte der Kanzlei Noerr sehen hier "Missbrauchspotenzial": Da die Ansprüche kleiner Unternehmen nicht zwingend eigene (originäre) sein müssten, könnten die Anforderungen an "kleine Unternehmen" leicht umgegangen werden. "So könnte bspw. ein Konkurrent des verklagten Unternehmens, der selbst zu groß ist, um als 'kleines Unternehmen' zu gelten, seine Ansprüche im Wege der Abtretung oder Ausgliederungen an kleinere Tochterunternehmen übertragen, die die Ansprüche anschließend anmelden."
Ob innerhalb der Bundesregierung auch mit Blick auf ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren zeitnah eine Verständigung erzielt wird, bleibt abzuwarten.
Droht Deutschland ein EU-Vertragsverletzungsverfahren?: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50553 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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