Von unzulässigen Fragen in Bewerbungsgesprächen, diskriminierenden Beförderungsentscheidungen über die potenzielle Benachteiligung bei Sozialauswahl und Abfindungsansprüchen: Die Antidiskriminierung spielt seit Jahren im Arbeitsrecht eine große Rolle. Jetzt ist das Urlaubsrecht dran. Jüngere Arbeitnehmer können sich freuen, erklärt Jan Tibor Lelley.
Für viele ist es die schönste Zeit des Jahres. Der Urlaub, ob allein oder mit Familie oder Freunden, das Ausspannen und die Seele baumeln lassen an nahen und fernen Zielen im In- und Ausland.
Arbeitsrechtlich spiegelt sich dieser soziale Befund wider in der Tatsache, dass neben der einseitigen Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung wohl kein anderer Bereich von Arbeitsverhältnissen so umstritten ist wie das Urlaubsrecht.
Ein eigener Senat, der 9. des Bundesarbeitsgerichts (BAG), trägt den Spitznamen 'Urlaubssenat'. Er befasst sich mit den Rechtsfragen rund um den Urlaubsanspruch im Arbeitsverhältnis.
Begehrter Urlaubsanspruch
Und Urlaub ist geldwert. Das wusste auch schon Wilhelm Busch. Von ihm ist der Aphorismus überliefert: Froh schlägt das Herz im Reisekittel,vorausgesetzt, man hat die Mittel.
Das kommt auch in der gesetzlichen Regelung zur Urlaubsabgeltung zum Ausdruck. Begehrliche Blicke der Arbeitnehmer richten sich daher, ob zu Recht oder zu Unrecht, nicht nur auf das Entgelt der Kollegen. Auch der Urlaubsanspruch wird von denen, die weniger haben als andere, zuweilen als ungerecht empfunden. Teilweise ergeben sich solche vermeintlichen oder tatsächlichen Ungerechtigkeiten aber nicht nur aus Arbeitsverträgen.
Auch Tarifverträge können hier mit zweierlei Maß messen. Dort erhält dann ein Arbeitnehmer mit steigendem Lebensalter einen immer höheren kalenderjährlichen Urlaubsanspruch (zum Beispiel 30 Urlaubstage bis zum vollendeten 20. Lebensjahr und hoch bis zu 36 Urlaubstagen nach dem vollendeten 30. Lebensjahr).
Nicht mehr Erholung für Ü-30 bis Ü-40
Das BAG hält aber eine solche altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer für unzulässige Altersdiskriminierung. Mit Urteil vom Dienstag (20.03.2012, Az. 9 AZR 529/10) entschieden die höchsten Arbeitsrichter, dass die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters ist (§ 7 Abs. 1 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz i.V.m. § 1 AGG).
Die Ungleichbehandlung kann nach Ansicht der Erfurter Richter auch nicht gerechtfertigt werden. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg als Vorinstanz hatte in seinem Urteil vom 24. März 2010 (Az. 20 Sa 2058/09) noch u.a. § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG als legitimen Rechtfertigungsgrund für die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ausreichen lassen. Die Vorschrift erlaubt die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters wegen eines objektiv und angemessenen legitimen Ziels.
Der 9. Senat des BAG sieht das jetzt genau umgekehrt. Die tarifliche Regelung benachteiligt nicht nur Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und stellt damit eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters dar. Der Urlaubssenat erkennt die Staffelung der freien Zeit auch nicht deshalb als legitimes Ziel an, weil ältere Menschen eventuell erholungsbedürftiger sein könnten. Hier liest man sehr apodiktisch in der Pressemitteilung, ein solches gesteigertes Erholungsbedürfnis für Menschen ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr "ließe sich auch kaum begründen".
Rückwirkende Ansprüche können teuer werden für den Öffentlichen Dienst
Die rechtswidrige Diskriminierung will das BAG durch eine Anpassung "nach oben" beseitigen. Die Erfurter Richter erhöhen den Urlaubsanspruch im Kalenderjahr auf 30 Arbeitstage. Eine solche Anpassung nach oben ist zwar bei rechtswidriger Ungleichbehandlung im Arbeitsrecht so ungewöhnlich nicht und zum Beispiel schon seit langem bei Verstößen gegen den Arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt.
Bei der Vermehrung von Urlaubsansprüchen allerdings kann sie fatale Folgen haben. Denn der Senat lässt offen, ob es hier sogar auch zu rückwirkenden Ansprüchen kommen könnte. Für die Rückwirkung spricht der Zeitpunkt der Entscheidung. Mit seinem Urteil vom Dienstag entschied das BAG nämlich über Urlaubsansprüche der klagenden Arbeitnehmerin für die Jahre 2008 und 2009.
Kommt es zur Rückwirkung, könnte es ungemütlich werden für die öffentlichen Arbeitgeber. Denn im öffentlichen Dienst arbeiten nicht nur ca. 2,7 Millionen Menschen. Nach Gewerkschaftsangaben sind von diesen Beschäftigten auch ca. 850.000 unter 40 Jahren alt. Diese große Anzahl von Personen könnte sich dann auch auf eine rückwirkende Erhöhung ihres Urlaubsanspruchs auf 30 Arbeitstage in jedem Kalenderjahr berufen. Private Arbeitgeber betrifft das nicht mehr in dem Maße. Denn in letzter Zeit hat man dort vorausschauend Tarifverträge schon entsprechend geändert und diskriminierende Regelungen beseitigt.
Ausweg Verfallklauseln und die neuen Tarifverträge
Ganz neu ist die Problematik allerdings nicht. Schon im Jahr 2011 hatte das LAG Düsseldorf (LAG Düsseldorf, Urt. v. 18.01.2011, Az,. 8 Sa 1274/10) eine altersabhängige Urlaubsstaffelung im Manteltarifvertrag des Nordrhein-Westfälischen Einzelhandels als unwirksam angesehen. Und zwar mit der gleichen Folge, nämlich der Anpassung der Urlaubsansprüche nach oben.
Arbeitgeber können sich zur Verteidigung auf tarifvertragliche Verfallklauseln berufen. Danach verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zum Beispiel in einer sechsmonatigen Frist nach Fälligkeit.
Auch Urlaubsansprüche können durch tarifvertragliche Verfallklauseln erlöschen (so zum Beispiel der Europäische Gerichtshof mit Urt. v. 22.11.2011, Az. C-214/10; BAG, Urt. v. 09.08.2011, Az. 9 AZR 365/10). Parallel dazu sollte aber bei anstehenden Tarifverhandlungen auf jeden Fall eine Anpassung der Altersstaffelung bei Urlaub an die neue Rechtsprechung auf der Tagesordnung stehen.
Dr. Jan Tibor Lelley, LL.M. Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Buse Heberer Fromm Rechtsanwälte Steuerberater PartG.
Jan Tibor Lelley, Urlaubsanspruch für jüngere Arbeitnehmer: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5839 (abgerufen am: 25.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag