Überschüssiger Urlaub muss nach Ende des Arbeitsverhältnisses ausbezahlt werden. Was gilt aber, wenn ein Arbeitnehmer stirbt? Nach Auffassung des EuGH-Generalanwalts haben die Erben dann ein Recht auf Abgeltung, erläutert Michael Fuhlrott.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat schon oft in Urlaubsfragen das nationale Recht durcheinandergewirbelt und etwa den automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen bei Krankheit verneint oder zuletzt ausgeführt, dass ein in den Ruhestand eintretender Arbeitnehmer seine bislang wegen Krankheit nicht gewährten Urlaub ausgezahlt verlangen kann (EuGH, Urt. v. 20.7.201, Az. C-341/15). Auch hatte der EuGH (Urt. v. 12.6.2014, Az. C-118/13) bereits entschieden, dass ein Urlaubsanspruch bei Tod des Arbeitnehmers sich in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umwandelt, der auch dann von den Erben gegenüber dem Arbeitgeber des Erblassers geltend gemacht werden kann.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stand dem eher kritisch gegenüber. Es verstand den Urlaubsanspruch jeher als "persönlichen" Anspruch des Arbeitnehmers, der allein dessen Erholung dienen solle. Der EuGH betonte in seinen Urteilen hingegen mehrfach, dass es sich bei dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gem. der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handele.
Generalanwalt Bot bezeichnet diesen in seinen heutigen Schlussanträgen zudem als "vollwertiges soziales Grundrecht" der Union (Schlussanträge v. 29.05.2018, Az. C-569/16 und C-570/16). Dieser sei von solcher Bedeutung, dass er auch von den Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers in Form eines Urlaubsabgeltungsanspruchs geltend gemacht werden könne. Stehe das nationale Erbrecht dem entgegen, so sei es unionsrechtskonform auszulegen oder unangewendet zu lassen.
Tod im Arbeitsverhältnis
Wie kam es überhaupt zu der erneuten Befassung des EuGH mit Fragen deutschen Urlaubsrechts? Ausgangspunkt sind zwei nationalstaatliche Verfahren, in denen zwei Ehefrauen von den Arbeitgebern ihrer verstorbenen Männer eine finanzielle Vergütung für vor dem Tod nicht genommenen Urlaub forderten. Während einer der Ehemänner bei der Stadt Wuppertal, einem öffentlichen Arbeitgeber, beschäftigt war, war der andere bei einem privatwirtschaftlichen Wartungsunternehmen beschäftigt. Gemeinsam war beiden, dass sie im laufenden Arbeitsverhältnis verstarben und zu diesem Zeitpunkt noch Urlaubsansprüche hatten.
Beide Ehefrauen als Erbinnen waren der Ansicht, dass der noch bestehende Urlaub an sie auszuzahlen sei. Der Urlaubsanspruch habe sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt. Das gelte auch dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers erfolge. Der Urlaubsabgeltungsanspruch solle dann direkt bei den Erben entstehen, so die Ehefrauen.
BAG verneinte einen Anspruch der Erben
Das BAG sah dies anders. Bislang erkannte das BAG (Urt. v. 12.3.2013, Az. 9 AZR 532/11) nur eine Vererbbarkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen an, wenn diese beim Arbeitnehmer entstanden waren. Mit anderen Worten: Der Arbeitnehmer musste bislang die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses "erleben". Tat er dies und schied er aus, entstand bei ihm ein Urlaubsabgeltungsanspruch. Dieser war auch vererbbar. Starb der Arbeitnehmer jedoch, bevor ihm ein Anspruch auf Abgeltung entstanden war, so wurde der Urlaub nicht vererbt. Mit diesen Argumenten wollte das BAG also den klagenden Ehefrauen keine Zahlungsansprüche zugestehen.
Allerdings kannte das BAG – natürlich - auch die dem womöglich entgegenstehende Rechtsprechung des EuGH im Fall Bollacke. Allerdings berief sich das BAG in seinem Vorlagebeschluss auf das deutsche Erbrecht (BAG v. 18.10.2016, 9 AZR 196/16 (A). Dieses sehe zwar im Falle des Todes eines Arbeitnehmers einen Übergang des Vermögens auf die Erben im Wege der Universalsukzession gem. § 1922 Abs. 1 BGB vor. Allerdings seien Urlaubsansprüche hiervon nicht umfasst. Diese gingen mit dem Tod des Arbeitnehmers unter. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch entstehe erst, wenn der Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses "überlebe".
Eine andere Auslegung der einschlägigen Vorschrift des § 7 Abs. IV BurlG verstoße gegen das Gesetz und sei nicht möglich. Insoweit wollte das BAG vom EuGH ausdrücklich geklärt wissen, ob die Vorgaben in der Entscheidung Bollacke auch dann zu gelten haben, wenn das nationale Erbrecht eine solche Übertragung der Abgeltung auf die Erben ausdrücklich versage.
Literatur und Instanzgerichte bereits auf Seiten des Generalanwalts
Diese nationalrechtlichen Einwände überzeugten den Generalanwalt nicht. Auch wenn das deutsche Recht einen Untergang des Abgeltungsanspruchs mit dem Tod vorsehe, müssten die Ansprüche in diesem Fall auf die Erben übergehen. Dies habe der EuGH auch bereits in anderen Entscheidungen in Kenntnis der deutschen Rechtslage geurteilt. Aus den Anträgen des Generalanwalts lässt sich daher auch ein wenig "Verwunderung" herauslesen, dass die obersten deutschen Arbeitsrichter diese Frage erneut dem EuGH vorlegten.
Der EuGH solle in seinem Urteil daher bestätigen, dass die europäische "Urlaubsrichtlinie" einer solchen nationalen Handhabe entgegenstehe. Die deutschen Gerichte sollten das nationale Recht unionsrechtskonform auslegen. Sei dies – so wie das BAG meine – nicht möglich, müssten die nationalen Vorschriften unangewendet bleiben. Auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen gingen die unionsrechtlichen Vorgaben vor, da es sich beim Anspruch auf Urlaub um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handele.
Bereits die aktuelle Vorlage des BAG wurde in der Literatur skeptisch hinterfragt, da die Vorgaben in der Entscheidung Bollacke bereits recht deutlich waren. Auch verschiedene Landesarbeitsgerichte (LAG) hielten eine unionsrechtskonforme Auslegung der deutschen (Erbrechts-)Vorschriften für möglich (s. etwa LAG Köln, Urt. v. 14.7.2016, Az. 8 Sa 324/16; LAG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015, Az. 3 Sa 21/15) und sprachen Erben von im Arbeitsverhältnis verstorbenen Arbeitnehmern bereits einen Zahlungsanspruch zu.
Schließt sich der EuGH dem Antrag des Generalanwalts an, so ist das Ergebnis für das BAG vorgegeben – es wird sich nur überlegen müssen, ob es nunmehr doch eine unionsrechtskonforme Auslegung für möglich hält oder die deutschen Erbrechtsvorschriften insoweit für unionsrechtswidrig bewertet und nicht mehr anwenden wird.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Professor für Arbeitsrecht und Studiendekan Wirtschaftsrecht an der Hochschule Fresenius sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Hamburg.
Michael Fuhlrott, EuGH-Generalanwalt hält Urlaubsabgeltung für vererbbar: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28859 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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