Von Youtube lud ein privater Ermittler Songs herunter. Die Musikindustrie und Bürgerrechtler machen den Fall zu einem Musterverfahren. Setzt das LG Hamburg mit seinem Urteil ein wichtiges oder ein gefährliches Zeichen für die Freiheit im Netz?
Am 22. September 2020 lud der Mitarbeiter eines Hamburger Medienunternehmens aus dem Internet drei Songs herunter: "Higher Ground" des Künstlers Robin Schulz, "Kein Lied" von Wincent Weiss und "Kopfüber" der Sängerin Mia. Die Auswahl war kein Zufall. Hinter jedem Lied stand zweieinhalb Jahre später eine Klägerin vor dem Landgericht (LG) Hamburg. Drei Labels bekamen das Gerichtsverfahren, das sie gesucht hatten, sie wollten grundsätzliche Fragen zum Urheberrecht im Netz klären lassen. Der Mann, der die Songs im September 2020 aus dem Netz zog, ist ein privater Ermittler der proMedia GmbH. Im Auftrag des Bundesverband Musikindustrie (BVMI) spürt er Rechtsverletzungen im Internet auf. Und er wurde fündig. Über die Software youtube-dl war es ihm möglich, die Lieder von der Video-Plattform Youtube herunterzuladen und dauerhaft zu speichern.
"Stream-Ripping" wird dieses Vorgehen genannt. Laut dem BVMI handelt es sich dabei um die am weitesten verbreitete Form der digitalen Musik-Urheberrechtsverletzung. Nachdem diese aufgedeckt wurde, klagten die entsprechenden Tonträgerhersteller auf Unterlassen und Schadensersatz. Die Klage richtet sich dabei nicht gegen den Softwareanbieter, sondern gegen uberspace, den Webhoster der Software.
Das LG Hamburg gab der Klage statt (Urt. v. 31.03.2023, Az. 310 O 316/21). Weil der Mainzer Webhoster uberspace eine Webseite zur Verfügung stellte, über die die Software youtube-dl heruntergeladen werden konnte, wird er nun in Haftung genommen. Das LG untersagte uberspace die Software weiter zu hosten und verurteilte den Webhoster außerdem dazu, den bereits entstandenen Schaden durch illegale Downloads zu ersetzen. Damit die konkrete Höhe des Schadens ermittelt werden kann, muss uberspace den Klägerinnen Auskunft über die Anzahl der Downloads und den mit dem Vertrieb der Software erzielten Umsatz erteilen.
Vertreter der Musikindustrie begrüßen die Entscheidung, der Chef von uberspace, Jonas Pasche, spricht dagegen von einem "schwarzen Tag für die Meinungsfreiheit im Internet". Stellt das Urteil einen wichtigen Schritt in Richtung Urheberschutz dar oder werden Netz-Aktivitäten dadurch unverhältnismäßig eingeschränkt?
Urheberrechtsverletzung oder legale Nutzung?
Nach Ansicht des Webhosters uberspace ist der Download von Youtube-Videos keine Urheberrechtsverletzung, weil dabei kein wirksamer Kopierschutz umgangen werde. Die Vertreter der Musikindustrie sehen das anders. Indem youtube-dl aus Inhalten, die legal online gestreamt werden können, herunterladbare Dateien erstellt, umgehe die Software den Kopierschutz von Youtube. Durch jenes "Stream-Ripping" ist es Verbrauchern möglich, ohne Bezahlung Videos herunterzuladen und sie dauerhaft abzuspeichern.
In dem Musterverfahren – wie es der BVMI selbst nennt – sollte nun die Rechtsfrage geklärt werden, ob der Download von Youtube-Videos eine Urheberrechtsverletzung oder eine legale Nutzung darstellt.
Allerdings handelt es sich bei youtube-dl um eine Open-Source-Software. Das bedeutet, dass die Software von jedermann bearbeitet und modifiziert werden kann. Und es bedeutet auch, dass es keinen Hauptverantwortlichen für die angebotenen Dienste gibt, die verklagt werden könnten. Daher wandten sich die Kläger stattdessen an den Hoster der Software: uberspace.
Nachdem sie uberspace im September 2020 erfolglos abgemahnt hatten, klagten sie im November 2021 vor dem LG Hamburg. Uberspace wird vorgeworfen, sich an der Umgehung jener Schutzmaßnahmen beteiligt zu haben, in dem er die Software hostete. Rechtlich liege damit eine Beihilfe zu § 95a Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) sowie ein Verstoß gegen das Verbot des § 95a Abs. 3 Nr. 3 UrhG vor.
(Un)wirksamer Kopierschutz "Rolling Cipher"
§ 95a Abs. 1 UrhG verbietet es, wirksame technische Maßnahmen, die dem Schutz von urheberrechtlich geschützten Werken dienen, zu umgehen. Die Dienste der Software youtube-dl sind demnach nur dann rechtswidrig, wenn der von Youtube verwendete Kopierschutz "Rolling Cipher" die Anforderungen an eine solche technische Maßnahme erfüllt. Uberspace argumentiert in seiner Klageerwiderung, dass youtube-dl nur das automatisiere, was ohnehin jeder Verbraucher mit wenigen Klicks selbst machen könne. Der Kopierschutz sei also derart unwirksam, dass es zu dessen Umgehung nicht einmal die Software bräuchte.
Davon ließ sich das LG Hamburg aber nicht überzeugen. Für die Hauptanwendungen eines Browsers des Durchschnittsnutzers – Streaming, Social-Media oder Shopping – bedürfe es keiner besonderen technischen Fähigkeiten. "Der durchschnittliche Nutzer wird sich auch regelmäßig weder den Quellcode einer Website ansehen, noch wird er Entwicklertools - insbesondere nicht die Netzwerkanalyse-Instrumente – nutzen.", so das LG in seiner Urteilsbegründung. Daher halte der Kopierschutz den durchschnittlichen Benutzer der Plattform YouTube ausreichend effektiv vom Herunterladen von Inhalten ab, selbst wenn er auf anderem Wege umgangen werden könne. Es sei nicht erforderlich, dass der Schutz gar nicht umgangen werden könne, um dessen grundsätzliche Wirksamkeit zu bejahen.
Auch ein eher schwacher Kopierschutz erreiche daher nach Ansicht des Gerichts den für das Urheberrecht relevanten Mindestschutz.
Eine Frage der Verantwortung
Selbst wenn man die Wirksamkeit des Kopierschutzes und damit die Rechtswidrigkeit der Downloads zugrunde legt, bleibt die Frage, ob mit uberspace der richtige Verantwortliche in Haftung genommen wurde.
In seiner Klageerwiderung berief sich uberspace auf § 10 Telemediengesetz (TMG), der ein Haftungsprivileg für Web-Hosting-Dienste enthält. Danach sind diese nicht für die Aktivitäten der Seiten verantwortlich, die sie hosten. Etwas anderes gilt nur, wenn sie Kenntnis von der Rechtswidrigkeit haben oder diese offensichtlich ist. Das dem so gewesen sei, bestreitet uberspace. Welche Dienste youtube-dl genau anbot, sei nicht bekannt gewesen.
Das Gericht sah das "Providerprivileg" aber durch die Abmahnung entkräftet, die uberspace von den Klägern erhalten hatte. Aufgrund dieser wäre eine Rechtsverletzung durch youtube-dl offensichtlich gewesen und der Hoster habe konkrete Kenntnis von den rechtswidrigen Handlungen gehabt.
Dadurch weite das Gericht die Haftung der Webhoster sehr stark aus, findet der Jurist Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die uberspace in dem Rechtsstreit unterstützt. Dass der von YouTube verwendete Kopierschutz wirksam i.S.d. Urheberrechts ist, war wie dargestellt alles andere als offensichtlich. "So eine Auslegung kann erhebliche 'chillling effects' haben, weil Host Provider im Zweifel Inhalte und sogar ganze Webseiten löschen müssen, um eine weitreichende Haftung zu vermeiden", so Selinger.
So sieht es auch Benjamin Raue, Professor für Geistiges Eigentum und Direktor des Instituts für Recht und Digitalisierung Trier (IRDT) an der Universität Trier. Er hält die Einschätzung des LG Hamburgs, dass es sich bei "Rolling Cipher" um einen wirksamen Kopierschutz handle, zwar für vertretbar. Die Haftung des Webhosters führe aber zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Grundrechte der gehosteten Webseitenbetreiber. "Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Plattformhaftung, die der Digital Services Act nun in Art. 6 und 16 Abs. 3 DSA aufgegriffen hat, soll ein Hosting-Anbieter deswegen nur haften, wenn ein sorgfältig handelnder Anbieter 'ohne eingehende rechtliche Prüfung' feststellen kann, dass der einschlägige Inhalt rechtswidrig ist." Dafür reiche es nicht aus, wenn der Inhalt 'möglicherweise' rechtswidrig ist.", meint Raue.
Der BVMI relativiert auf Nachfrage von LTO die Sorge vor unverhältnismäßigen Einschränkungen durch "Overblocking". Es handele sich um eine "Beschränkung im Internet, um Rechte zu schützen und Rechtsvorschriften umzusetzen", so René Houareau, Geschäftsführer Recht & Politik des BVMI. Das LG Hamburg zeige mit einem gut begründeten Urteil die Tragweite der Haftung von Stream-Rippern auf und setze ein klares Zeichen, dass illegale Musiknutzungen unterbunden werden und Rechtsvorschriften eingehalten werden müssten und das Internet kein rechtsdurchsetzungsfreier Raum sei. "Nutzer:innen haben keineswegs einen Anspruch auf jede Form der Nutzung unter Beeinträchtigung des geistigen Eigentums", sagt Houareau.
Insofern sendet das Urteil auch ein Signal an die Nutzer der Software. Diese verstoßen selbst gegen § 95a Abs. 1 UrhG, wenn sie youtube-dl nutzen, um Youtube-Videos herunterzuladen. Das LG Hamburg erklärt in seinem Urteil hierzu, der Durchschnittsnutzer müsse erkennen, dass Youtube-Inhalte nicht mittels eines einfachen Rechtsklicks herunterzuladen sind. Daher müsse es sich ihm aufdrängen, dass dies durch den Einsatz einer Technologie erreicht wird und youtube-dl ein "Aushebeln" dieses Schutzes ermöglicht. Das vorliegende Verfahren wurde wohl aber aus strategischen Gründen nicht gegen einzelne Nutzer, sondern den Webhoster gerichtet.
Kämpft die Musikindustrie vergebens?
"Das Urteil wird auf die Verbreitung und Erreichbarkeit von youtube-dl keinen nennenswerten Einfluss haben", meint der Jurist Joschka Selinger von der GFF. Das liege daran, dass uberspace nicht die Software selbst hoste, sondern lediglich eine Website, die Links zu youtube-dl enthalte. Die eigentliche Software liegt auf den Servern der Plattform Github, die zum Microsoft-Konzern gehört. "Wenn es den Klägerinnen darum gegangen wäre, die Verbreitung von youtube-dl wirksam einzuschränken, hätten sie gegen GitHub vorgehen müssen", so Selinger.
Zur Begründung, wieso gegen uberspace und nicht GitHub vorgegangen wurde, gab der BVMI an, uberspace sei der Hoster der Hauptseite von youtube-dl, die auch als erster Treffer bei einer Google Suche erscheine. Diese Internetseite werde maßgeblich zur Verbreitung der Software youtube-dl genutzt. "Um die Rechtslage in Deutschland zu klären, bietet sich ein Vorgehen gegen den deutschen Hoster dieser Seite an.", erklärt Houareau vom BVMI.
Obwohl das Herunterladen von Youtube-Videos für Nutzer auch nach der Entscheidung des LG Hamburg weiter möglich ist, setze das Urteil aus grundrechtlicher Sicht dennoch ein gefährliches Zeichen, so Selinger von der GFF. Unzählige rechtmäßige und grundrechtlich sensible Nutzungen würden dadurch unmöglich gemacht. Nicht nur private Nutzer, auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Betroffenenorganisationen wie HateAid würden entsprechende Tools zur Beweissicherung nutzen. Wenn Webhoster, wie hier uberspace, in die Haftung für die Aktivitäten der gehosteten Webseiten genommen werden, könne das dazu führen, dass Inhalte vorschnell gesperrt werden.
Die GFF hat bereits angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Ihre Erfolgschancen in der nächsten Instanz schätzen sie als gut ein. "Wir sind zuversichtlich, dass wir mit der Berufung Erfolg haben werden. Das Landgericht hat sich nicht im Ansatz mit der tatsächlichen Nutzung, den Einsatzmöglichkeiten und der Verhältnismäßigkeit eines faktischen Verbots von youtube-dl auseinandergesetzt.", meint Selinger (GFF).
Es fällt auf, dass der Rechtsstreit von strategischer Prozessführung auf beiden Seiten geprägt ist. Sowohl die GFF als auch der BVMI möchten eine grundsätzliche Rechtsfrage geklärt wissen. Es geht nicht um die tatsächliche Höhe des eingetretenen Schadens oder um die Frage, welcher Beteiligte die Hauptverantwortung für die Downloads trägt. Gesucht wird eine Antwort auf die Frage: Ist das Herunterladen von Youtube-Videos eine Urheberrechtsverletzung? Möglicherweise kann das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg in zweiter Instanz eine abschließende Antwort darauf geben.
LG Hamburg zu "Stream Ripping": . In: Legal Tribune Online, 09.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51721 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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