Kabinett einigt sich auf neues Urheberrecht: Upload­filter, Pre-Flag­ging und ein roter Knopf

von Annelie Kaufmann

03.02.2021

Die Bundesregierung hat sich auf eine umfassende Urheberrechtsreform geeinigt und dabei den Verlegern und Urhebern nochmal Zugeständnisse gemacht. Klar ist: Uploadfilter kommen. Eine entscheidende Frage bleibt aber offen.

Es ist eine der großen Reformen, die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht auf jeden Fall in den nächsten Monaten durch den Bundestag bringen muss: ein neues und vor allem internetkompatibles Urheberrecht. Dabei war von Anfang an klar, dass es kaum möglich sein würde, alle Seiten zufrieden zu stellen – Youtube, Google, Zeitungsverlage, Filmindustrie, Musiker, Netzaktivistinnen und viele andere verfolgen sehr unterschiedliche Interessen, wenn es um die Frage geht, wer welche Inhalte in welcher Form verbreiten darf. 

Klar war auch, dass der Spielraum begrenzt ist, denn es müssen zwei EU-Richtlinien umgesetzt werden: Die hoch umstrittene EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (EU-RL 2019/790 vom 17. April 2019 "Digital Single Market", kurz DSM-Richtlinie) und die sogenannte Online-SatCab-Richtlinie (EU-RL 2019/789 vom 17. April 2019), bei der es um den EU-weiten Zugang zu Rundfunkinhalten geht. Die Zeit ist knapp: Die Umsetzungsfrist läuft am 7. Juni dieses Jahres ab.

Das Bundeministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat immer betont, dass es die unterschiedlichen Interessen berücksichtigen will und tatsächlich galt ein erster "Diskussionsentwurf", der im Juni 2020 bekannt wurde, als ziemlich ausgeglichen. Der Entwurf, auf den sich die Bundesregierung nun geeinigt hat, ist allerdings deutlich verleger- und urheberfreundlicher. 

Lizenziert, erlaubt – oder weg damit

Kern der Reform ist ein eigenes Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG). Upload-Plattformen sollen damit künftig für alle Inhalte, die sie zugänglich machen, grundsätzlich urheberrechtlich verantwortlich sein. 

Das bedeutet einerseits: Die Rechteinhaber sollen künftig fair an den Einnahmen beteiligt werden, die die Plattformen generieren. Sie werden verpflichtet, Lizenzen für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke zu erwerben. Dabei muss zumindest ein Teil der Gelder über die Verwertungsgesellschaften direkt an die Kreativen fließen (§ 4 UrhDaG). Die Plattformen müssen außerdem für gesetzlich erlaubte Nutzungen eine angemessene Vergütung zahlen (§ 5 UrhDaG). 

Andererseits und noch viel umstrittener: Die Plattformen müssen dafür sorgen, dass Inhalte, die nicht lizenziert und nicht gesetzlich erlaubt sind, auch nicht verfügbar sind ("take down" und "stay down"). Gesetzlich erlaubt sind etwa nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) Zitate, Karikaturen, Parodien und Pastiche (Nachahmung), "sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt". Aber wann handelt es sich etwa um eine Parodie und welcher Umfang ist gerechtfertigt? Da ist Streit vorprogrammiert. 

Von Anfang an umkämpft war deshalb die Frage, wie man mit solchen umstrittenen Inhalten umgeht: Gehen sie erstmal online und werden eventuell später gesperrt? Oder werden sie erstmal gesperrt und die Sperrung kann dann wieder aufgehoben werden? Der Regierungsentwurf sieht einen ziemlichen Eiertanz vor, um das Problem zu lösen – mit Vorteilen für die Rechteinhaber.

Wenn Nutzer Inhalte hochladen, müssen die Plattformen künftig prüfen, ob ein Sperrverlangen von einem Rechteinhaber vorliegt. Ist das der Fall, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Nutzer erhält eine Benachrichtigung darüber, dass ein Sperrverlangen vorliegt, und erhält dann die Möglichkeit, dagegen eine Beschwerde einzulegen woraufhin der Plattformbetreiber innerhalb einer Woche entscheidet – solange ist Inhalt also erstmal offline, kann aber nach dem Abschluss des Beschwerdeverfahrens freigegeben werden. Oder es handelt sich um eine "mutmaßlich erlaubte" Nutzung (§ 9 UrhDaG), dann wird der Beitrag zunächst veröffentlicht, aber der Rechteinhaber wird informiert und kann dann eine Beschwerde einlegen.

Pre-Check, Pre-Flagging, Post-Flagging

Als "mutmaßlich erlaubt" gelten Uploads, wenn sie weniger als die Hälfte eines fremden Werks enthalten und dies mit anderem Inhalt kombinieren. Zudem muss es sich entweder um eine geringfügige Nutzung handeln (Bagatellnutzung, § 10 UhrDaG) oder der Uploader muss den Inhalt als erlaubt kennzeichnen (Pre-Flagging, § 11 UrhDaG). 

"Geringfügig" meint dabei wirklich geringfügig: 15 Sekunden Film, 15 Sekunden Tonspur, 160 Zeichen Text oder bis zu 125 Kilobyte für ein Foto oder eine Grafik. Der Referentenentwurf war hier noch etwas großzügiger und hatte 20 Sekunden Film oder Ton, 1.000 Zeichen Text und 250 Kilobyte für Fotos und Grafiken vorgesehen. 

Alles, was darüber hinausgeht, kann als "mutmaßlich erlaubt" eingestuft werden, wenn es vom Nutzer entsprechend gekennzeichnet wurde. Dieses Pre-Flagging-Verfahren kommt allerdings nur zum Einsatz, wenn ein nutzergenerierter Inhalt blockiert werden soll und eben keine geringfügige Nutzung vorliegt. Vor das Pre-Flagging wurde damit ein sogenannter Pre-Check seitens der Plattform geschaltet. Das sorgte in der Netzcommunity für Kritik – die umstrittenen Uploadfilter, also die automatisierte Überprüfung der Inhalte, wurde damit sozusagen scharf geschaltet.

Ein Problem: Wenn zum Zeitpunkt des Uploads kein Sperrverlangen vorliegt, können Nutzer ihre Beiträge nicht vorsichtshalber als erlaubt flaggen. Erst wenn ein Rechteinhaber verlangt, dass bereits veröffentlichte Inhalte – die womöglich seit Jahren im Netz zu finden sind – blockiert werden, muss die Plattform den Nutzer informieren. Er hat dann 48 Stunden Zeit, um zu reagieren. Damit ist sozusagen ein Post-Flagging möglich, aber nur als Reaktion auf ein Sperrverlangen.

"Roter Knopf" für Rechteinhaber

Neu ist, dass der Regierungsentwurf außerdem einen "roten Knopf" für Rechteinhaber vorsieht: Er muss gegenüber der Plattform lediglich erklären, dass er nicht von einem "mutmaßlich erlaubten" Inhalt ausgeht und dass die fortdauernde öffentliche Widergabe die wirtschaftliche Verwertung des Werkes erheblich beeinträchtigt – die Plattform muss den Inhalt dann sofort blockieren, solange bis das Beschwerdeverfahren abgeschlossen ist (§ 14 UrhDaG).

Gedacht ist diese Regelung vor allem für die Filmbranche, die damit schnell verhindern kann, dass (rechtswidrig) Teile von aktuellen Spielfilmen wiedergegeben werden. Den roten Knopf dürfen nur "vertrauenswürdige" Rechteinhaber drücken und er darf nicht automatisiert ausgelöst werden. 

Wer vertrauenswürdig ist, entscheidet die Plattform selbst. Das BMJV geht davon aus, dass es etwa eine Rolle spielen soll, ob qualifiziertes Personal eingesetzt wird und ob Beschwerdeverfahren in der Vergangenheit erfolgreich waren. 

Wer ständig falsch liegt, fliegt raus

Das UrhDaG sieht verschiedene Regelungen vor, um Missbrauch vorzubeugen (§ 18 UrhDaG): Wer etwa mehrfach fälschlicherweise den roten Knopf drückt, wird für einige Zeit von diesem Verfahren ausgeschlossen. Rechteinhaber, die wiederholt die Blockierung eines fremden Werkes als eigenes Werk oder eines gemeinfreien Werkes verlangen, können für einige Zeit keine Sperre mehr geltend machen. Und Nutzer, die einen Inhalt immer wieder fälschlicherweise als erlaubt kennzeichnen, verlieren die Möglichkeit des Flagging.

Die Regelungen des UrhDaG sind zwingendes Recht, von dem nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen abgewichen werden kann. Die Plattformen müssen das Beschwerdeverfahren anbieten, die Teilnahme daran ist aber freiwillig. Sowohl Nutzer als auch Rechteinhaber können sich auch an außergerichtliche Schlichtungsstellen oder direkt an die Gerichte wenden. 

Für wen gilt das überhaupt?

Nicht so richtig klar ist, für welche Social-Media-Plattformen das neue Gesetz überhaupt gelten soll. Diensteanbieter im Sinne des UrhDaG sind Dienste, "die es als Hauptzweck ausschließlich oder zumindest auch verfolgen, eine große Menge an von Dritten hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Inhalten zu speichern und öffentlich zugänglich zu machen", dabei diese Inhalte organisieren, zum Zweck der Gewinnerzielung bewerben und mit Online-Inhaltediensten um dieselben Zielgruppen konkurrieren. 

Das typische Beispiel ist Youtube. Twitter vertritt dagegen in seiner Stellungnahme die Auffassung, dass sein Angebot nicht in den Anwendungsbereich fällt. Auch Facebook bemängelt in seiner Stellungnahme, dass unklar sei, welche Plattformen genau umfasst sein sollen. 

In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es, dass "mittelfristig dreizehn Diensteanbieter" unter das UrhDaG fallen könnten – das allerdings ist nur eine vorläufige Annahme, die das BMJV zu Grunde legt, um den Erfüllungsaufwand zu bemessen. 

Fest steht aber: Wikipedia ist nicht gemeint, § 3 UrhDaG sieht eine Ausnahme für "nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien" vor.

Zitiervorschlag

Kabinett einigt sich auf neues Urheberrecht: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44171 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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