Die Staatsanwaltschaft darf protokollierte Aussagen beschlagnahmen, die Mitarbeiter bei unternehmensinternen Untersuchungen gegenüber Anwälten der HSH Nordbank gemacht haben. Der Beschluss des LG Hamburg sorgte für Empörung. Dabei gibt er nur die bestehende Rechtslage wieder, so Klaus U. Eyber: Wer schweigt, kann fliegen. Wer spricht, kann strafrechtlich belangt werden.
Das Instrument der "internen Untersuchung" von Unregelmäßigkeiten ist etablierter Organisations-Bestandteil von Unternehmen, die Compliance ernst nehmen. Dabei beauftragt das Unternehmen Dritte, in der Regel Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer, mit der Aufklärung von möglichen unternehmensbezogenen Straftaten.
Ein zentrales Instrument dieser Untersuchungen ist die Befragung der Mitarbeiter. Die Aufzeichnungen über diese Gespräche gingen bisher nicht in Reinschrift direkt zur Staatsanwaltschaft. Sofern sich ein Unternehmen zur Selbstanzeige entschloss oder bereits ermittelt wurde, wurde den Ermittlungsbehörden allenfalls ein zusammenfassender Untersuchungsbericht der beauftragten Kanzlei ausgehändigt. Das Landgericht Hamburg aber hat nun die Beschlagnahme aller Protokolle zugelassen (LG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2010, Az. 608 Qs 18/10).
Es hat dabei allerdings weder die Rechtsprechung noch die Rechtslage geändert. Das Gericht hat lediglich in einem prominenten Umfeld für das geltende Recht sensibilisiert. Das allerdings mit erheblichen psychologischen Folgen.
Nur im Strafrecht muss man sich nicht selbst belasten
Zwischen dem Angestellten und einem durch den Arbeitgeber beauftragten Anwalt oder Wirtschaftsprüfer besteht kein geschütztes "mandatsähnliches" Vertrauensverhältnis. Private Vertraulichkeitsvereinbarungen sind beim Zugriff staatsanwaltlicher Ermittlungen ohne Belang. Das bedeutet, die Beschlagnahme war zulässig.
Das Problem ist nun, dass dieses Beschlagnahmerisiko nichts daran ändert, dass der Mitarbeiter zur Aussage gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet ist. Anders als das Strafrecht kennen das Zivilrecht und ihm folgend das Arbeitsrecht den Grundsatz nicht, dass niemand zu einer Aussage gezwungen werden kann, wenn er sich dadurch dem Risiko strafrechtlicher Ermittlungen aussetzt. Im Klartext: Diesen Grundsatz gibt es trotz seiner Ausprägungen in den Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten verschiedener Verfahrensgesetze gar nicht.
Das erscheint auf den ersten Blick überraschend, weil die Annahme nahe läge, dass man den Eingriff Privater "erst recht" zurückweisen könnte, wenn selbst der Staat keine Eingriffsmöglichkeit hat. Gleichwohl ist die Rechtsprechung, die dem Arbeitgeber so weitgehende Rechte zubilligt, ebenso einfach wie überzeugend.
Eine richtige Rechtsprechung und ihre enormen Konsequenzen
Der Auskunftsverpflichtete hat sich in eine Sonderrechtsbeziehung wie beispielsweise ein Arbeitsverhältnis begeben. Daraus können sich weitergehende Auskunftspflichten ergeben, als er sie gegenüber der Allgemeinheit hat. Außerdem würden in den entscheidenden Fällen sämtliche Auskunftsansprüche leerlaufen, wenn sich der Auskunftsverpflichtete dadurch entziehen könnte, dass er sich selbst nicht belasten will.
Die Folgen der Hamburger Entscheidung und die damit einhergehende Sensibilisierung für die Rechtslage liegen auf der Hand. Jeder Interviewpartner, ob Beschuldigter oder lediglich Mitwisser, wird sich genau überlegen, ob und was er aussagt.
Vor allem weisungsgebundene, untergebene Arbeitnehmer, die unter Umständen nur der Beihilfe zu einer Straftat verdächtigt werden, dürfte solche Rechtsprechung davon abhalten, Auskünfte zu geben. Die Mitarbeiter, deren Auskünfte oft wichtigste Grundlage der Arbeit der Ermittler ist, werden eher schweigen.
Auswege aus dem Dilemma
Die geltende Rechtslage zwingt seriöse Ermittler zunächst einmal dazu, den Mitarbeitern reinen Wein einzuschenken, sie also darauf hinzuweisen, dass ihre Aussage eventuell bei der Staatsanwaltschaft landen kann. Der Arbeitgeber kann im Vorfeld auf ordentliche oder außerordentliche Kündigungen oder auf Schadensersatzansprüche verzichten. Vor der Staatsanwaltschaft kann er nicht schützen. Das gilt erst recht, wenn diese schon aus eigenem Antrieb tätig geworden ist.
Umgekehrt muss dem Mitarbeiter klar sein, dass er im Fall einer offensichtlich defizitären Kooperation seinen Job riskiert. Auch wenn er nicht in Verdacht steht, selbst an Straftaten beteiligt gewesen zu sein, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein, wenn er gegen seine Auskunftspflicht verstößt, sofern nach den Umständen davon auszugehen ist, dass er von strafbaren Handlungen anderer Kollegen weiß. Das ist und bleibt sein Dilemma.
Der Arbeitgeber kann sich nun entschließen, jedem der befragten Mitarbeiter auf eigene Kosten einen Anwalt zur Seite zu stellen. Da ein Verteidiger in einem Strafverfahren aber nur einen Beschuldigten vertreten darf, kann das zu einer uferlosen Kostenbelastung führen. Außerdem beseitigt es die Bredouille des Mitarbeiters nicht, sich entweder selbst zu belasten oder den Verlust seines Arbeitsplatzes zu riskieren.
Geht für das Unternehmen der Schutz des Mitarbeiters vor, weil man anders gar nicht an die entscheidenden Informationen herankommt, wäre der letzte Ausweg die Beauftragung von Anwälten, die ihren Sitz nicht in Deutschland und idealerweise nicht einmal in der EU haben, weil dort keine Zugriffsmöglichkeit der deutschen Staatsanwaltschaft besteht bzw. deren Möglichkeiten stark eingeschränkt sind. Dabei müsste vereinbart werden, dass allein das Arbeitsergebnis oder allenfalls ein Bericht vorgelegt wird, der Beauftragte die gesamte Dokumentation aber behält und nicht zur Herausgabe an den Auftraggeber verpflichtet ist.
Der Autor Dr. Klaus U. Eyber ist Rechtsanwalt und Partner bei Kaye Scholer in Frankfurt am Main. Sein Schwerpunkt liegt in der Prävention und Bearbeitung von Korruptionsfällen.
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Klaus U. Eyber, Unternehmensinterne Untersuchungen: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3209 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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