Es sah eigentlich vielversprechend aus. Ampel und Union waren in Gesprächen über den besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts, doch nun lässt die Union die Gespräche platzen. Zeitgleich taucht eine neue Forderung der Union auf.
Die Gespräche über eine Verfassungsänderung, mit der das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) besser geschützt werden sollte, sind erst einmal abgebrochen. Das geht aus einem Schreiben aus dem Bundesjustizministerium (BMJ) hervor, das LTO vorliegt. Demnach soll ein Treffen zwischen Andrea Lindholz (CSU) und Minister Marco Buschmann (FDP) am Donnerstag stattgefunden haben. Die Unionsfraktion sehe keinen Bedarf für eine Grundgesetzänderung und möchte die Gespräche abbrechen, heißt es in dem kurzen Schreiben.
Aus Sorge vor dem Erstarken extremer Parteien hatte die Ampel-Koalition erwogen, Einzelheiten zur Wahl und zur Amtszeit von Verfassungsrichtern nicht nur in einem einfachen Gesetz, sondern im Grundgesetz festzuschreiben. Diese könnten dann nicht mehr mit einfacher Mehrheit, sondern nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden. Das könnte zum Beispiel verhindern, dass das Gericht durch organisatorische Änderungen in seiner Struktur lahmgelegt wird. Auch Lösungen für eine Blockade bei der Richterwahl wurden diskutiert. Die Bundesländer hatten dazu bereits einen Gesetzesvorschlag erarbeitet.
In Gesprächen mit Vertretern der Ampelfraktionen sei deutlich geworden, dass eine Umgestaltung der rechtlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Vorteile habe, sagte Lindholz der Rheinischen Post am Donnerstag. Solche Änderungen des Grundgesetzes müssten sehr gut überlegt sein.
Kritik aus den Ampelfraktionen an der Union
Bundesjustizminister Buschmann sagte der Deutschen Presse-Agentur, er bedauere, dass die Union nicht mehr für Gespräche in der Sache bereitstehe. "Gerade im Jahr des 75sten Geburtstages des Grundgesetzes wäre es ein wichtiges Zeichen gewesen, die Abwehrkräfte unserer Demokratie und des Rechtsstaats zu stärken", sagte der FDP-Politiker. Weitere Gespräche blieben auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen sagte zu LTO: "Die Gespräche mit der Union waren gut. Nun hat aber Merz die Totalblockade verordnet. Oppositionstaktik ist der Union mittlerweile wichtiger als der Schutz unseres Rechtsstaats."
Sein Fraktionskollege Konstantin von Notz nannte die Entscheidung der Union fahrlässig und kritisierte CDU-Chef Friedrich Merz. "Während Millionen Menschen in unserem Land für unseren Rechtsstaat und seine Wehrhaftigkeit auf die Straße gehen und eine klare Erwartungshaltung in Richtung Politik adressieren, kriegt es Friedrich Merz noch immer nicht hin, über seinen Schatten zu springen, so dass wir als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam und überfraktionell an einem besseren Schutz unserer höchsten Verfassungsorgane arbeiten können", sagte er. Die jüngste Positionierung dürfe nicht das Ende der überfraktionellen Gespräche sein. "In einer sicherheitspolitisch extrem angespannten Situation das Schutzniveau für das Bundesverfassungsgericht nicht zu erhöhen, ist politisch entweder naiv oder in höchstem Maße fahrlässig."
Rutscht die Absicherung des BVerfG in einen Machtpoker über das Wahlrecht?
Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese griff die Union für die Entscheidung an. "In einer der schwierigsten Zeiten für unsere Demokratie seit Jahrzehnten wird die Union ihrer Rolle als verantwortungsvolle Opposition in keinster Weise gerecht", sagte Wiese der Rheinischen Post. Er hoffe, dass die Union ihrer staatspolitischen Verantwortung noch gerecht werde.
Der Verfassungsrechtler Ulrich Karpenstein, Rechtsanwalt und Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins zeigte sich auch noch hoffnungsvoll, er sagte zu LTO: "Die Entscheidung der Fraktionsspitze der CDU/CSU, die Gespräche zur Resilienz des BVerfG 'derzeit' auf Eis zu legen, kann und wird nicht das letzte Wort sein." Fachpolitiker in Bund und Ländern seien sich parteiübergreifend einig gewesen, dass Handlungsbedarf bestehe. "Wer diesen Konsens in Frage stellt, nimmt die Schwächung unserer Verfassungsgerichtsbarkeit bewusst in Kauf", so Karpenstein.
Auffällig ist das Auftauchen eines Gastbeitrags der beiden Unions-Rechtspolitiker Martin Plum (CDU) und Volker Ullrich (CSU) am Donnerstagnachmittag in der FAZ, quasi zeitgleich mit der Nachricht über den Abbruch der Gespräche. Dort schreiben die beiden ganz unverblümt: "Etliche Rechtspolitiker wollen die Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz absichern. Wir wollen dies mit einer Verfassungsänderung zum Wahlrecht verknüpfen." Ins GG sollten demnach die Fünfprozenthürde, die Zahl der Wahlkreise und andere Grundprinzipien. Geht es der Union am Ende beim Abbruch der Gespräche doch nicht um Nachteile bei der Übertragung von BVerfG-Vorschriften ins GG, sondern um ein eigenes politisches Projekt?
Pläne für Grundgesetzänderung: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53949 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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