Sie sind auf der Arbeit, weil 65 Millionen andere auf der Flucht sind. Die elftausend Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks verstehen sich als Anwälte der Heimatlosen und legen den Finger in die Wunden - auch in Deutschland.
Alles neu macht der Mai. Von wegen. Die jüngsten Bilder in den Nachrichten zeigen altbekannte Szenen. Menschen, die über das Mittelmeer geflüchtet sind, werden vor der italienischen Küste gerettet. Aber nicht alle. Wohl 240 von ihnen sind diesmal ertrunken. Allein in diesem Jahr suchten bislang 43.000 Menschen ihr Heil in der Flucht über das Mittelmeer, 1.300 sind tot oder vermisst.
Wer seine Heimat notgedrungen verlässt und in einem anderen Staat ankommt, hat seit 1951 wenigstens das Völkerrecht auf seiner Seite. Damals verabschiedeten die Vereinten Nationen (UN) in Genf die Flüchtlingskonvention (GFK). Auslöser waren vor allem unzählige heimatlose Europäer, die nach dem Zweiten Weltkrieg Hilfe brauchten. Als Hüter der Konvention und Helfer der Heimatlosen setzten die UN das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge ein: das UNHCR.
Seitdem arbeitet die Organisation damit auch im Spannungsfeld von Völkerrecht und dessen Verwirklichung. Denn die Geflüchteten kommen in Staaten an, die rechtlich wie kulturell ganz unterschiedlich sein können. Genau das ist es, was Katharina Lumpp, Repräsentantin des Flüchtlingshilfswerks in Deutschland, seit ihrem Start beim UNHCR reizt. "Damals wie heute motiviert mich die Kombination von rechtlichen, insbesondere völkerrechtlichen Aspekten der Flüchtlingsthematik und deren praktischer Umsetzung in sehr unterschiedlichen Situationen", sagt sie.
Menschenrechte wahren und Asylanträge unterstützen
Lumpp, seit 2015 oberste Flüchtlingshelferin in ihrer alten Heimat Deutschland, blickt auf eine lange Laufbahn zurück: Die 51-jährige Juristin arbeitet seit mehr als 20 Jahren für das UNHCR. Stationen waren unter anderem Genf, Afghanistan sowie Ägypten und Amman. Hinzu kamen Nothilfeeinsätze etwa im Kongo und im Kosovo. Lumpp hat dabei Erfahrungen auf allen Feldern der UNHCR-Arbeit gesammelt.
Grundgedanke dieser Arbeit ist: Die Menschenrechte der Flüchtlinge werden gewahrt und sie können im Ausland einen Asylantrag stellen. Außerdem soll gewährleistet sein, dass niemand in seine Heimat zurückkehren muss, wenn ihm dort Verfolgung droht.
Doch inzwischen kümmert sich das UNHCR nicht mehr nur um Flüchtlinge, also Menschen, die gezwungenermaßen ihr Heimatland verlassen mussten. Zu den Klienten gehören heute auch Staatenlose und sogenannte Binnenvertriebene, im Heimatland vertriebene Menschen. Hinzu kommen Rückkehrer, die beim Neustart in der Heimat unterstützt werden.
UNHCR hilft Flüchtlingen und Asylbewerbern
In Deutschland hilft die Organisation sowohl Flüchtlingen als auch Asylbewerbern. Zwei Begriffe, die oft synonym verwendet werden, sich aber juristisch betrachtet deutlich unterscheiden. Vor dem Gesetz ist ein Geflüchteter erst dann ein Flüchtling, wenn seinem Asylantrag stattgegeben worden ist. Dann erhält er Asyl gemäß der GFK, fast nie gemäß dem deutschen Grundrecht auf Asyl. Denn Deutschland kommt wegen des in der EU geltenden Dublin-Abkommen de facto für diese Asylart fast nie in Frage.
Das Abkommen besagt nämlich, dass in die EU einreisende Asylbewerber im ersten erreichten EU-Staat ihr Gesuch stellen müssen. Aufgrund seiner zentralen Lage ist Deutschland damit außen vor. Es sei denn, der Asylbewerber kommt per Flugzeug oder Schiff und ist in einem Nicht-EU-Staat an Bord gegangen. Anerkannte Asylbewerber, egal ob nach GFK oder Grundgesetz, haben die gleichen Rechte, dazu gehören eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis und das Recht auf Familiennachzug. Zudem ist ihnen gemeinsam, dass sie in ihrem Heimatland Opfer gezielter Verfolgung sind.
Daneben gibt es noch die Bestimmungen für Personen, die in der Heimat etwa durch Bürgerkrieg in ihrer Existenz bedroht, jedoch keine Opfer individuell gegen sie gerichteter Gewalt sind. Ihnen gewährt Deutschland den sogenannten subsidiären Schutz, sie haben nur ein Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Nach einem Beschluss der Bundesregierung von Anfang 2016 ist zumindest bis März 2018 das Recht auf Familiennachzug für diese Gruppe ausgesetzt. Syrische Flüchtlinge erhielten bis Sommer 2016 quasi pauschal den uneingeschränkten Schutz, danach immer häufiger nur noch den subsidiären.
2/2 Klagen gegen subsidiären Schutz-Status
In der Folge haben subsidiär Geschützte verschiedentlich Klage erhoben, teil erfolgreich, teils nicht. Drei Oberverwaltungsgerichte (OVGs) haben allerdings gegen die Kläger entschieden. Im Februar entschied das OVG Münster gegen einen Syrer, der auf Anerkennung als Flüchtling geklagt hatte (14 A 2708/10.A), wie auch in ähnlichen Fällen Ende 2016 die OVG-Senate in Schleswig und Koblenz. In Münster jedoch scheint das OVG eine besonders harte Rechtsauffassung zu vertreten. Hier verwei-gerten die Richter selbst einem Syrer, der sich nach eigener Aussage dem Wehrdienst entzogen hatte, den Flüchtlingsstatus. Sie sahen es nicht als gegeben an, dass eine Wehrdienstflucht politische Verfolgung in Syrien nach sich ziehe.
Das VG Münster hat allerdings in einer Entscheidung im März, also nach der OVG Entscheidung vom Februar, die gegenteilige Rechtsauffassung vertreten. Danach müssen syrische Flüchtlinge nach einer Rückkehr mit staatlicher Verfolgung rechnen (Urt. v. 08.03.2017, Az. 14 A 2316/16 A).
Das UNHCR und der Fall Franco A.
Das UNHCR kooperiert eng mit denen, die hierzulande für die Flüchtlinge politisch verantwortlich sind, also etwa mit der Regierung, den Ministerien und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dabei ist das UNHCR ein selbstbewusster und teils kritischer Partner, wie sich an der Reaktion auf den Skandal um den Oberleutnant Franco A. zeigt. Er hatte sich als asylsuchender Syrer registrieren lassen, um in dieser Maske wahrscheinlich Anschläge zu verüben.
"Ich denke, dass Fälle wie der des als Flüchtling getarnten Oberleutnants Qualitätsmängel deutlich machen und zeigen, dass man das Bemühen um Qualität intensivieren muss", sagt Lumpp. "Dass es notwendig ist, in die Qualität der Asylverfahren zu investieren, ist allen Seiten bewusst." Dies steht auch im Eckpunktepapier zur Bundestagswahl, das der UNHCR kürzlich vorgestellt hat.
Qualität im Asylverfahren sollte verbessert werden
Die Qualität habe darunter gelitten, dass eine hohe Zahl von Anträgen in möglichst kurzer Zeit abgearbeitet werden musste, so Lumpp. Medienberichten zufolge hat dadurch die Zahl der Einsprüche gegen abschlägige Bescheide des BAMF deutlich zugenommen. Die Schreibtische des BAMF sind nun zwar leerer. Dafür stöhnen aber jetzt die Gerichte unter der erhöhten Last durch diese verschobenen Asylverfahren.
"Daher raten wir in Qualität und Effizienz gleichzeitig zu investieren, da es sonst weiterhin zu dieser Verschiebung kommt", sagt die deutsche UNHCR-Repräsentantin. "Wir stehen diesbezüglich im Dialog mit dem BAMF und der Bundesregierung. Ein umfassendes Qualitätsmanagement für jeden Schritt des Verfahrensweges und mit Beteiligung aller relevanten Organisationseinheiten ist nötig. Dazu sollte auch in Schulungen des Personals investiert werden."
Deutschlands Engagement insgesamt wird vom UNHCR ausdrücklich gelobt. Gerade auch in der EU-Flüchtlingskrise. Laut Lumpp ist dieser Begriff jedoch falsch: "Es gab in der EU keine Flüchtlingskrise, sondern eine Krise der Verantwortungsteilung." In einer Staatengemeinschaft wie der EU hätten eine Million Schutzsuchende eigentlich keine Krise auslösen müssen, sagt sie und entlässt die EU-Mitglieder nicht aus der Verantwortung für Flüchtlinge. Diese "sollte nicht auf Drittstaaten geschoben werden. Leitgedanke sollte immer sein, ein Mehr an Schutz zu schaffen."
Till Mattes, UNHCR – Anwalt der Heimatlosen: Samariter 4.0 . In: Legal Tribune Online, 27.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23035/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag